Erstellt am: 18. 7. 2012 - 16:46 Uhr
Wer erinnert sich an Genua?
Genau heute vor 11 Jahren hat der G8-Gipfel in Genua begonnen. Staatschefs der acht größten Industrienationen der Welt haben sich getroffen, um den internationalen Welthandel weiter zu liberalisieren. Das bekämpfe Armut, so der Tenor.
Seit Ende der Neunziger Jahre haben sich gleichzeitig auch globalisierungskritische Bewegungen formiert, die gegen solche aus ihrer Sicht undemokratischen Treffen mit unsozialen Zielen protestierten. Es war der Beginn einer Bewegung, die in den Nuller Jahren zu weltweiten Sozialforen geführt hat und eine Art Vorläufer der heutigen Occupy Bewegung.
Genua 2001
2001 eskalieren die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua, die Protestierenden liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Bei den Zusammenstößen wurde ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen, mehr als 300 Menschen wurden verletzt. Zahlreiche Demonstranten wurden festgenommen.
Gegen den Polizisten, der einen Demonstranten erschoss, leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Die Polizei nahm dutzende Personen fest, denen zum Teil versuchter Mord vorgeworfen wird. Am frühen Sonntagmorgen durchsuchte die Polizei damals das Hauptquartier der Globalisierungsgegner in Genua. Polizeisprecher Mario Viola sagte, Eisenstangen, Baseball-Schläger und Ziegelsteine, mit denen die Demonstranten sich tags zuvor bewaffnet hatten, wurden beschlagnahmt.

EPA
Drakonische Strafen 2012
Die Strafprozesse zu den Ausschreitungen in Genua sind erst jetzt endgültig zu Ende gegangen. Letzte Woche, elf Jahre später, sind Protestierende von damals zu drakonischen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt worden. Robert Zikmund hat heute in FM4 Connected mit der ORF-Italienkorrespondentin Mathilde Schwabeneder telefoniert, und sie um ihre Einschätzung der Urteile in Genua gebeten.
Robert Zikmund: Wie rechtfertigt das italienische Gericht diese hohen Strafen mehr als ein Jahrzehnt nach dem G-8 Gipfel?
Mathilde Schwabeneder: Eine der Begründungen für das Urteil war, die öffentliche Ordnung sei gefährdet gewesen, Genua habe vor 11 Jahren eine Situation erlebt nämlich eine Gewaltexplosion, die es seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben habe. Die Richter haben sich dabei vor allem auf das Faktum der Plünderungen und der Verwüstungen gestützt und diese Übergriffe mittels Molotow-Cocktails, das Werfen von Steinen, die Verbarrikadierung mit Müllcontainern usw. Außerdem, so die Richter weiter, seien durch die Gewaltexzesse die großteils friedlichen Demonstranten an ihrer Art des Protestes behindert worden. Das ist es grundsätzlich, worauf sich das Gericht berufen hat – allerdings muss man auch dazu sagen, dass der Kassationsgerichtshof, die ursprünglich vom Berufungsgericht angedachten Strafen abgemildert hat.
Wenn man diese 15 Jahre Haft jetzt in eine Relation setzt: Die 16 Polizisten erhielten zum Beispiel wegen Gewalt und Misshandlungen an den Globalisierungskritikern bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Der Carabiniere, der den 23-jährigen Demonstranten Carlo Giuliano erschossen hat, wurde wegen Notwehr freigesprochen. Ist dieses Verhältnis der Strafe allen Italienern einleuchtend oder gibt es da auch Unverständnis?
Vielleicht sollte man das mit Amnesty International beantworten. Amnesty spricht angesichts des Urteils gegenüber der Polizei von einem sehr wichtigen Urteil. Sie sagen, die höchstrichterliche Entscheidung bekräftigt die Schuld der betreffenden Sicherheitskräfte. Trotzdem bleibe aber sehr viel Bitterkeit zurück. Denn die Urteile gegenüber der Polizei seien zu mild und viel zu spät getroffen worden. Amnesty schlägt daher eine Reihe von Dingen vor, unter anderem die Aufnahme des Tatbestandes des Folter in das Strafgesetzbuch sowie eine öffentliche Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen die eben 2001 in Genua stattgefunden haben.
Mittlerweile ist das Ganze schon über zehn Jahre her, aus diesen Protesten wurde mit Occupy eine globale Bewegung, auch in Italien. In Zeiten der Krise fühlen sich viele Menschen benachteiligt – hat dieses Urteil jetzt irgendwie auch Auswirkungen auf die Protestkultur in Italien und auf die Stimmung, wenn man zu, Beispiel an Streiks und Demonstrationen denkt?
Ich glaube, dass die Urteile von Genua in diesem Fall keine besondere Auswirkung haben. Es gibt in Italien außerdem, was die Finanzkrise anbelangt und die derzeitige wirtschaftlichen und sozialen Probleme, keine so großen Proteste wie wir sie zum Beispiel in Griechenland oder in Spanien sehen. Was es aber auch hier in Italien gibt, das sind viele kleinere Proteste. Die können von Gewerkschaften sein, von verschiedenen Berufsgruppen, von Studenten usw. Und die, glaube ich sagen zu können, die lassen sich nicht so schnell den Mund verbieten.