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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

21. 7. 2012 - 11:29

Schauderhafte Faszination Discount

Als 22jähriger arbeitete er im mittleren Management, mit 27 rechnet Andreas Straub in "Aldi - Einfach billig" ab. Doch das Prinzip Discount lässt ihn nicht los.

Ein Produkt nach dem anderen scannt die Kassiererin, bis sie bei der "Der Spiegel"-Ausgabe irritiert stoppt: "Ist das von uns?" Ein Plastiksackerl mit großem Logo-Aufdruck ziert das Titelblatt der deutschen Wochenzeitschrift. "Aldi-Insider über die skrupellosen Praktiken ihres Konzerns" lautet die Überschrift. Auf einen schnellen Blick jedoch wirkt die Optik wie ein aktuelles Werbeflugblatt, da gebe ich meiner Kassiererin Recht.

Buchcover zu "Aldi - Einfach billig" zeigt den ehemaligen jungen Mitarbeiter und Autor Andreas Straub

Rowohlt Verlag GmbH

"Aldi - Einfach billig" von Andreas Straub ist im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen. Günter Wallraff schrieb das Vorwort, eine Leseprobe findet sich hier.

Das Buch "Aldi - Einfach billig" vom Deutschen Andreas Straub ist allerdings alles andere als Werbung. Die Magazin-Geschichte war eine gute Zusammenfassung dessen, was Andreas Straub auf 330 Seiten teils im Sekundenstil ausführt: Seine Einblicke in das System des Discounters.

Das ist erst mal insofern interessant, weil dieser Andreas Straub im Alter von zweiundzwanzig Jahren als ehrgeiziger Bereichsleiter beim Unternehmen Aldi-Süd einsteigt. Mittleres Management also und nach Straubs Angaben mit 60.000 Euro brutto im ersten Jahr bezahlt. Der Konzern Aldi ist deutscher Marktführer im Discount-Bereich und längst international tätig - von Österreich mit über 430 "Hofer"-Filialen bis Australien mit inzwischen über 270 Filialen. Drei Jahre wird er es bei Aldi-Süd aushalten, bis ihm - seiner Meinung nach zu Unrecht - gekündigt wird.

"Trennungsgespräche" anderer musste Straub schon in den ersten Arbeitstagen beiwohnen. Sein Vorgesetzter will einen Filialleiter zu einem Aufhebungsvertrag bewegen, um ihn nicht kündigen zu müssen: "Jedem Fehler verleiht er nahezu das Gewicht, als sei die Zukunft von Aldi dadurch gefährdet. Mal senkt er die Stimme, mal brüllt er. Der Filialleiter muss sich ständig rechtfertigen. Liechtenstein setzt ihm massiv zu." Der Filialleiter hatte ein gekauftes, defektes Zelt in seiner Filiale umgetauscht.

Der ehemalige Regionalverkaufsleiter Andreas Straub beschreibt in "Aldi - Einfach billig", wie der permanente Druck, noch mehr einzusparen, um den Gewinn des Konzerns weiter zu maximieren, vom Vorgesetzten zu den nächsten Untergeordneten weitergegeben wird.

Stencil: Kopfloser Mann schiebt Einkaufswagen, in dem sein Kopf liegt. Nach einem Sujet der spanischen Aktivistengruppe ConsumeHastaMorir.

Wiki Commons

Druckmittel, Willkür und Rache mit Bananenschachteln

Straub berichtet von stellvertretenden Filialleiterinnen, die selbst "viele Stunden kostenlos" arbeiten und beim Personal einsparen, "wo es nur geht": Von älteren Mitarbeitern, die das Tempo nicht mehr mithalten können, wird "freiwillige" Vor- und Nacharbeit erwartet. Die Hierarchie dürfe nicht umgangen werden, freundlicher, ja menschlicher Umgang mit MitarbeiterInnen, mit Verkäuferinnen wie mit Filialleitern, sei unerwünscht.

Gegenseitiges Misstrauen und "Abmahnungen" prägen das Arbeitsklima, schildert Straub. Nicht ohne Wirkung: "Ich passe mich dem Unternehmen an." Die Bananenkisten, die eine Verkäuferin beiseite stellt und für einen Bekannten sammelt, wird Straub bewusst in der Papierpresse entsorgen. Die Frau hatte Straubs Bestellpolitik kritisiert, die Orangensäfte stapelten sich palettenhoch im Lager.

Das erste Bier vor Feierabend wird dem jungen Bereichsleiter von seinem Vorgesetzten angekreidet. Von Drohungen, über "Fehlern" Bericht zu erstatten, liest man alle paar Seiten.

"Aldi macht weniger Gewinn, Herr Straub.."

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Detaillierte Einblicke in das System Supermarkt aus seiner Position als übergeordneter Leiter mehrerer Filialen gewährt Andreas Straub in der Mitte seiner schriftlichen Abrechnung mit drei Jahren Discount-Arbeit. Logistik, Inventuren, und immer wieder Gewinnmaximierung. Hier regiert das Discount-Prinzip: Einsparen lässt sich am schnellsten und einfachsten beim Personal.

Dass Verkäuferinnen - und es sind überwiegend Frauen - körperliche Schwerstarbeit leisten und die Stunden an der Kassa sehr wohl hohe geistige Anwesenheit erfordern, war einem als Leser zuvor klar. Es geht aber tiefer und noch mieser: Eingespart wird mit "Outsourcing bestimmter Tätigkeiten" wie den Reinigungsarbeiten: "Die Mitarbeiter der Fremdfirmen erhalten zwischen 7 und 8 Euro die Stunde - über die Arbeitszeiterfassung wollen wir lieber gar nicht erst reden. Die Aldi-Verkäuferin erhält fast das Doppelte", schreibt Straub.

"... dafür sind Sie verantwortlich."

Es mag bitter sein: Überraschend sind Straubs Aufzeichnungen nicht. "Aldi - Einfach billig" ist ein persönlicher Report, der äußerst zwiespältig ausfällt. Die Kritik verliert über Dutzende Seiten sich wiederholender und einander ähnelnder Vorfälle ihr Gewicht. Die Zustände erscheinen bald als gegeben.

Ambivalent ist die Haltung des Autors, der Ende Zwanzig ist. Dumping-Strategien zu kritisieren, um wenige Kapitel später selbst Einsparungsvorschläge zu machen - was soll man davon halten?

"Ich war und bin vom Discountprinzip fasziniert", schreibt Straub. Als er nach seinem unfreiwilligen Abgang bei Aldi-Süd (samt gerichtlichem Nachspiel) in einer Bewerberrunde um einen Posten als Einkäufer bei der nächsten, in Deutschland gegründeten, internationalen Unternehmensgruppe sitzt, weiß man: Das Discount-Prinzip wird noch lange seine Fans finden. Ob Straub diese Bewerbung aus persönlichen Beweggründen oder zur Recherche für das Buch absolviert, bleibt offen.

Dennoch: der Kassierin in meinem Supermarkt würde ich das Buch zu gern leihen. Um zu hören, was sie dazu sagt, als eine, die im rein österreichischen Supermarkt-Unternehmen arbeitet. Ich weiß nur: die neuen Dienstblusen ohne Brusttasche sind unpraktisch. "Wo soll ich jetzt den Kugelschreiber einstecken?"