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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

17. 7. 2012 - 12:46

Die Bilder im Kopf auf die Leinwand bekommen

Oder: How to make an animated short film in five days.

Tricky Women ist ein internationales Animationsfilmfestival für Frauen, das jeden März in Wien stattfindet.

Heuer hat Tricky Women gemeinsam mit der FH St. Pölten erstmals einen Animation Summer veranstaltet, bei dem sich Animationsneulinge und Professionals in verschiedenen Kursen weiterbilden konnten. Dieses Jahr gab es Kurse zu Storytelling, Cameraless Animation, 3D Character Animation und Animated Statement a Cutout workshop.

Die Kurse sind übrigens offen für alle Gender.

Ich bin eine große Freundin des Animationsfilms. Ich mag groteske Figuren und übertriebene Bewegungen, fantastische Welten und wahnsinnige Handlungsverläufe stimmen mich froh.

Seit langem möchte ich mich auch schon einmal selbst in dieser Kunstform versuchen. Als die Einladung von Tricky Women ins Haus flattert, doch an der ersten vom Frauentrickfilmfestival organisierten Summer School teilzunehmen, überlege ich also nicht lange und sage zu. Ich nehme den Kurs „Cutting Edges – material-based 2D Animation“ – nicht zuletzt deshalb, weil ich via Dave Dempseys Webtip das großartige Cut-Out-Tutorial von Terry Gilliam gesehen habe und seitdem darauf brenne, so etwas selbst mal auszuprobieren.

Menschen an Tischen mit Papierkram

Copyright by FH St. Pölten

Erster Tag am Animation Summer: Materialdurchsicht

Statt mit Flugzeug/Zug/Auto in den Süden fahre ich diesen Sommer also fünf Tage lang mit dem PendlerInnenzug nach St. Pölten. Anstatt am Strand sitze ich im Computerraum der dortigen Medien-Fachhochschule. Und nicht neue Eindrücke in fernen Ländern sammeln ist angesagt, sondern die Bilder im Kopf auf die Leinwand bekommen.

Tag eins: Ideen haben

Kursleiterin Barbara Musil hatte uns gebeten, persönliche Dinge mitzubringen, die wir in unserer Animation verwenden können, von Lieblingsbüchern bis Fotos.

papierkram auf tisch

Copyright by FH St. Pölten

Potenzielles Animations-Material

Ich habe unter anderem dabei: Eine Zeitschrift namens „Le petit Journal de la Mode“ aus dem Jahr 1955. Darin zu finden: Mode- und Schnittzeichnungen für Frauen und teilweise Kinder, Werbungen für Schuhe, Staubsauger und Mieder und ein paar stilisierte Wohnungs-Interieurs. Ich beschließe, mit dem Material aus der Modezeitung zu arbeiten. Was kann ich mit den Figuren und Gegenständen erzählen, die ich zu Verfügung habe? Eine Geschichte über Frauen, Kinder und Staubsauger offensichtlich. In der Zeitschrift ist nämlich nur ein einziger Mann zu finden, der nicht verwendbar ist, weil von einer anderen Figur verdeckt.

Mit fällt die Serie Mad Men ein, auch wegen des Retro-Stils. Allerdings muss mein Mad Men-Film ohne männliche Figuren auskommen. Weil Mad Men ohne Männer Mad ergibt, beschließe ich, es wird eine Cocktailparty, die in Verrücktheit ausartet.

Menschen blättern in Büchern und Zeitschriften

Copyright by FH St. Pölten

Tag zwei: Storyboard und Anfreunden mit dem Programm

Noch in der Früh im Zug feile ich an den Ideen und skizziere mein Storyboard, das heute fertig sein soll. Ich kann nicht besonders gut zeichnen, das Storyboard besteht eher aus Strichmännchen, die verwordackelte Cocktailgläser in den Händen halten. Macht aber nichts, Hauptsache die Grundidee ist zu erkennen. Das Storyboard wird angenommen.

In St. Pölten machen wir uns zum ersten Mal mit dem Programm vertraut: After Effects heißt es und nimmt dem/der AnimateurIn einiges an Arbeit ab: Anstatt jede Bewegung Bild für Bild mühsam aufzubauen, kann man z.B. den Arm einer Figur bei Sekunde eins über den Kopf gestreckt festlegen und bei Sekunde zwei in einem Bogen zur Hüfte herunterführen, die Bilder dazwischen berechnet der Computer, man spart sich also schon mal einiges an Arbeit.

Computerbildschirm mit drei ausgeschnittenen Frauen drauf

Irmi Wutscher

So sieht das Programm zum Beispiel mit meinen Figuren aus

Wir lassen in unserem ersten Tutorial einen Ball (also eigentlich einen Kreis) auf und ab hüpfen, dann in schönen Bögen springen. Bei mir funktioniert das erstmal garnicht und die Kugel rast in mir nicht nachvollziehbaren Bahnen über den Bildschirm. Irgendwann geht der Knopf aber auf und beim zweiten Tutorial kann ich schon einen Fasan von rechts nach links über den Bildschirm gehen lassen. Hurrah!

Tag drei: Arbeiten mit dem eigenen Material

Wir beginnen unser eigenes Material zu bearbeiten, das heißt erst mal abfotografieren oder einscannen und dann für die Animation fertig machen. Alle Figuren, die verwendet werden sollen, muss man erst einmal freistellen, dann in ihre Einzelteile zerlegen: Kopf, Hals, Arm, Hand usw. extra ausschneiden und als eigene Ebene speichern. Immer wieder steht man vor kleinen Denksportaufgaben: Wie bekommen ich die Textur des Kleides auf die Stelle, über denen vorher Arm und Hand gelegen sind? Ich schummle mich mit kleinen Copy-Paste-Flicken über diese Stellen, wahrscheinlich nicht die Technik, die vorgesehen ist.

Menschen an Computern

Copyright by FH St. Pölten

Figuren ausschneiden, eine der Hauptarbeiten beim Animieren.

Die zerlegten Figuren kann man dann im Animationsprogramm bewegen. Das heißt zum Beispiel mit den Köpfen nicken oder über den Bildschirm gehen lassen. Ich fange mit einem Kopf aus einer Werbung an, bei dem ich das Kinn und die Augäpfel ausgeschnitten habe und lasse die Frau monty-python-like reden und mit den Augen rollen. Ein erstes Erfolgserlebnis.

Tag vier: Hackln Hackln Hackln

Ich habe mir in den Kopf gesetzt, die gesamte Story, von braver bis wilder Party, zumindest in groben Zügen fertig zu machen, auch um zu sehen ob die Story funktioniert. Ich habe also noch viel zu tun. Jede einzelne Einstellung des gesamten Kurzfilms wird in einer Extra-Sequenz animiert. Das heißt für alle:s Material ausschneiden, zerstückeln, abspeichern, in AfterEffects aufmachen, Bewegungen ausdenken und Keyframes setzen. Das ist mühsam und kleinteilig und dauert und dauert und dauert. Ich lege eine Abendschicht ein, wie die meisten meiner Kolleginnen, um wenigstens in groben Zügen fertig zu sein. Noch im Zug zurück nach Wien höre ich meinen MP3-Player nach geeigneter Musik durch. Beim Einschlafen fallen mir noch Fehler ein oder Dinge, die ich anders machen könnte. Die Animation lässt mich nicht mehr los.

Menschen hinter Computern

Copyright by FH St. Pölten

Zwischendurch immer wieder: Ratlosigkeit. Nicht alles funktioniert gleich so wie man will...

Tag fünf: Sound und letzte Verbesserungen

Letzter Tag Animation Summer, es machen sich schon erste Ermüdungserscheinungen breit. Ich kann das Animationsprogramm eigentlich nicht mehr sehen, habe bis auf ein oder zwei Szenen aber das meiste schon fertig. An den anderen gibt es aber noch viel zu verbessern: entweder die Handlung straffen oder Figuren und Hintergründe hinzufügen.

Die fertigen Szenen werden als einzelne Clips abgespeichert, endgültiger Schnitt und Ton werden in einem klassischen Filmschnittprogramm gemacht. Ich schnappe mir ein paar Kolleginnen und nehme mit ihnen Sounds auf, lege die Musik drunter und suche mir Geräusche aus der Geräuschedatenbank der FH. Kurz vor vier Uhr ist der Film soweit fertig, um am Abend bei der Abschlussveranstaltung gezeigt zu werden.

Das ist dabei rausgekommen, erste Version noch mit einigen Fehlern:

Fünf Tage und viel Arbeit, seit langem habe ich mich nicht so mehr in einem Projekt verloren. Es ist aber interessant zu sehen, wie viel man mit den wenigen Mitteln schon gestalten kann. Nächstes Jahr gibt’s den Animation Summer übrigens wieder. Ich werde mir vielleicht Storytelling oder Drehbuchschreiben genauer ansehen.