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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

14. 7. 2012 - 13:38

I love Kotti

Am Kottbusser Tor im Berliner Stadtteil Kreuzberg sitzen die Protestler von Kotti & Co in einer Bretterhütte und trotzen den Naturgewalten.

In Berlin hat man sich so langsam mit dem miesen Sommer abgefunden, jeden Tag Regenwetter, klamme Temperaturen und die normalen Sommervergnügungen fallen aus. Wer ausgehen will, muss wetterfest sein, immer wieder Regenschauer aushalten, das Nass-Werden stoisch hinnehmen.

Älterer Herr im Occupy Kotti Camp

Christiane Rösinger

Am Kottbusser Tor im Berliner Stadtteil Kreuzberg sitzen die besonders Wetterfesten: Seit sieben Wochen hausen die Protestler von Kotti & Co in einer Bretterhütte und trotzen den Naturgewalten. Aus Protest gegen Mieterhöhungen haben sich die Anwohner eine Blockhütte gebaut und campieren hier 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Das "Occupy Kotti Camp" nennt sich auch "gecekendu".

Gecekendu ist türkisch und lässt sich mit "über Nacht hingestellt" übersetzen, nach altem osmanischem Recht darf ein Gebäude, das über Nacht gebaut wurde, nicht abgerissen werden. So entstanden viele gecekendu als informelle Siedlungen, also ungeplante Viertel mit primitiven Unterkünften, am Rande der türkischen Großstädte.

Plakat "Wir sind Kreuzberg!"

Kotti & Co

Angst vor Verdrängung durch Mieterhöhungen und Umwandlung ist in Berlin ja das große Thema, die Lage am Kottbusser Tor ist aber speziell. Das Kottbusser Tor ist nämlich alles andere als ein Schöner-Wohnen-Idyll mit Altbaucharme, sondern eine in den Siebziger Jahren erbaute Betonwüste des sozialen Wohnungsbaus - der sollte den so genannten "sozial Schwachen" erschwinglichen Wohnraum bieten. Die Hochhaustürme und der Platz an der U-Bahnstation galten lange Zeit als gefährlichstes Pflaster Berlins: Dealer, Junkies, Alkoholiker, aggressive Schnorrer hatten sich dort niedergelassen. Dreck und Verwahrlosung bestimmten das Bild.

Wohnbau am Kottbusser Tor

Christiane Rösinger

Bewohnt wurde das Bau-Ensemble schätzungsweise zu 80% von Familien nicht-deutscher Herkunft Erst in den letzten Jahren wurde es in WGs und unter Künstlern ein wenig schick in die Siedlung zu ziehen, auch wegen der günstigen Miete. Um die Betonlandschaft haben sich Clubs und Bars wie der "Festsaal Kreuzberg", Monarch", "West Germany", "Paloma Bar", "Möbel Olfe" und "Südblock" eingerichtet, der Kotti ist zur belebten Ausgehgegend geworden.

In den letzten Jahren sind die Mieten in ganz Kreuzberg rasant gestiegen, für die Bewohner des Kotti-Areals, viele Rentner und Migranten, werden die Mieterhöhungen existenzbedrohend. Wer von Sozialleistungen lebt, wird vom Amt aufgefordert, sich Untermieter oder eine billigere Unterkunft zu suchen, und das heißt dann Zwangsumzüge, raus aus Kreuzberg in die Außenbezirke.

Transparent: "We love (Symbol: Herz) Kotti! We hate (Symbol: Totenkopf) Miete"

Christiane Rösinger

Aber die Mieter, die hier teilweise Jahrzehnte lang hier wohnen, deren Kinder hier zur Schule gehen, protestieren gegen die Mieterhöhungen und wollen so lange auf der Straße bleiben, bis die Miete wieder runtergeht. Denn die liegt hier, im sozialen Wohnungsbau, absurderweise weit über der Kreuzberger Durchschnittsmiete. In den letzten Wochen ist der Mieterprotest am Kotti zu einer großen Protestbewegung angewachsen, in der alle Gesellschaftsschichten vertreten sind: Alte und junge Menschen, Hartz-IV-Empfänger und Lehrer, Radikale und BürgerInnen, Bio-Deutsche und Migranten. Andere Mietergruppen, Anwohner und Gewerbetreibende unterstützen die Kotti-Atkivisten beim Nachtwachen Organisieren, stellen Verpflegung bereit und kümmern sich ums Programm. Die Bar "Südblock" von gegenüber stellt Wasser und Strom, Musikerinnen und Künstler treten auf, es gibt Siebdruck-Workshops für Kinder, montags werden im Sonnenblumenkernkino Filme gezeigt und Samstags zieht man mit Hunderten anderen als Lärmdemo durch Kreuzberg.

Damit hat Kotti & Co das erreicht, wovon Occupy, Krisenprotestmärsche und Uni-Blockierer bislang nur träumen können: einen breitgefächerten gesellschaftlichen Protest, dessen Foderung sich gegen neoliberale Stadtplanung richtet und sich mit dem Schlagwort "Recht auf Stadt" beschreiben lässt.