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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

13. 7. 2012 - 15:15

Die Karotte vor der Nase

Das europäische Saatgut-Monopol wurde gekippt. Bauern dürfen also ab sofort ihr eigenes, nicht-lizensiertes Saatgut verwenden. Oder nicht?

Wissen, was auf den Tisch kommt beginnt damit, zu wissen, welches Saatgut verwendet wurde. In der EU dürfen laut einer Richtlinie Bauern deshalb nur mit Lebensmittel handeln, deren Saatgut genehmigt und lizensiert wurde. Klingt so weit recht vernünftig. Wenn es da nicht das Problem mit den mächtigen Monopolen gäbe:

Das Verfahren, um Saatgut lizensieren zu lassen, ist aufwändig und teuer - seit einiger Zeit können sich das nur noch große Unternehmen leisten. Infolgedessen werden alte und ungewöhnliche Sorten, die in bäuerlichen Netzwerken verwendet und getauscht wurden, aus dem Sortiment der Konzerne genommen, um Konkurrenz von unten zu verhindern.

Übrig bleibt eine Monopolstellung der Konzerne, Bauern, die auf altes Wissen und eigenes Saatgut verzichten müssen und vom lizensierten Saatgut der Konzerne abhängig sind, und schlussendlich der Verlust der Artenvielfalt im Lebensmittelanbau.

Getreide

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Die EU-Richtlinie rund ums Saatgut ist heftig umstritten, in einem aktuellen Urteil hat der Europäische Gerichtshof gestern dieses Saatgut-Monopol gekippt. Sprich: Bauern dürfen ihre alten Gemüse- und Getreidesorten auch dann anbauen und vertreiben, wenn diese nicht zugelassen sind. Das würde der besagten EU-Richtlinie nicht wiedersprechen. Ein "unglaublicher Sieg für Bauern und Verbraucher", schreibt das Magazin Der Spiegel. David habe Goliath besiegt.

Schaut man sich das nicht einmal zweieinhalb Seiten lange Urteil genauer an, wird klar, dass diese Jubelchöre noch etwas verfrüht sind. Die Vermarktung alter und nicht lizensierter Sorten ist nämlich nur auf regionaler Ebene erlaubt. Europas Bauern dürfen auch weiterhin keinen gewerbsmäßigen Handel mit alten Gemüse- und Pflanzensorten betreiben. Die Macht der großen industriellen Saatguthersteller wurde mit dem Urteil also gefestigt.

Saatgutinitiativen enttäuscht

„Es erschafft den Saatguterhaltern keinen Vorteil“, sagt beispielsweise Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgut-Souveränität im ARD- Interview. „Es bestätigt die Rolle der Industrie. Es lässt erwarten, dass die Industrie auch ihren Einfluss weiterhin geltend macht gegenüber der EU-Kommission, um ihre Position weiter auszubauen, weiter zu stärken.“

Getreide

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Ob das Urteil des EuGH zu einem friedlichen Nebeneinander von industrieller Agrarwirtschaft und Saatguterhalt beitragen kann, wird sich zeigen. Mit der Öffnung des regionalen Markts ist auf jeden Fall ein erster Schritt getan. Auch wenn das Urteil zeigt, dass Sortenerhalt in der EU nach wie vor lediglich für ein Hobby gehalten wird.