Erstellt am: 15. 7. 2012 - 11:31 Uhr
中国音乐节
- FM4 Festivalradio - on air am Sonntag Nachmittag
Ein Meer aus schwarzhaarigen Headbangern. Ein riesiger Moshpit. Zwischen ihm und der Bühne ein Reißverschluss aus Polizisten in schwarzen Uniformen, die unbeeindruckt Securities spielen.
Matthew Niederhauser
Zurück in die Zukunft
Das MIDI Festival ist das älteste Festival Chinas. Während in der westlichen Welt die Festivalkultur mehrere Jahrzehnte in die Vergangenheit schauen kann, ist die Festivalszene im Reich der Mitte erst zwölf Jahre jung. Lange war China vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen und alle westlichen Einflüsse waren verhindert worden. In der Kulturwüste, die die Kulturrevolution und Mao Zedong hinterlassen haben, herrschte eine eigene Zeitzone. Rockmusik etwa erblickte erst Ende der 80er die chinesische Welt – mehr als zwei Jahrzehnte nach Love Me Do von den Beatles. Punk begann sich Mitte der 90er herauszuschälen – zwei Jahrzehnte nach der Formation von The Clash und den Ramones. Die Premiere des MIDI Festivals und somit ersten Festivals Chinas ging im Jahr 2000 über die Bühne – zwei Jahrzehnte nach dem ersten Festival im Erdbeerland Wiesen.
Trau keinem über Dreißig
United Blogs of Benetton
Bis heute ist das MIDI das größte klassische Rockfestival des wilden Ostens. Es ist das Glastonbury von China – inklusive Schlamm und Greenpeace. Unter den Zehntausenden an Besuchern trägt man lange Haare und Stirnfransen, Irokesen und T-Shirts mit Che Guevara und Anarchie-Zeichen auf der Brust. Ein rotes Tuch ziert so manches Gelenk. Schick um den Hals gebunden, ist es das Markenzeichen junger Parteimitglieder der Kommunisten – zusätzlich um einen Arm oder ein Bein oder gleich ums halbe Gesicht geknotet, bietet es hier das perfekte Accessoire für einen punkigen Banditen-Look und ein nach außen getragenes Symbol für Andersartigkeit. Das MIDI versammelt die junge Gegenkultur des Landes. Über das Gelände weht ein Woodstock-Spirit von Rebellion, Frieden und Freiheit.
Matthew Niederhauser
Sie sind jung und brauchen das Geld
2009 unterzeichnete das MIDI Festival einen fixen 10-Jahres-Vertrag mit der örtlichen Regierung von Zhenjiang. Zwei Jahre später überlegte es sich die Partei dann doch anders und der Vertrag gilt nicht mehr.
Der Sponsor des MIDI Festivals in Zhenjiang ist die örtliche Regierung und somit die kommunistische Partei Chinas. Wie für viele andere chinesische Festivals, die nicht in der Hauptstadt Peking stattfinden, kommen die Gelder hierfür direkt aus der Kassa der politischen Zentrale. Das wachsende Protestpotential, das die jungen Chinesinnen und Chinesen in sich tragen, kann so vom Inside Track beobachtet werden. Außerdem will das Image der Partei entstaubt und revitalisiert sein. Ein bisschen Coolness-Faktor für das rote China. Und: eine neue Lücke im eigenwillig gestrickten Netz des chinesischen Marktes ist gefunden.
Wer konsumiert, revoltiert nicht
"They used to see us as dangerous, now they see us as a market", sagt Yang Haisong, Sänger der Pekinger Post-Punker P.K.14, der New York Times. Er steht neben einem mit westlichen Firmenlogos bedruckten Festivalzelt. "You see the tents, the flags, the posters, the images everywhere", beschwert sich Musikpromoter Ni Bing in Peking aufgeregt in die Telefonleitung nach Wien, "it’s only been a few years (of the Chinese festivalscene) and it’s already been super-commercialized." Wahllos wird am Gelände gebrandet. Zwei grellfarbige Vorführwagen einer deutschen Autofirma standen sogar mitten auf der Bühne einer vergangenen Ausgabe des hippen Pekinger Strawberry Festivals. Das Problem seien nicht Sponsoren an sich, sondern die große, unkoordinierte Anzahl davon und ihre geringe Zusammenarbeit mit den Veranstaltern – ein Resultat von fehlender Erfahrung der Organisatoren im Marketing und Festivalbusiness.
Rian Dundon
Smarte Starthilfe
Mangelndes Know-How, ähnliche Line-Ups, Festivals ohne Wiedererkennungswert und die finanzielle Abhängkeit von der Regierung sind einige der Kinderkrankheiten, an denen die junge chinesische Festivalkultur leidet. Immer wieder gehen Veranstalter daran bankrott. Doch seit dem ersten MIDI im Jahr 2000 hat man schon einiges rund um das Business dazugelernt. Vor allem lassen internationale Kulturaustauschprogramme Nützliches von sich abschauen. Die German Esplanade, ein mehrjähriges Projekt zwischen China und Deutschland etwa, brachte Formationen wie das Jeans Team, die Fotos, Deichkind, Stereo Total und Leute wie Maximillian Hecker ins Reich der Mitte und fädelte ihnen dort Auftritte unter freiem Himmel ein – beispielsweise neben der chinesischen Sex-Pistols-Ausgabe und den selbsternannten "Bitches of Rock’n’Roll" Joyside. Veranstaltungen wie diese lassen die exotischen Musikanten mit den langen Nasen aus Europa in China groß werden und das Interesse an Musikfestivals dort boomen.
Expat Chn / Douban Users
Something special
Neben den großformatigen cross-genre Festivals wie dem MIDI, wachsen immer mehr Spartenfestivals auf chinesischem Boden. 2009 waren zwei der ersten dieser Art geboren - mit dem Ditan Park Music Festival, das die chinesischen Folksters auch heuer wieder zwischen seelenruhigen Tai-Ji-Praktizierern im Pekinger Ditan Park versammelte, und mit der Premiere des auf elektronische Musik spezialisierten Intro Festivals auf einem weitläufigen, alten Industrieareal hinter dem hippsten Künstlerviertel von Peking. Mehr und mehr Musikfestivals beginnen außerdem (mit einem stark vom westlichen Vorbild beeinflussten Konzept und dessen großteils von westlichen Expats realisierter Umsetzung) Workshops anzubieten und Bereiche der bildenden Kunst zu integrieren, wie das Jue Music and Art Festival in verschiedenen Locations in Peking und Shanghai. Vor wenigen Jahren noch existierten in ganz China fünf Festivals – heute gibt es mehr als hundert davon.
Time Out Beijing
Dem Konsens sein Contra
Mit der Gefahr, in der Flut an Festivalneulingen unterzugehen, steigt die Wichtigkeit von Festivals mit Charakter. Solche Festivals haben eine weit längere Überlebensspanne und bieten eine wichtige, stetige Plattform für ausländische Musik in China und die blühende heimische alternative Musikszene, die vor allem aus der Hauptstadt, aber immer mehr auch aus Shanghai und aus mittelgroßen Städten wie Chengdu, Hangzhou, Shenzhen oder Guangzhou drängt. "There is a kind of youth culture, which is mostly coming from the indie and underground background, really wanting to move to the mainstream", sagt Musikveranstalter und -manager Ni Bing ins Telefon, "there are needs from this market."
Qualitätsmusik aus dem DIY Rock- und Punkbereich wird der Zugang zum Mainstream in China verwehrt – Radiostationen spielen ausschließlich weichgespülten Konsensglanzpop in die strengen Ohren der Zensurkontrolleure. Erst durch Festivals kann die Alternative in der Musik mehr Menschen erreichen. Dort beweist sie ihr einzigartiges Wesen – Kang Mao, schreiende Sängerin der Pekinger Subs sagt dem ZDF: "In China ist Rockmusik mit einem sehr tiefen Gefühl verbunden. Sie hat eine fast spirituelle Bedeutung. Sie fühlt sich rebellisch an, weil man den Eindruck hat, (auf die Situation in unserem Land) keinen Einfluss zu haben."
Rian Dundon
Rian Dundon
Das Festival-Biotop
Ein Biotop für Rebellion ist das MIDI Festival oder das Strawberry Festival in China. Die Festivals schaffen Raum zum Anders-Sein, zum Querdenken, zum Streben nach Individualität – in einem Land, in dem Konformität drückt. Der Durst nach Festivals in China ist groß und will gestillt werden – eine Entwicklung, die weder von Gesellschaft, Politik oder fehlendem Know-How so schnell zu bremsen sein wird.
Der chinesische Musikpromoter Ni Bing übers Telefon aus Peking im Gespräch mit Lina Simon.
Das gesamte Interview im FM4 Interview-Podcast.
Ni Bing: "The whole level of the Chinese festivalscene is really uprising, that’s what I’ve seen in the last five years. (...) I think this kind of trend you can’t stop."
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Matthew Niederhauser
Chinesische Festivals diesen Sommer:
- 21.7.: Yen Great Wall Party. Eine Art elektronisches Mini-Festival mit DJs und VJs auf der Großen Mauer von Huangyaguan außerhalb von Peking. Mit Mickey Zhang (CHN) u.a.
- 27.-29.7.: Zhangbei InMusic Festival. 250 km von Peking in den Grasslands von Hebei – fast schon in der Inneren Mongolei. Mit Spiritualized (UK), Orbital (UK), Linkoban (DK), Tang Dynasty (CHN), Queen Sea Big Shark (CHN) u.a.
- 23.-26.8.: Yoga Midi Festival. Teil der Festivalserie von den Machern des großen MIDI Festivals. Im Guiyang Huaxi Park – in Huaxi, einem Stadtbezirk von Guiyang. Mit Muma & Third Party (CHN), Subs (CHN), Brain Failure (CHN) u.a.
Juli und August sind unglaublich heiß in China und nicht die beliebteste Zeit für Festivals. Die High Season findet stattdessen ab Oktober und vor allem rund um die großen Holidays Ende April und Anfang Mai statt.
- Google-Vorschläge: Midi, Intro, Metro Waves, Strawberry, Modern Sky, China Music Valley, Black Rabbit, 1-2-3.