Erstellt am: 12. 7. 2012 - 23:07 Uhr
Fußball-Journal '12-20.
Das die Euro in Polen und der Ukraine begleitende tägliche EM-Journal 2012 hat Patina angesetzt.
Kehren wir zurück in die Mühen der Ebene; mit einem weiteren Eintrag in das auch heuer wieder regelmäßig publizierte Fußball-Journal '12, das wie schon in den Vorjahren (siehe Fußball-Journal '11) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das Umfeld begleitet.
Sie standen recht verloren auf dem Rasen herum, die kleinen Feuerwerk-Aufbauten. Vielleicht auch, weil der kleine Fußball-Platz in der Hopfengassen selber ein wenig verloren wirkt, im vorstädtischen Ambiente zwischen Prager Straße und Brünner Straße, den großen Ausfalls-Routen von Floridsdorf, dem transdanubischen Stadtteil Wiens, dort, wo die Menschen zunehmend aussehen wie Statisten in den Reality-Zerrbildern des Privatfernsehens.
Ich komme gerne in dieses kleine Stadion des Floridsdorfer AC, des Vereins, der gern die fünfte Macht in Wien wäre; es riecht dort so gut nach satter Erde. Und ich war mit tausend anderen Unentwegten heute abend dort - bei einer richtigen Saisoneröffnung. Es gab das erste Pflichtspiel des heimischen Fußball-Betriebes der Saison 2012/13, der FAC empfing in einem Spiel der 1. Runde des ÖFB-Cups den höherklassigen SCR Altach aus Vorarlberg und alle Besucher mit dem erwähnten kleinen Feuerwerk - vier oder fünf dezente Salven stiegen gen Himmel, und es hatte eine gewisse rührende Feierlichkeit. Vor allem roch es dann dort, wo es eh schon so nach Kindheit und Abenteuerspielplatz riecht, dann auch noch nach den Platzpatronen der Kinderrevolver von früher.
Am Abenteuerspielplatz in der Hopfengasse
Der FAC ist die Nummer 1 in Wien jenseits der Donau, spielt seine Meisterschaft in der Mitte der Regionalliga Ost, der dritten Leistungsstufe. Altach ist die Nummer 1 in Vorarlberg, auch heuer wieder ein Aufstiegskandidat in der zweithöchsten Spielklasse, der 1. Liga. Das Cup-Los führte sie, die sonst nichts miteinander zu tun haben, zusammen, wie bei einem Blind Date. Und um die anderen Wiener Termine noch zu konkurrenzieren, wichen die Florisdorfer auf den heutigen Donnerstag aus. Und kamen so zur Ehre der Eröffnung; und zum Feuerwerk.
Ich habe das nicht auf der kleinen Tribüne des kleinen Stadions (wo man den am selben Tag neuverpflichteten Fernando Troyansky, aber auch den Floridsdorfer Hausherrn Peter Pacult sehen konnte), sondern auf der Gegengeraden gesehen, wo es diese windschief zusammengezimmerte Hütte mit Bier, Kracherl und handgefertigten Wurst/Schnitzelsemmeln gibt und wo sich die Freunde des Auswärtsteams einfinden. Normalerweise. Diesmal verlor sich nur ein einziger Exil-Vorarlberger im Altach-Shirt unter den Gästen. Ganz hinten hat auch der Rapid-Spieler Christopher Drazan zugeschaut, das hab ich mitgekriegt, weil es mein Kugelschreiber war, den sich die Buben für das Autogrammschreiben ausgeborgt haben. Sein Kumpel Andi Dober musste nix unterschreiben, den haben die Buben nicht erkannt. Weiter vorne war der St. Pölten-Trainer Martin Scherb mit einer kleinen Abordnung zu sehen, wohl auf Spionagebesuch, obwohl er erst in der 4. Runde auf Altach treffen wird.
Kleer & Scharinger: Strategie-Stunde für Fortgeschrittene
FAC:
Jausner; Emanuel Sakic, Plott, Alois Prohaska, Andreas Bauer; Mihaljica, Sütcü, Herbst, Viertl, Bichlhuber; Edin Salkic.
In Halbzeit 2 stellt Trainer Kleer auf ein Mittelfeld mit Viertl-Herbst-Sütcü-Bichlhuber um und bringt Pittnauer als zweite Spitze. In der 64. Minute kommt Slawik für Viertl, in der Schlußphase Brem für Sakic.
Altach:
Kobras; Andreas Lienhart, Sulu, Mattias Sereinig, Harun Erbek; Zachhuber, Cuntz, Philip Netzer, Scherrer; Hannes Aigner, Patrick Seeger.
In der 33. kommt Aaron Kircher für den angeschlagenen Scherrer. In der 75. Felipe Dorta für Zachhuber - Seeger geht auf die linke Seite zurück, Dorta spielt vorne. In der Schlußphase noch Verteidiger Jäger für Torschütze Aigner.
Das Spiel aus Sicht des FAC; auf der Homepage von Altach und in allen Medien kann man nur die dürre APA-Meldung nachlesen, das lohnt nicht.
Über den Trainer des FAC, Hans Kleer, der einige Zeit Coach in der hermetischen Vorarlberger Fußballwelt war, wird Scherb später ein paar private, höchst wertschätzende Worte verlieren; ich teile diese Einschätzung. Bei Kleers Mannschaften hat man immer das Gefühl, dass sie sinn- und zweckgerecht ein- und aufgestellt sind; keine Selbstverständlichkeit, gerade in Österreich.
Im ersten Pflichtspiel der Saison kann man meistens noch sehen, wo es hakt, wie die Abläufe zwischen den Spielern, die schon länger dabei sind und den Neuverpflichtungen nicht greifen. Mihajlica, Sütcü und Salkic, die neuen in der FAC-Offensivabteilung, die haben da ihre Probleme. Die gute Raumaufteilung im Mittelfeld hilft dem Außenseiter aber beim Mitspielen mit der klassenhöheren Mannschaft. Kleer beginnt mit einem 4-5-1, das sich im Offensivfall zu einem 4-3-3 oder einem 4-2-3-1 auffächert, das sieht sehr strukturiert aus.
Bei Altach sind nicht nur einige Spieler neu, sondern auch der Trainer; und da Rainer Scharinger ein Deutscher und womöglich einer dieser jungen wilden Konzepttrainer ist, wäre auch eine komplette Umstellung der Philosophie möglich. Ist aber nicht passiert. Wohl auch, weil Vorvorgänger Adi Hütter seinen Altacher Spielern immer höchst intelligente Systeme verpasst und somit gutes Rüstzeug mitgegeben hat. Unter Scharinger spielt Altach in einer 4-4-2-Grundformation, ganz klassisch. Allerdings mit ganz speziellen Extras, etwa der offensiven Außenverteidiger-Variation. Denn fast immer ist entweder der rechte (Andi Lienhart) oder der linke Außenverteidiger (Harun Erbek) ein Flügelangreifer, was die Abwehr zu einem Trio schrumpfen lässt. Gleichzeitig zieht der vor den Außenverteidigern platzierte offensive Flügel (heute sind das der linksfüßige Zachhuber rechts und Scherrer, später Kircher links) nach innen und erhöht so den Druck über die Zentrale. Das ist sehr unösterreichisch: denn in der Bundesliga doppeln einander die hinterherlaufenden Flügelspieler normalerweise - ohne deshalb die Flankenqualität zu erhöhen und verpuffen dadurch.
Kleine Feuerwerke zünden und echte Feuer lodern lassen
Die Führung der Altacher in der 1. Halbzeit entsteht aus so einer druckvollen Aktion von Erbek. Dieser sehr kleine Mann verfügt über eine ungeheure Spielkraft und über Mitreißer-Qualitäten - auch ganz ohne das rituelle Gebrülle seines Tormanns Kobras, der 90 Minuten lang das Spiel seiner Vorderleute durchkommentiert. Mit dem neuen zentralen Abwehrmann Aytac Sulu, einem von Scharinger mitgebrachten Deutschtürken, ist Kobras hörbar zufrieden.
Auch beim FAC wird laut mitkommentiert, aber man findet kein Mittel - der Plan, den langen Mittelstürmer Edin Salkic mit Flanken zu füttern, misslingt nämlich. Und der hätte schon aufgehen müssen, um dem deutlich besseren Gegner wirklich zusetzen zu können.. Zur zweiten Halbzeit stellt Kleer auf ein 4-4-2 mit Raute um, Pittnauer kommt als zweite Spitze, aber lange Zeit führt auch das zu nichts; die spielerisch und individuell bessere Altacher Mannschaft verhindert alle Ansätze.
Erst in der Schlussphase, als sich der FAC wegen nachlassender Altacher Konsequenz der Chance, hier in eine Cup-Verlängerung zu kommen, so richtig bewusst wird, lodert ein echtes Feuer auf am FAC-Platz, zünden die Hausherren ein kleines Feuerwerk aus drei, vier wirklich guten Ausgleichs-Möglichkeiten - scheitern aber. Altach geht als 1:0-Sieger vom Platz.
Dorta, Erbek, Salkic, Artisten, Zirkus, Attraktionen
Die große Entdeckung ist vielleicht der ganz ganz junge Mann, das halbe Kind, das Scharinger eine Viertelstunde vor Schluss im Angriff gebracht hat: Felipe Dorta, Sohn des langjährigen Brasilo-Legionärs und jetzigen Altach-Amateur-Cotrainers Alexandre Dorta. Der ist gerade 16 geworden, war in der Rapid-Jugend und dann in der Vorarlberger Akademie und hat den Auftritt einer künftigen Lichtgestalt: seine Schusstechnik, seine Dribbel-Kunst, seine Fähigkeit, den Raum zu nützen - allesamt bemerkenswert, nein, besser: unerhört. Einbürgern, schnell!
Der schönste Moment des Spiels war sicher der, als Harun Erbek, der gefühlte Ein-Meter-Mann in ein Kopfball-Duell mit Basketballer Edin Salkic, dem gefühlten Zweieinhalb-Meter-Typen geht. Das hatte den Charme des Vorstädtischen, der kleinen Show, das ist, als ob der Zirkus aufs Dorf kommt. Mit Feuerwerk, Starautogrammen und ein paar artistischen Attraktionen eben. Mir hat's gefallen, weil so ein Zirkus - erraten - auch nach Kindheit riecht; und sich so vom Blenderischen, von dieser DJ-Ötzi-mäßigen-Provinzialität, die sich für weltmännisch hält, aber bloß peinlich ist, so schön absetzt.