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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

12. 7. 2012 - 17:52

Ein Risikokurs, kein Kletterkurs

Brüchiger Fels, abgeschmierte Griffe und Tritte: Ein Klettersicherheitskurs begleitet auf dem Weg von der Halle an den Fels.

Acht junge Kletterer in braunen T-Shirts stehen am Fuß des Peilsteins, dem größten Klettergebiet in der Nähe von Wien. Sie sind vertieft in ein kleines Heft mit Übungsaufgaben: Sicherungsseil abbinden, Umbauen am Abseilring, selbsttätiges Abseilen. Obwohl sie teilweise schon jahrelang Klettern, sind ihnen diese Aufgaben neu. Denn Kletterer müssen heutzutage keine Alpinisten mehr sein, die meisten beginnen mit dem Klettersport in der Halle, in geschütztem Umfeld.

Kletterinstruktor erklärt zwei Kursteilnehmern die Sicherungshaltung

Simon Welebil FM4

Kletterboom und kein Ende

In den letzten Jahren hat das Hallenklettern einen riesigen Boom erfahren. Allein in und rund um Wien sind drei neue Kletterhallen entstanden, und selbst die sind anständig gefüllt. Nach einiger Zeit wird den meisten Kletterern aber die Halle zu eng und sie drängen an den Fels, doch dort werden sie mit Problemen konfrontiert, die sie aus der Halle nicht kennen: brüchiger Fels, abgeschmierte Griffe und Tritte. Und wenn der erste Sicherungshaken erst in vier Metern Höhe hängt, der nächste noch drei Meter drüber, kommen Zweifel auf, ob man an dieser Wand überhaupt noch rauf will.

Der Umstieg von der Kletterhalle an den Fels gestaltet sich oft schwieriger als gedacht. Nun hat die Alpenvereinsjugend darauf reagiert. Mit den risk'n'fun Klettercamps will man die Mitglieder beim Übergang von der Halle an den Felsen unterstützen.

Vorbereitung zum Klettern

Simon Welebil FM4

Entwicklung der Risikokompetenz

Der Alpenverein übernimmet bei seinen Klettersicherheitscamps die Idee der risk'n'fun-Freeridecamps. Snowboarder und Freeskier haben schon vor Jahren massenhaft den gesicherten Schiraum verlassen und sind ins freie Gelände eingefahren. Ziel des Alpenvereins war es immer, diese Ausflüge und den Spaß nicht zu verbieten, aber den Jugendlichen ein Bewusstsein für das Risiko mitzugeben, das sie eingehen.

Thimo Fiesel und Matthias Pramstaller haben dieses Konzept auf das Klettern umgelegt, wobei ihnen zugute kommt, dass die Gefahren, die in einer Felswand lauern, objektiver beurteilt werden können als in einem verschneiten Hang. Loses oder brüchiges Gelände kann man mit dem Auge erkennen, und auch die Sicherungshaken sind meist vom Wandfuß zu sehen.

Achterknoten im Kletterseil

Simon Welebil FM4

Der Anseilknoten muss sitzen

Deshalb rücken beim Klettern auch individuelle Probleme in den Vordergrund, eigene Ängste und Defizite, denn Klettern spielt sich zu einem großen Teil im Kopf der SportlerInnen ab. Die Kletterer sollen individuell entscheiden, wieviel Risiko sie eingehen wollen und was sie sich zutrauen. Geht sich z.B. der dynamische Zug aus, den die Route erfordert, riskiere ich den Sturz, oder lasse ich es lieber bleiben? Risk'n'fun hilft bei der Entwicklung der persönlichen Risikokompetenz.

Ein Schwerpunkt des Kurses liegt auf der Kommunikation in der Gruppe. Vor allem weil die meisten Unfälle nicht aufgrund von technischen Fehlern passieren, wie Bergführer Axel Tratter erzählt, sondern wegen Kommunikationsproblemen.

barfüßige Kletterer mit Notizzetteln am Boden

Matthias Pramstaller

Durch ein falsch verstandenes Kommando sind schon viele Kletterer abgestürzt. Eigene Kommunikationsspiele sollen ein Verständnis zwischen den Kletterpartnern herstellen

Kein normaler Kletterkurs

Die risk'n'fun-Camps unterscheiden sich von einem normalen Kletterkurs auch dadurch, dass sie kein einheitliches Kursziel vorgeben, das alle erreichen sollen. Die TeilnehmerInnen werden bei ihren jeweiligen Fähigkeiten abgeholt und können darauf aufbauen. Am Peilstein finden sich sowohl Kletterneulinge als auch Fortgeschrittene ein, und jeder kann etwas für sich mitnehmen. Manche interessieren sich mehr für Seiltechnik, wie verschiedene Knoten zu binden sind, andere wollen eher lernen, wie man richtig stürzt oder als Sichernder einen Sturz dynamisch abfängt. Die fünf Tage im Camp ermöglichen auf die verschiedensten Interessen einzugehen.

Das risk'n'fun Klettercamp am Peilstein war das letzte in dieser Saison, für nächste Saison sind aber nicht nur mehr Camps in ganz Österreich angedacht, auch ein Kurs speziell für Fortgeschrittene ist angedacht.

Die vier Seilschaften arbeiten alle Aufgaben in ihrem Heft nacheinander ab. Bei Problemen versuchen sie sich zuerst selbst zu helfen, bevor sie bei den Kursleitern nachhaken.

Sichern von einer Hängematte aus.

Simon Welebil FM4

Diese Sicherungshaltung entspricht nicht der Lehrmeinung!

Jeden Abend wird das Gelernte in Reflexioinseinheiten noch einmal wiederholt, damit es richtig sitzt. Neben den Kursinhalten ist es für die TeilnehmerInnen aber auch ganz wichtig, dass sie viele Klettermeter sammeln, denn nur dadurch können sie Erfahrungen sammeln. Nach drei Tagen Klettern am Fels haben die meisten der KursteilnehmerInnen den größten Respekt vor dem Kalkstein verloren.

Die Motivation, das neue Wissen am Fels umzusetzen ist groß. Mit jeder gekletterten Route werden die KursteilnehmerInnen routinierter und sicherer in ihren Handgriffen, sie müssen nicht mehr bei jedem Handgriff nachdenken. Mit der Routine vergeht die Angst und mit einem sicheren Gefühl macht Klettern gleich viel mehr Spaß.

Kletterer an einem Boulderfelsen wird von einem Kollegen mit den Händen abgesichert.

Matthias Pramstaller