Erstellt am: 17. 7. 2012 - 10:55 Uhr
Small Screen Stories: Popfest 2012
"Who Cares? Österreichischer Pop-Nachlass" heißt eine der sechsteiligen Gesprächsrunden beim heurigen Popfest, anregend als "Wortschwall" betitelt. Und tatsächlich: Wie steht es um die Selektionskriterien unserer Erinnerungskultur, wer hebt überhaupt noch was auf und sind Archive nicht längst zu digitalen Molochen verkommen?
Vor Kurzem ist mir dieser Artikel in der FAZ aufgefallen, der den Boulevard der toten Links, die Mühen einer Archivierung des Internets beschreibt. Fluktuierende Strukturen sind nicht nur in ihrer digitalen Form schwer fassbar, die Menge ist meist das größte Problem: Jedes in Österreich verlegte Druckwerk muss mit einem Pflichtexemplar in der Österreichischen Nationalbibliothek archiviert werden, bis die Bude platzt, schon jetzt wird vorsorglich auf Digitalisierung umgestellt.
Aber bei Musik sieht es anders aus: Wer erinnert sich in achtzig Jahren noch an "Schwunder" vom Nino aus Wien? Wo kann man das nachhören? Wer soll sich überhaupt um den Nachlass österreichischer Bands und MusikerInnen kümmern? Was zum Nachdenken.
- Alle Zeiten und alle Panels auf Popfest Wien
Hier einige Videos im Boulevard der noch funktionierenden Links, die sich im engeren oder weiteren Sinn (mit etwas Fantasie) mit Archivierung beschäftigten. Völlig willkürlich, wie das bei Archivierung nun mal so ist.
Donnerstag, 26. Juli 2012
Die feinen, liebevollen Kleinkunstwerke von They Shoot Music haben ja schon eine Tradition für das gesamte Popfest erlangt. Während des Festivals übertragen sie die Shows der Seebühne, unabhängig von ihrer Länge, dem Wetter trotzend. Und, das sei hier nochmals hervorgehoben, vor dem Festival beliefern sie das mediengeile Umfeld, das immer irgendwie über Pop berichten will und muss, mit intimen Sessions ausgewählter Popfest-Bands. Für die einen Werbung, für die anderen eine stilvolle Annäherung an noch meist unbekannte Acts. In diesem Fall die Exil-Linzer The Beth Edges und die in Wien lebende türkischstämmige Künstlerin Nihal Sentürk alias Fatima Spar mit ihren Freedom Fries.
Freitag, 27. Juli 2012
Am Freitag tritt die beinahe-Schwedin Lonely Drifter Karen auf, die mich auf Festivalbühnen immer etwas irritiert. Es mag an ihren verschnörkelten, oft nicht einfach zugänglichen Stücken liegen, die Konzentration und Aufmerksamkeit verlangen, ja sogar einfordern. Es mag auch an ihrer Spiellaune liegen, von akustischen Klangfarben zu knisternder Elektronik. Und weil wir gerade bei Archivierung sind: Auch in ihrem Video zur Single "The Colors Red" aus dem aktuellen Album "Poles" versucht einer zu sammeln, sich die Zeitungsausschnitte aufzulegen, eine gewisse Linearität und Stabilität reinzubringen. Ob's was bringt?
Und dann Elektro Guzzi. An denen kommt man ja in den letzten Monaten nur schwer vorbei, wurden sie ja schon im Ausland hochgelobt. Endlich auch am Popfest, ein Spot, der irgendwie passt: halb zwei Uhr morgens im TU Prechtlsaal. Wer sich darauf einstimmen mag, dem sei die kunstvolle Dreigliedrigkeit von "Pentagonia", ein Auszug aus "Parquet", ans Herz gelegt, düster und pulsierend, ein Road-Movie der Split-Screens.
Samstag, 28. Juli 2012
Frenk Lebel und Werner Möbius alias Play The Tracks Of: Für mich ein kleiner Geheimtipp, der triefende Rückgriff auf Achtziger Jahre-Pop-Ästhetik, schwebende Keyboard-Teppiche, einlullende Harmonien, immer ein wenig melancholisch im Unterton. Schon 1996 veröffentlichten die beiden mit "Beautycase" ein maschinengetriebenes, hochumjubeltes Werk, danach lange Funkstille. 2012 stellen sie am Popfest ihr noch unveröffentlichtes Album "Collectible" vor - die Archivierung im Titel ist auch hier kein Zufall.
Beim Stichwort Archivierung, auch im oben erwähnten FAZ-Artikel, fällt gerne auch der Begriff der Selektion: Was soll man denn nun aufheben? Sicherlich doch keine Facebook-Statusmeldungen über das Gießen der Topfplanze oder über das Füttern der Katze, schon gar keine sinnlosen Chat-Diskussionen oder hirnrissige Twitter-Einträge, welche Staffel welcher TV-Serie man nun nicht gesehen hat. Wie sieht es mit Home-Videos aus? Videos von der Weihnachtsfeier, als Oma sich am Kabeljau verschluckt hat? Diese gesellschaftlichspolitisch brennenden Fragen stellen auch die Lieblinge der Nation Kreisky in ihrem Video zu "Bitte Bitte" - besser kann ich mir dieses Video nicht schönreden. Verneig.
Sonntag, 29. Juli 2012
Der Sonntag, mein Lieblingstag, denn da bekommt das Wien Museum fast jede Aufmerksamkeit, die es verdient, die Seebühne wird nämlich dicht gemacht. Und im Wien Museum, da spielt vielleicht mein Traum-Line-Up mit Woodpigeon und Squalloscope. Beide wohnen laut Aussagen von Anna Kohlweis nicht weit weg voneinander, das sei hervorgehoben, ist Woodpigeon doch ein Kanadier (allerdings mit Wiener Wurzeln). Beide haben auch noch was anderes gemeinsam: Sie können nicht genug von mir gelobt werden. Squalloscope, Ex-Paper Bird, die es spielerisch geschafft hat, mit neuem Namen ein noch größeres Publikum zu erlangen und Woodpigeon, die romantischte Versuchung, seit es bärtigen Folk-Pop gibt, die hingebungsvoll auf die Loop-Pedale drückt.
Hier zwei große Beispiele: Squalloscope covert Springsteens "I'm On Fire" mit drückender Atmung als Rhythmus, für mich immer eines seiner besten Stücke, da das brennende, leidenschaftliche Verlangen nach dem little girl ja nur durch die Zähne gepresst gehaucht wird. Fast animalisch, gierend. Und das nun von Fräulein Kohlweis. Shit, yes.
Und hier "For Paolo" von Woodpigeon. Mit nostalgischen Wien-Bildern im Hintergrund. Das Popfest 3.0 kann kommen. I am ready to archive.