Erstellt am: 11. 7. 2012 - 16:58 Uhr
Fußball-Journal '12-19.
Das die Euro in Polen und der Ukraine begleitende tägliche EM-Journal 2012 hat Patina angesetzt.
Kehren wir zurück in die Mühen der Ebene; mit einem weiteren Eintrag in das auch heuer wieder regelmäßig publizierte Fußball-Journal '12, das wie schon in den Vorjahren (siehe Fußball-Journal '11) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das Umfeld begleitet.
Heute mit einem Blick retour auf das bislang bedeutendste und nachhaltigste Ereignis des österreichischen Fußballs im 21. Jahrhundert.
Vor genau fünf Jahren, am 11. Juli 2007, betrat eine österreichische Nationalmannschaft bedeutendes und ungewohntes Terrain - ein Gebiet, das davor ein Vierteljahrhundert lang Sperrzone gewesen war: die K.O.-Phase eines Weltturniers. Und während sich das A-Team anno 1982 nur durch das übelste Match-Fixing der Fußballgeschichte dort zu Unrecht hineingeschummelt hatte und in weiterer Folge nichts mehr gewinnen konnte, surfte die U20-Nationalmannschaft anno 2007 auf einer Welle der Sympathie bis ins kleine Finale.
Damals, im Juli 2007, in Kanada.
Einem Wendepunkt im österreichischen Fußball, wie wir heute, in der Nachbetrachtung, feststellen können.
Dieser Turnier-Erfolg hatte mehr Bedeutung für den österreichischen Fußball als die ein Jahr später folgende Heim-Euro (von der außer Stadion-Grotesken in Klagenfurt und Innsbruck ja nichts überblieb), er sorgte für mehr Impact als alle Vereins-Erfolge (Champions-League-erreichen abwärts) zusammen.
Dieser vierte Platz bei der U20-Weltmeisterschaft brachte einer neuen, kommunikationstechnisch aufgeweckten Generation an jungen Spielern die Gewissheit, dass das Österreichertum per se keineswegs ein Ausschlussgrund fürs Mitspielen im internationalen Kontext darstellt, sondern die Provinzialität des fußballerischen Managements dahinter. Und dass man dieses Übel auch durchbrechen kann. Der Erfolg bestätigte ein erwachendes Selbstbewusstsein einer Generation, die ihr Ziel nicht mehr im satten Abcashen in der heimischen Liga sah, sondern im richtigen Fußballausland.
Österreichertum ist kein Ausschlussgrund fürs Mitspielen
Zum anderen brachte der gezielte und gewachsene Erfolg dieser Generation auch den dafür zuständigen Trainerstab in eine Position der Definitionsmacht: Paul Gludovatz und Gerhard Schweitzer bekamen ihre Liga-Chance bei der SV Ried und zeigten der selbstgefälligen, sich allein auf ihre Meriten als vormalige Spieler berufenden Kollegenschaft, was man mit Cleverness, strategischer Schläue und dem Einsatz moderner Methoden - auch als eigentlich unterlegenes Team - erreichen kann. Das wiederum ist für den heuer erstmals quantifizierbaren Turnaround am Trainersektor (mehr Konzept-Coaches als Show-Trainer, siehe dazu das Fußball-Journal '12-18 von gestern) verantwortlich.
Außerdem löste der Erfolg des ÖFB-Nachwuchses auch direkt die Ruttensteiner-Revolte aus dem Herbst 2011, nämlich die Installierung eines Teamchefs, der ebenjener Konzepttrainer-Zunft außerhalb der üblichen Seilschaften entspringt, aus.
Mehr über die U20-WM von 2007 wissen die Kollegen von ballverliebt, die eine umfassende Analyse aller Matches unternommen haben.
Nach den ungeschlagen bewältigten Gruppen-Spielen gegen Gastgeber Kanada, Afrikameister Congo und Co-Favorit Chile gewannen die Junioren am 11. Juli das Achtelfinale gegen Gambia ebenso mit 2:1 wie dann (in der Verlängerung) auch das Viertelfinale gegen die USA mit Stars wie Adu oder Altidore, ehe dann im Semifinale am 18. Juli Tschechien zu stark war. Im kleinen Finale am 22. 7. wartete dann wieder die Mannschaft von Chile, die in weiten Zügen den Kern der grandiosen Mannschaft von 2010 stellte.
Einzig für die Euro '08 (für die nur Prödl, Harnik und Hoffer hochgezogen wurden) war es zu spät. Da vertraute Vorsichtl Hickersberger auf seine eingefahrenen Strukturen der Erfolg- und Planlosigkeit, anstatt sich am Modell der WM '07 zu orientieren.
Trainer Gludovatz war als krasser Außenseiter ins Turnier gegangen und hatte so eine Defensiv-Taktik mit starkem Pressing, schnellem Umschalten und Spielern, die Tempogegenstöße fahren konnten ausgegeben. Eine solche präzis auf die Fähigkeiten der Mannschaft abgestimmte Strategie hätte Österreich auch 2008 gebraucht - Hickersberger setzte da aber höchst halbherzig an, und scheiterte zurecht.
2007 wirkt deutlich stärker nach als die schwache Euro '08
Während sich Hickersberger seine Spieler in einer altbacken inszenierten Fünfer-Abwehr oder in ein feig-flaches 4-4-2 quetschte, hatte Gludovatz bereits das heute selbstverständliche 4-2-3-1 institutionalisiert. Und selbst Marcel Koller griff unlängst auf diese Ansätze zurück: dass Veli Kavlak einen tollen Hybrid-Sechser/Achter spielen kann, hat er in Kanada unter Gludovatz erstbewiesen.
Wie wichtig für Gludovatz der immer auf den jeweiligen Gegner abgestimmte Matchplan war, zeigte eine jüngst getätigte Aussage: er habe schlaflose Nächte darüber verbracht, welchen Stürmertyp er besser in der Anfangsformation bringen würde, ob es Hoffer oder Okotie sein solle. Es ist die Detailversessenheit, die den Erfolg ausmacht.
Auf Hoffer, Okotie, Madl, Hackmair, Suttner aber auch Idrizaj und Patrick Bürger hatte Gludovatz schon bei der Teilnahme an der EM-Endrunde der U17 2004 zurückgegriffen. 2006 bei der U19-EM war der Kader bereits fast ident mit der WM-Besetzung. Dort unterlag man im Halbfinale Spanien mit Pique, Javi Garcia oder Mata.
Danke an Niko Ostermann für die aktuelle Kuru-Info.
Der damalige WM-Kader hat durchaus Karriere gemacht: Sebastian Prödl, Zlatko Junuzović (Werder), Martin Harnik (Stuttgart), Veli Kavlak (Besiktas) und Erwin Hoffer (Napoli/Frankfurt) spielen im Ausland; Markus Suttner, Tomáš Šimkovič (Austria), Thomas Hinum (Ried), Michael Madl, Rubin Okotie (Sturm) und Peter Hackmair (Innsbruck) in der Bundesliga. Michael Stanislaw, zuletzt bei Wr. Neustadt, ist eben in Ungarn beim Egri FC gelandet. Thomas Panny, Siegfried Rasswalder, überraschend auch Daniel Gramann und Bernhard Morgenthaler sowie die Ersatzleute Thomas Pirker und Ingo Enzenberger haben es nur bis in die Regionalliga geschafft.
Schlimm hat es nur die Torleute erwischt: Bartoloměj Kuru ist nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit erst dieser Tage bei Slavia Prag untergekommen, von wo aus allerdings gleich zu den Bohemians in die zweite tschechische Liga weiterverliehen wird, Michael Zaglmair wird es bald sein, nur Andreas Lukse hat es unter Damir Canadi nach Lustenau geschafft. Der damalige 4. Tormann Marco Knaller ist aus Deutschland retour beim WAC. Damals aus disziplinären Gründen aussortiert wurden der mittlerweile verstorbene Besian Idrizaj und Daniel Sikorski (jetzt Wisla Krakau), im erweiterten Kader vor der WM finden sich auch Namen wie Clemens Walch, Harald Pichler, Sandro Zakany, Butrint Vishaj, Thomas Schrammel, Marco Perchtold, Martin Pusic oder Alexander Gorgon. In der nächsten Generation, die 2008 die Endrunde der U19-Euro bestritt, finden sich Namen wie Marko Arnautovic, Julian Baumgartlinger, Daniel Beichler oder Georg Margreiter.
Neues Selbstbewusstsein, neue Trainingsphilosophien
Dort, wo vor dem Juli 2007 Ödnis und Mutlosigkeit herrschten, die Legionärsdichte - vor allem in Deutschland - deutlich zu wünschen übrig ließ, kam nach dem Juli 2007 Bewegung rein.
Dort, wo vor dem Juli 2007 auf scheinbar Artfremdes wie Taktik/Strategie/Systemplanung mit einer Reaktion wie der des gesunden Volksempfindens gegen entartete Kunst reagiert wurde, setzte eine langsame (und immer noch zähe) Beschäftigung mit den Neuerungen des modernen Fußballs ein.
Dort, wo vor dem Juli 2007 noch Mainstream-Media mit seiner Gefälligkeits-Berichterstattung hart am Rande der strukturellen Korruption ein Monopol hatten, gedieh die Fan/Sport-Berichterstattung in den neuen Medien und wuchs sich zu einem mittlerweile unverzichtbaren (und einflussreichen) Korrektiv aus.
An all diesen Entwicklungen hat die U20-WM und vor allem das Wie der österreichischen Beteiligung daran entscheidenden Anteil - und das ist nach fünf Jahren, also einem historisch bereits messbaren Zeitraum, deutlich feststellbar.