Erstellt am: 9. 7. 2012 - 11:12 Uhr
Artist Of The Week: Dirty Projectors
Für die Zeit nach seiner Rückkehr aus dem Militärdienst hatte sich der King Of Rock’n‘ Roll eine Menge vorgenommen. Laut seinem Biografen Peter Guralnick plante Elvis nichts Geringeres, als die US-Bürger mit der heilenden Kraft der Musik näher zueinander zu bringen. Der Rock'n'Roll war nur ein erster, notwendiger Schritt für den mit Gospel, Blues und Country aufgewachsenen Trucker aus Memphis. Am Ende sollte ein großes American Songbook stehen, das unter seiner Regie alle ethnischen und sozialen Gegensätze überwinden würde. Doch vorher wollte Elvis noch schnell eine Filmkarriere einschieben und der Mama einige Oscars in die Kommode stellen. Sein abgebrühter Manager hatte ebenfalls andere Pläne. Kurz, irgendwie ging sich das mit dem American Songbook nicht wirklich aus. Schließlich wurde Elvis von den sechziger Jahren und deren musikalischen und sozialen Revolutionen regelrecht überrollt. Als der angeschlagene König am Ende der Dekade wieder einigermaßen auf die Beine kam, war es bereits zu spät. Sein Songbook sollte er fortan genialisch bis bemitleidenswert als Hohepriester von Las Vegas zelebrieren. If I Can Dream.
Dirty Projectors
Zeitenwechsel. Wir schreiben das Jahr 2012. Dave Longstreth, der kreative Kopf der Dirty Projectors, gibt dem Online-Magazin Pitchfork.com ein Iesenswertes Interview. Longstreth warnt dort einerseits davor, die (Pop)Musik als ein für allemal erledigt zu betrachten. Er stellt aber auch fest, dass sie, die Musik, derzeit nicht allzuviel zum kulturellen und gesellschaftlichen Diskurs unserer Tage beitragen könne.
Eine bescheidene Aussage für jemanden, der sein neues Album "Swing Lo Magellan" getauft hat. Der Titel mag durch die Hipster-Brille betrachtet ironisch anmuten. Wer aber die ambitionierte Musik der Dirty Projectors kennt, ahnt, dass hier ernsthaft in der Dimension von Musikgeschichte (Spiritual "Swing Low Sweet Chariot") und mit hochtrabenden Visionen (Weltumsegler Ferdinand Magellan) gedacht wurde. Und der Yale-Abgänger Longstreth macht auch kein Geheimnis aus seinem künstlerischen Impuls, Legosteine eher im großen Stil auseinanderzunehmen als sie nach Bauplan zusammenzusetzen. Am Ende geht es um die Essenz künstlerischen Schaffens.
Domino
Mit dem Schraubenzieher an der Musikgeschiche
So hat Longstreth über zehn Jahre, sechs Studioalben und ca. 20 Bandmitglieder mit dem Schraubenzieher die Popgeschichte bearbeitet und einen sehr eigentümlichen und tatsächlich unverwechselbaren Sound entwickelt. Dieser ist geprägt vom kontrapunktischen Dreiklang des bandinternen Frauenchors, von exotischen Polyrythmen und zerhackten Hip Hop Beats, von sprunghaften Tempiwechseln, von Folk, Hardcore, Psychedelic und 60s Pop, auch von moderner Klassik und orchestralen Arrangements. Anders: Freunde des Wohl- und Weichklanges finden die Musik der Dirty Projectors in der Regel etwas anstrengend. Als „Fucked Up Americana“ hat der nicht nur vom äußeren Erscheinungsbild an den jungen David Byrne gemahnende seine Dekonstruktionsarbeit am American Songbook einmal bezeichnet. Ein verkehrter Elvis sozusagen.
All das findet sich auch am neuen Album. Und doch dürfen sich dieses Mal auch Seele und Herz freuen, denn erstmals ging es dem Maestro weniger um eine hochtrabende Konzeptarbeit, sondern um "die verdammt schwierige Aufgabe, möglichst einfache Popsongs zu schreiben und die Instrumetalparts einmal nicht gegeneinander zu schieben, sondern das zu machen, was der Song verlangt". Auch die Texarbeit sollte den Melodien gehorchen. Den genauen Grund für diese Neuorientierung mochte er nirgendwo nennen. Vielleicht lag es auch am Sabbatical von Sangespartnerin Angel Deradoorian. Freundin Amber Coffman und Haley Dekle sind dem Bandchor zwar erhalten geblieben, doch Longstreth übernahm viele der Vocal-Parts selbst und inszenierte sich als expressiven Crooner, der in ruhigen Lagen gefährlich nach Damon Albarn klingen kann.
Klar, es bleibt trotzdem weiterhin vertrackt. Schon am möglicherweise genialsten Opener eines Albums seit langer Zeit, dem Song "Offspring Are Blank", hält Longstreth seinen Vorsatz nur wenige Takte durch, bis der um eine 808-Bassline schmeichelnde Chor eins mit einem The-Who-mäßigen Gitarrenbreak übergezogen bekommt. Doch selten hat experimentelle Musik so beseelt geklungen wie in diesem irre schönen Stück Musik, das in knappen Worten die Schöpfung und als Bedrohung erscheinen lässt. Da bauen sich im Kopf wie von allein Bilder von sumpfigen Urlandschaften zusammen oder es tauchen Unheil ankündigende Segeln am Horziont auf, während tief unter den Sedimentschichten ein unglaublich cooler Bass swingt.
Indie Gentrification
Mit Animal Collective und Grizzly Bear bilden die Dirty Projectors die "Großen Drei" der experimentellen Popszene Brooklyns. Nach der Williamsburg-Gründergeneration rund um das Triumvirat Yeah Yeah Yeahs, Liars und TV On The Radio Anfang des Milleniums haben diese drei Formationen den Ruf von BK als Durchlauferhitzer der post-industriellen-Popmusik zementiert, aber auch eine (auch künstlerische) Gentrification befördert, die viele Acts der ursprünglichen Jahrgänge in andere Viertel oder Städte wie Philadelphia oder Baltimore vertrieben hat.
Dirty Projectors
Während das Anmial Collective und Grizzly Bear sich an der zeitgemäßen Verschränkung von traditionell "weißer" Musik - von Folk, über Psychedelic und Kraut Rock bis hin zur experimentellen Elektronik - verdient gemacht haben, hat Longstreth über die letzten Jahre zunehmend "schwarze" Musiken in seinen Soundfuhrpark integriert - vorwiegend Hip Hop und R&B, aber auch Gospel und Spirituals. Wie zuvor etwa David Byrne und Brian Eno mit dem Album "My Life In The Bush Of Ghosts" (1981) ist es den Dirty Projectors gelungen, einen ganz eigenen Stil zu kreieren und dabei die Identität als forschendes Mittelklasse-Weißbrot intakt zu lassen. Longstreth will definitv kein R. Kelly sein und hat auch nur wenig mit dem Zugang einer Adele gemein.
Made In America
Dieses Ringen um eine eigene Sprache wird nicht nur von der einschlägigen Indie-Fachwelt gewürdigt, Respect kommt auch von den obersten Instanzen des Hip Hop. Kanye West, dessen Credo "sich selbst nur in epischen Dimensionen zu denken" (Longstreth zu Pitchfork.com) der Dirty Projectors Leader in künstlerischen Belangen einiges abgewinnen kann, ist seit "Stillness Is The Move", der Erfolgssingle aus dem letzten DP-Album "Bitte Orca", bekennende Fan der Art-Rocker aus Brooklyn. Jay-Z wiederum hat die Band persönlich für sein im September in Philadelphia stattfindendes Made In America Festival engagiert, das in den Staaten als Wahlempfehlung für Barack Obama gelesen wird. Der 2009er Tune "Stillness Is The Move" kann durchaus als Schlüsselsong für die aktuell schwerst angesagten R&B-Einflüsse in der progressiven Popmusik gehört werden (u.a. die Neuen von Chromatics und Yeasayer, Polica, Bon Iver) und umgekehrt auch für die "Indifizierung" von R&B (z.B. Frank Ocean, aber durchaus auch Drake oder The Weeknd).
Trailer für den kommenden Dirty Projectors Film "High Custodian"
Auf "Swing Lo Magellan" ist auch eine verstärkte Hinwendung zur Melodik, zum Songformat und dem Effekt-Spektrum der fünfziger und sechziger Jahre auszumachen. Mit dem Stück "Impregnable Question" hat Longstreth gar einen richtig naiven "Summer Of Love" Tune in die Welt gesetzt. The Mamas And The Papas lassen grüßen. Mein persönlicher Favorit ist aber der Schlusssong "Irresponsible Tune", eine sowohl kompositorisch wie auch sonisch äußerst gelungene Annäherung an die Elvis-Balladen aus dessen Zeit bei Sun Records und den frühen RCA-Jahren. Hier bringt Longstreth mit einigen Zeilen das ewige Rock ‚N‘ Roll Mantra besser auf den Punkt, als sämtliche Schlurfbuben und Lederjackenhanseln, die derzeit durch die H-Gazettis rasen und die hier auch ein wenig ätzende Pommade wegbekommen. Flankiert von einem Jordanaires-like Chor singt der Indie-Elvis: "With our songs, we are outlawed. With our songs we are alone, but without songs we are lost and life is pointless, harsh and long". Man möchte schmelzen. Selbstverständlich wie Bio-Schokolade, denn die Zeit, sie bewegt sich ja doch.
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