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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

11. 7. 2012 - 13:51

Tak Tak

Das Roskilde-Festival in Dänemark ist angeblich Björks Lieblingsspot, eines der größten Festivals Europas und ein bisschen perfekte Welt.

FM4 - Your Festivalradio

Roskilde ist anders. Egal, wen man im Vorfeld fragt, wer einen beim ersten Dänemark-Besuch in Empfang nimmt, darüber schreibt, bloggt, erzählt - Roskilde ist anders, in diesem Punkt sind sich alle einig. Auf den ersten Blick ist es dann vielleicht gar nicht so anders. Sieben Bühnen gibt es hier, das ist zwar größer als der Durchschnitt der zahlreichen Festivals, die in den Sommermonaten auf europäischem Boden sprießen, normale Bühnen sind es trotzdem, ein etwas zersprageltes Lineup, die Zelte sind mit Filzstiften beschmiert, auf dem Campingplatz spielt jemand Eternal Flame auf der Gitarre. Einundvierzig umzugsfreie Jahre Erfahrung hat man hier mit der Festivalorganisation. Es gibt genügend Klos, wahnsinnig gutes Essen, freundliche Menschen, gratis Wasser, Securities, die einen umarmen. Roskilde ist anders? Langsam ergibt dieser Satz Sinn.

Visualinstallation in der Social Zone

Helena Lundquist/Roskilde Festival

Visualinstallation in der Social Zone

Das hauptsächliche Alleinstellungsmerkmal von Roskilde, dieser riesigen Festivalmaschine mit über 100 000 Besuchern und 30 000 Mitarbeitern, diesem Lieblingsfestival zahlreicher Künstler (Björk hat ihren Gig hier als einen der wenigen dieses Sommers nicht abgesagt), dieser kleinen Welt vierzig Kilometer außerhalb von Kopenhagen, die Jahr für Jahr eine Woche lang zur fünftgrößten Stadt Dänemarks wird, ist in Wahrheit so unwahrscheinlich, dass man eine Zeit lang braucht, um seine Bedeutung zu erfassen: das Event ist, ähnlich wie der Festivalriese Glastonbury, nicht auf Profit ausgerichtet; alle arbeiten hier ehrenamtlich.

Roskilde Guest

Michael Flarup/Roskilde Festival

"Alle" umschließt hier Booker ebenso wie den größten Teil der Organisatoren, Fahrer, Wegweiserinnen, Roadies, Köche, Barleute, Müllaufsammler, Securities, Lichttechnikerinnen. Das Team schläft bis hin zu den allerhöchsten Organisatoren selbst am Campingplatz. Wäre das nicht schon Utopie genug, sind hier auch noch alle freundlich, aufgeschlossen, hübsch, tolerant und sprechen perfektes Englisch. Das nach der Hauptbühne Orange Stage benannte Festivalgefühl "Orange Feeling" ist für die Festivalbesucher, viele von ihnen Stammgäste der ersten Stunde, eine Art Hakuna Matata.

Orange Stage / Roskilde Festival 2012

Claus Bjørn Larsen/Rockphoto/Roskilde Festival

Groß ist groß: Orange Stage.

Hippie-Hipster und soziales Bewusstsein

Die Tatsache, dass man sich zur ehrenamtlichen Arbeit melden kann, dann ein gewisses Maß an Stunden absolvieren muss und dafür ein Festivalticket bekommt (die Deals variieren natürlicherweise je nach Arbeitsumfang), ermöglicht es auch Menschen, denen ein Wochenendpass um 240 Euro zu teuer wäre, Teil der Fantasiewelt zu werden. Von Off-Roskilde-Gegenveranstaltungen hat man jedenfalls noch nichts gehört. Dass Kunst, Nachhaltigkeit, Fair Trade Kaffee, Bewusstseinsbildung für die Anliegen von Asylwerbern oder Workshops über soziale Stadtplanung großgeschrieben werden, scheint sich angesichts des Obenstehenden fast von selbst zu verstehen, und wem das alles in seinem Weltumarmungswillen schon einen Tick zu dick aufgetragen wirkt, der sei auch vor den Hug Teams gewarnt, die auf dem Festivalgelände Liebe verbreiten. Ein Hippie-Festival ist es trotzdem nicht - irgendwer wird schon ein Stofftuch mit Om-Zeichen im Zelt hängen haben - die übliche Ausrüstung der Besucher besteht aber aus Gummistiefel, Hot Pants, Roskilde-T-Shirt, ordentlichem Haarschnitt und manchmal auch Kinderwagen mit Kind drin.

Musik gibt es auch

Cold Specks @ Roskilde 2012

Per Lange/Roskilde Festival

Cold Specks

Zuallererst ist Roskilde immer noch ein Musikfestival und kann mit einem Bookingbudget von unglaublichen 5,4 Millionen Euro große Sprünge machen. Headliner wie Bruce Springsteen, Björk, The Roots, Jack White und The Cure wirken auf den ersten Blick vielleicht etwas willkürlich ausgewählt, noch dazu, wenn auf den anderen Bühnen nach jemandem wie dem kanadischen Soul-Stimmwunder Cold Specks die Thrash-Metalmonster Warbringer auftreten. Mit Acts wie Refused, H2O, Nasum oder Machine Head ist die Hardcore-Fraktion glücklich, es gibt aber auch Weltmusik, Percussiongruppen, ein bisschen Techno und Dubstep und natürlich extra viel Indie und Pop. Dass die Bühnen bis auf eine Ausnahme bei weitem nicht monothematisch programmiert sind, erweist sich bei näherer Betrachtung als umso spannenderes Detail, auch wenn einem nach den gefühlten tausend zurückgelegten Festivalkilometern zwischen den Konzerten die Füße weh tun.

The Cure / Roskilde Festival

Christian Hjorth/Roskilde Festival

The Cure

Wo also anfangen nach vier Tagen und zweihundert Konzerten? Es hat sich anscheinend so eingebürgert, dass die Headliner in Roskilde dreistündige Megasets spielen. So eröffnen The Cure am Donnerstag die große Bühne mit knappen vierzig Nummern, neuere Songs wie "Sleep when I'm dead" ebenso inklusive wie ganz alte ("Bananafishbones") und alle Hits. Einige Längen hat der Auftritt leider dennoch, Robert Smith sieht etwas erschreckend wie eine Karikatur seiner selbst aus. Anscheinend ist dieses - lieber müsste man es nicht sagen -
Lustlose auch Teil des Programms, sonst würde es ja nicht drei Stunden dauern, Begeisterungsstürme auf und vor der Bühne fühlen sich aber anders an.

Jack White bringt sie dafür am nächsten Tag zum Explodieren. Das Set enthält neben eigenen Nummern auch zahlreich Material von den White Stripes, The Dead Weather und den Raconteurs (wie gut ist eigentlich "Carolina Drama"?); Jack drischt auf die Gitarre, Jack lässt die Stimmbänder vibrieren, Jacks Band The Peacocks besteht aus ebenso bezaubernden wie eindringlichen Meg Whites/Helena Bonham Carters, Jack erdrückt mich. Und dann ganz am Schluss, man konnte sich ja nicht sicher sein, stampft er mit dem Fuß, lässt die Gitarre noch einmal aufheulen und hunderttausend Arme schnellen nach oben und jubeln zu "Seven Nation Army", der Jahrhundertnummer, Jacks Fußballhymne.

Jack White / Roskilde 2012

Per Lange/Roskilde Festival

Julia Holter

Jacob Dinesen/Roskilde Festival

Julia Holter @ Gloria Stage

Es gibt auch ruhigere Momente in Roskilde, Julia Holter auf der Gloria Stage zum Beispiel, deren gebrochenes Halbrund aus Visual-Leinwand-Dreiecken sie wie die Perle einer Muschel präsentiert. Riesig singt Holters eigene Projektion vom Rand der Bühne sie selbst an, ihr Schlagzeuger lässt den Drumstick kontemplativ übers Becken kratzen, der Cello-Bogen saust kontrolliert-fahrlässig über die Saiten, die Flageolett-Töne tragen Holters glasklare Stimme ebenso, wie sie sie brechen. "Try to make yourself a work of art", es ist gut.

Julia Holter at Roskilde 2012

Jacob Dinesen/Roskilde Festival

Julia Holter

Dann gibt es noch das fröhliche Pop-Geklöppel von Django Djano, die exzentrischen Gitarren- und Vokalspinnereien von Song-Dekonstrukteurs und neuerdings Ariel Pink-Weggefährten R. Stevie Moore und den, äh, soliden Indiepop von den Vaccines. M83 verwandeln das Arena-Zelt in eine glitzernde Saxophonwelt, Janelle Monae geht, das soll man nicht müde werden zu betonen, unaufhaltsam ihren Weg als eine der größten Entertainerinnen unserer Zeit weiter. Santigold entzündet das Zelt und beschert die Erkenntnis, dass alles, was sie anfasst, zum Hit wird; die Friendly Fires sind wie immer sie selbst, gut und heiß und energetisch, was über die Schwächen im Songwriting leider noch immer nicht hinwegtäuschen kann. Beth Ditto offenbart ihr komödiantisches Talent und spricht an diesem Freitagnachmittag aus, was das Roskilde Festival im Grunde ausmacht: "Come on everyone, give me your hippiest."

Beth Ditto / Roskilde 2012

Christian Hjorth/Roskilde Festival

"Come on everybody, give me your hippiest!"

Björk

Der Abschlussabend am Sonntag - die Zuschauerreihen haben sich doch bereits merklich gelichtet - trifft einige dann mit überraschender Wucht. Björk steht auf der Bühne und ist noch viel kleiner als man sie sich eigentlich vorgestellt hat und strahlt noch viel größer als die glitzernden Würmer auf ihrem schwarzen Kleid.

Björk at Roskilde 2012

Steffen Jørgensen/Roskilde Festival

Irgendetwas muss in dieser Welt ja doch richtig laufen, wenn eine so verschrobene, im besten aller Sinne eigenartige Künstlerin ein Weltstar ist und unter diesem nie richtig dunklen Himmel in Roskilde 50 000 Menschen – oder sind es doch noch mehr? – dazu bringen kann, mucksmäuschenstill zu werden. Ihr Drummer schlägt auf tibetanische Klangschalen, ihr Frauenchor wiegt sich im Takt, und auch wer mit Björks Exaltiertheit im Allgemeinen oder mit ihren letzten Alben im Speziellen und ihrer immer eigener werdenden Musik nicht viel anfangen konnte, greift sich kurz an die Brust, wenn ihm die Schönheit von Sätzen wie „Coincidence makes sense only with you“ auf einmal klar wird. Wenn Björk bei einer ihrer letzten Nummern kindlich und verschmitzt zu Pfeifen beginnt, darf man auch eine kleine Träne vergießen, dass sie einen so unerwartet ins Herz getroffen hat und dass das kleine Paralleluniversum Roskilde bis zum nächsten Jahr zu Ende ist.

Björk at Roskilde 2012

Steffen Jørgensen/Roskilde Festival

Orange Stage

Silas Staal/Roskilde Festival