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Roland Gratzer

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6. 7. 2012 - 17:55

Dramen in kleiner Dosis

"London 2012" ist das offizielle Spiel zu den Olympischen Spielen. Und der Anfang vom Ende der Sehnenscheidenentzündung.

Irgendwie wirkt er ängstlich, obwohl es ein Standbild ist. Der unbekannte Athlet mit viel zu kleiner Badehose am 10-Meter-Turm. Kurz vorm Sprung. Untermalt mit melancholischem Streicherquartett. Das erste Bild von "Olympia 2012" schaut aus wie ein Filmplakat von Wes Anderson. Allein dieses digitale Gemälde hat mehr menschliche Wärme und Schönheit als der gesamte "Vancouver 2010"-Griff in Gatsch.

Sega hat sich also wieder die Lizenzen geschnappt und darf das offizielle Spiel zum Mekka der Randsportarten auf den Markt bringen. Von 45 verschiedenen Disziplinen ist hier die Rede, wie nach jeder Olympiade natürlich schamlos übertrieben. Bereinigt man die Zahl um die Bewerbe, die sich nur in Spielzeit, nicht aber Charakter unterscheiden, bleiben cirka 25 über. Dass Dinge wie Basketball und Fußball fehlen, ist kein Wunder. Den diesbezüglich bekannten Spielestandard kriegt man auf dem einen Speichermedium einfach nicht unter.

Olympia Screenshot

Sega

Die absolut beste Disziplin: "Olympische Schnellfeuerpistole 25 Meter"

Der Sport ist die einzige Kulturtechnik, in der Patriotismus nicht nach Steckerlbrunzn riecht. Im "Olympiamodus", der alle Bewerbe hintereinander einschließt, klicken wir natürlich auf rot-weiß-rot. "Kampfsport und Gewichtheben" gibt uns der Bildschirm als Antwort zurück. Darin ist Österreich also gut. Eine völlig sinnlose Information für dieses Spiel. Die Charaktere sehen zwar menschenähnlich aus, unterscheiden sich aber nicht in ihren Fähigkeiten und sind nicht lernfähig. Und Kampfsport ist nicht einmal vertreten.

Noch einmal: Im Vergleich zum grottenschlechten Vancouver-Spiel ist "London 2012" wirklich gut. Der fantastische Kommentar hat bis auf ein paar gravierende Redundanz-Orgien mehr Qualität als jedes EA-Spiel. Liegt aber wohl auch daran, dass sich die Sportarten und somit die Fachtermini abwechseln. Von dieser mir nicht bekannten Tischtennis-Dame lasse ich mir aber nicht mehr vorwerfen, dass meine Vorhand schwach ist. Immerhin habe ich im Finale einen Chinesen besiegt. Einen Chinesen!

Olympia Screenshot

Sega

Radfahren ist sehr fad. Kein Windschatten, kein Rammen, kein Doping.

Angefangen hat (für mich zumindest) alles mit "Summer Games", dem C64 Klassiker aus dem Jahr 1984 und seinem mehr als würdigen Nachfolger "Winter Games" (1986). Die Simplifizierung hochkomplizierter Sportarten auf eine simple aber schmerzhafte Sehnenscheidenentzündung hat nicht nur Tastaturen ruiniert, sondern auch Spielerherzen erobert. Die Überinterpretation kleinster Bewegungen, die monatelange Millimeter-Jagd, der Offline-Vergleich von Highscore-Tabellen. Der neidische Blick auf Freunde, die beim Skispringen immer besser sind, die Konzentration auf die eigene Superdisziplin. Das rhythmische Hämmern auf Pfeiltasten ist zur unhinterfragten Alltagspraxis geworden, in die wohl mehr Komplexität hineininterpretiert wurde, als so eine dreckige Tastatur überhaupt drauf hat.

Olympia Screenshot

Sega

Ausgesprochen unterhaltsame Alternative: "Mario und Sonic bei den Olympischen Spielen"

Dieser schleichende Schmerz, der sich von Fingerkuppe zu Handgelenk fortpflanzt, ist auch in "London 2012" allgegenwärtig. Doch das Ende der Controller-Folter ist unaufhaltsam. Klar, beim Sprinten muss ich dreschen, auch beim Gewichtheben, aber Timing wird immer mehr zum entscheidenden Faktor, der einen die olympischen Rekorde (Kugelstoßen!!!!) brechen lässt. Den Analog-Stick zur richtigen Zeit in den richtigen Winkel schieben. Die richtige Tastenkombination schaffen. (Eine Schande: das supergeile Bodenturnen bei Peking 2008 ist wegrationalisiert!) Die Entscheidungsgewalt über den sicheren oder gewagten Absprung vor der Sandkiste.

Komplex ist das alles natürlich überhaupt nicht und entweder sofort erlernbar oder eh so langweilig, dass ich nach drei Versuchen abbreche. Naja, okay. Das Rudern habe ich immer noch nicht kapiert, aber egal. "London 2012" ist kein Spiel, das einem nach einem Scheißtag das Gefühl gibt, etwas geleistet zu haben. Es sind kleine Stiche der Freude, die das Handgelenk nicht mehr so belasten wie früher. Wirklich Spaß macht das alles nur im Mehrspielermodus. Nicht online, sondern in echt. Controller verlieren hier nicht nur gerne ihre Tasten sondern landen oftmals auch an der Wand. Zwischenmenschliche Dramen in homöopathischer Dosis. Passivsport halt.