Erstellt am: 6. 7. 2012 - 20:07 Uhr
Aufnahmetest mit Handicap
Seit die österreichischen Medizinuniversitäten Aufnahmeprüfungen für ihre Erstsemestrigen machen dürfen, scheiden sich die Geister an den Testverfahren.
Am Beginn waren es die AusländerInnen: Es haben sich derart viele Nicht-ÖsterreicherInnen (vorwiegend aus Deutschland) angemeldet, dass Horrorszenarien gezeichnet wurden: In Österreich würden bald keine Ärzte und Ärztinnen mehr verfügbar sein. Die Deutschen würden nämlich alle nach dem Studium wieder "nach Hause" fahren. Seitdem gibt es Aufnahmetests mit einer strengen Kontingentierung: 75% der Plätze werden an BewerberInnen mit österreichischem Maturazeugnis vergeben.
Die profitieren von dieser Quote massiv: Im Jahr 2006, dem ersten Jahr dieser Regelung, wären ohne diese Quotierung gerade einmal 46% der Plätze an ÖsterreicherInnen gegangen. Ihre Testergebnisse waren im Schnitt einfach deutlich schlechter als die der deutschen BewerberInnen.
APA/Georg Hochmuth
Seither ist zwar - was die Angst vor einem massiven Mangel an Ärzten und Ärztinnen, die nach dem Studium auch im Land bleiben - etwas Ruhe eingekehrt, vor allem der in Wien und Innsbruck verwendete EMS-Test sorgte aber mit einem anderen Manko immer wieder für Unmut: Er bevorzugt durch seine Konstruktion offenbar männliche Bewerber. Oder benachteiligt die weiblichen, ganz wie man will.
Der EMS-Test ist eine Schweizer Entwicklung und dementsprechend auch dort "geeicht", das Verhältnis der einzelnen Testteile (bei denen statistisch gesehen mal Männer, mal Frauen besser abschneiden) ist zueinander so ausgelegt, dass sich der Gesamtvorteil der Männer in der Schweiz und in Deutschland auch tatsächlich in Grenzen hält.
KandidatInnen mit österreichischem Maturazeugnis ticken aber scheinbar anders. Hier macht der offenbar länderspezifische Gender-Gap der Testkonstruktion einen Strich durch die Rechnung. In Österreich ist der Unterschied in den Ergebnissen von Männern und Frauen deutlich stärker ausgeprägt und erreicht ein Ausmaß, das zumindest auf der Medizinuniversität Wien dafür gesorgt hat, dass in diesem Jahr erstmals Männer und Frauen getrennt beurteilt werden.
Von einer Quote will man dabei nicht sprechen. Und es handelt sich auch wirklich nicht um eine neue Kontingentierung wie der 75%-Quote für österreichische Maturazeugnisse. Die Testergebnisse werden allerdings mit den jeweils geschlechtsspezifischen Mittelwerten in Verbindung gebracht.
Also vereinfacht ausgedrückt: Wir nehmen an, der Mittelwert der Frauen beträgt am Ende 100 Punkte, der der Männer aber 105. Ich erreiche ein persönliches Testergebnis von 105 Punkten. Wenn ich eine Frau bin, dann sind das 105% vom Durchschnitt, wenn ich ein Mann bin 100%. Schreibt man jetzt alle BewerberInnen wieder mit diesem geschlechterspezifischen Score auf eine Liste, dann liege ich als Frau mit 105% deutlich vor einem Mann mit dem eigentlich gleichen Testergebnis, aber "geschlechterbereinigt" nur noch 100%.
APA/Georg Hochmuth
"Notwendiger Ausgleich einer himmelschreienden Ungerechtigkeit" meinen jetzt die einen, "unfair und geradezu gemein" die anderen. Die ÖH an der Medizinuni Wien hat sich strikt gegen diese geschlechtergetrennte Auswertung ausgesprochen und droht bereits mit Klagen, sollten männliche Bewerber deshalb ihren Platz verlieren. Andere Stimmen meinen, jede Erstsemestrige bekomme dadurch den Ruf einer Quoten-Frau, ganz unabhängig davon, ob sie vielleicht sogar ohne getrennte Auswertung die meisten Punkte gehabt hätte.
Tatsächlich ist die Sache aber wohl ein Ausdruck großer Hilflosigkeit. Seit Jahren zeigen sich die Medizinuniversitäten in ihren Evaluierungen der Zulassungstests etwas zerknirscht ob des großen Geschlechtsunterschiedes bei den Testergebnissen. Seit Jahren verweist man mit Hinweis auf die Schweizer Ergebnisse aber auch darauf, dass es am Test allein nicht liegen kann, sondern offenbar schon vorher im Bildungssystem in Österreich irgendetwas schiefer laufen muss als anderswo.
Die Medizinuni Wien sieht das Geschlechterhandicap am Studieneingang als eine Art "letzter Reißleine", die unterschiedliche Sozialisierungen zumindest bei den Zugangsbedingungen halbwegs auszubügeln versucht. In Innsbruck verzichtet man darauf und nimmt den vorprogrammierten Ergebnisunterschied zwischen männlichen und weiblichen BewerberInnen in diesem Jahr noch ein letztes Mal hin. Bis zu den Aufnahmeprüfungen 2013 wollen die beiden Universitäten dann - gemeinsam mit der Medizinuni Graz - einen neuen Test entwickelt haben, der ganz ohne getrennter Auswertung möglichst chancengleich sein soll. Zumindest was Männer und Frauen angeht. Deutsche BewerberInnen werdens dank Quote dann immer noch deutlich schwerer haben.