Erstellt am: 9. 7. 2012 - 11:47 Uhr
Wo die Neurosen verblühen
Weitere Filmrezensionen
Wenn es sowas wie ein Amt für französisch-amerikanische Beziehungen gibt, dann kann das sich gleich Julie Delpys Konterfei auf die Flagge nähen und in den Briefkopf einarbeiten. Als Cecile wandelte sie unter der Regie von Richard Linklater mit dem Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) durch Wien ("Before Sunrise") und Paris ("Before Sunset"), man plauderte, philosophierte und schuf ein wortreiches Generationenporträt. In "2 Tage in Paris" besuchte sie als Marion mit dem amerikanischen Freund an ihrer Seite die Eltern in der französischen Hauptstadt und unter ihrer eigenen Regie inszenierte sie da die Franzosen als sturen, chaotischen und freizügigen Kontrapunkt zum neurotischen und puritanischen Amerikaner, gespielt von Adam Goldberg.
"2 Tage Paris" hatte ein himmelschreiend hässliches Poster, ansonsten aber - dank der Delpy/Goldberg-Chemie - genügend Witz und Woody Allen-Gedächntisdialoge, um aus der Flut der europäischen Filme, die sich an den Geschichtentöpfen "Familientreffen" und "Culture Clash" laben, herauszuragen.
constantin
Im Nachfolge-Vehikel "2 Tage in New York", man ahnt es bereits, ändert sich nur der Boden unter den Füßen der Protagonisten. Marion lebt mit ihrem kleinen Sohn Lulu aus einer früheren Beziehung und Mingus (Chris Rock) in New York. Patchworkfamilie mit kuscheligen Patchworkdecken, Kinderzeichnungen an der Wand und einer Katze. Marion ist Künstlerin, Mingus Radiomoderator. So weit, so bohemian. The horror, the horror, der die französisch-amerikanische Liebesinsel heimsuchen wird, ist Marions Verwandtschaft. Der dicke Papa mit dem Zauselbart (Delpys tatsächlicher Vater Albert), die freizügige Schwester Rose und deren Kiffschädelfreund Manu fallen mit Getöse wie barbarische Hunnen in den US of A ein und lassen den stets freundlichen und höflichen Mingus an Gool ol' Europe zweifeln.
Constantin
Gerade so, als ob man im Big Apple auch die Pointen größer machen müsste, platziert Delpy Gags mit der Rafinesse von Stinkbomben in ihre familiäre Versuchsanordnung. Wo ihr Alter Ego Marion, mit großer Brille und Stadtneurosen in der Dimension von Alvy Singer, durchaus chaotisch-charmant agiert, wünscht man sich den Rest der Familie zu einer Extrarunde im Nacktscanner am Flughafen.
Wie eine Rampensau auf Pocket Coffee poltert Papa Delpy durch die kleine Wohnung, vermisst das französische Essen und zerkratzt luxuriöse Autos mit dem Schlüssel. Schwester Rose läuft gern nackt durch die Wohnung und bricht Zank mit Marion vom Zaun, bis sich die beiden in den Haaren liegen und an denen ziehen. Der mitgebrachte Überraschungsgast Manu stellt sich außerdem noch als Ex von Marion raus und als wär das für Mingus nicht eh schon awkward genug, werden er und Marion auch noch Ohrenzeugen, als Rose und Manu seine elektrische Zahnbürste zum Sex-Spielzeug umfunktionieren. Wer das lustig findet, der kann dann mit Rose und Manu auch gleich darüber kichern, dass sich Mingus auf Cunnilingus reimt.
Constantin
Hallo Gallo
Während Delpys Regie leicht und spielerisch verschiedene Stilmittel kombinieren kann - vom Puppenspiel bis zur Foto-Montage mit Voice Over - , ohne in Manierismus zu erstarren, ist ihre Geschichte ein bleiernes Déjà Vu mit länderspezifischen Klischees, an denen das europäische Programmkino so einen Narren gefressen hat. Delpy betont in Interviews immer wieder, wie verrückt, stur, freimütig und lebenslustig die Franzosen sind und das Beharren auf dieser Typisierung stellt "2 Tage New York" ein Bein. Krampfhaft darauf bedacht, Chaos zu verursachen, wird der Film zur Nervenprobe. Nicht nur Chris Rock starrt angesichts der hysterischen Verwandtschaft mit großen Augen entnervt in die Ferne. Wie man bei einem Witz, der mit "Treffen drei Franzosen einen Amerikaner" beginnt, wissen würde, dass man die Pointen-Erwartungshaltung am besten six feet under begräbt, ist auch "2 Tage New York" nur bedingt unterhaltsam oder gar witzig. Weitaus gelungener sind die Szenen, wenn sich Delpy aus dem zankenden Familienknäuel schält und auf den New Yorker Kunstbetrieb schielt. Marion verkauft als Kunstaktion ihre Seele an den Meistbietenden, ebenjener Meistbietende ist Vincent Gallo, in meisterlichem Understatement und als Eigenkarikatur von sich selbst gespielt, der dem Film zu einem Szenen-Highlight verhilft, wenn Marion ihre Seele von Gallo zurückkaufen will.
This is hell
So interessant es ist, wenn Delpy im Interview mit der Süddeutschen Zeitung die These vertritt, dass sich in Frankreich Intellekt und Sexualität nicht ausschließen, dass in intellektuellen Diskussionen die Sprache obszöner sei als Anderswo, die Umsetzung dieser Haltung in "2 Tage New York", läuft auf müde Pointen raus. Wie etwa, wenn Marion ihren Namen am Telefon buchstabiert. „D wie Dick, U wie Uterus, P wie Penis, nein ich bin nicht ausfällig, ich buchstabiere meinen Namen!“
Die grundsympathische Delpy, die uns bereits so schöne Leinwandmomente und Filme beschert hat und deren Interviews immer eine reine Lesefreude sind, sie scheitert bei diesem Film all ihre Theorien in ein funktionierendes Drehbuch umzusetzen. This isn't Paris. This is hell, diagnostiziert Adam Goldberg in "2 Tage Paris", zweiteres trifft auch auf "2 Tage New York" zu.