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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

5. 7. 2012 - 09:00

In der Geisterstadt

Riesenratten, eine asymmetrische Prostata und ein sprechender Fußpilz. Ja, der Film "Cosmopolis" ist zum Lachen da.

Explodierende Köpfe, Narbenfetischismus, Körpermutationen: David Cronenbergs Filme sind für gewöhnlich nichts für zimperliche Gemüter. In den letzten Jahren ist der ehemalige Gefühlsextremist allerdings sanfter geworden, zuletzt etwa mit dem Psychoanalyse-Drama "A Dangerous Method". Sein neuer Film scheint jetzt wieder an alte Cronenberg-Zeiten anzuschließen: zumindest nachdem der erste Trailer veröffentlicht wurde, stieg die Vorfreude auf einen angemessen verstiegenen, bildgewaltigen Techno-Body-Thriller, der einem die Entkörperlichung des 21. Jahrhunderts ins Hirn hämmert. Und dann ist doch alles anders.

Limousine

Caitlin Cronenberg

Keine krisenfeste Haarfrisur

BEWARE! SPOILERS AHEAD! Tränen lügen nicht, Trailer aber schon. Im Grunde eine Binsenweisheit, im Fall von "Cosmopolis" allerdings dann schon auch kalkulierte Irreführung des Publikums. Statt aufgeputschtem Weltenkollaps rollt man entspannt, umwölkt mit diesem idealtypischen Multimilliardär-Boy Eric Packer (perfekter Körper für diesen Geist: Robert Pattinson) durch eine Stadt.

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Wie ein gewaltiger Sarg, so hat es Sebastian Selig hier bezeichnet, schiebt sich die fette Limousine durch die verstopften Straßen: nicht nur der Besuch des amerikanischen Präsidenten sorgt für den Ausnahmezustand, auch das Begräbnis eines Rap-Stars treibt die Leute aus den Häusern. Packer selbst zeigt sich von der Aufregung irritiert: denn "wer erschießt heute noch einen Präsidenten?"

Frisör

Caitlin Cronenberg

Packer will zum Frisör, kommt aber nicht weit. Stattdessen wird die Limo zum Büro, Arztzimmer und verlängerten Körper. Jay Baruchel zeigt sich verwirrt, Samantha Morton philosophiert über das Ende der Zukunft und Juliette Binoche kriecht zwischen den Ledersitzen herum. Bei einer Gesundenuntersuchung wird Packer mit einer "asymmetrischen Prostata" diagnostiziert, während draußen ohnehin schon längst alles in Schieflage ist, mit Rattenkultisten und Mathieu Amalric als Tortenwerfer.

Keine eXistenZ

Als Regisseur hat sich David Cronenberg immer für die Schnittstellen zwischen dem menschlichen Körper und der Welt um ihn herum interessiert. In "Cosmopolis", seiner Adaption des gleichnamigen Don DeLillo-Romans, treibt er dieses Konzept auf die Spitze. Die superreichen ein Prozent kriechen in ihren Schutzkäfigen, ihren Limousinen durch die Welt: alles, was nicht Körper oder Geld ist, muss draußen bleiben.

Cronenberg rechnet in langen Monologen mit der westlichen Welt ab: sein Idealtypus des glatten Superkapitalisten, perfekt verkörpert von Robert Pattinson, surft zwischen den Zeiten, ist vielleicht Mensch der Vergangenheit, vielleicht aber auch Ahnung von der Zukunft.

Mann mit Waffe

Caitlin Cronenberg

Bei aller thematischen Dichte und inszenatorischen Strenge macht Cronenberg deutlich, dass sein Film in Essenz als Komödie gelesen werden muss. Indem er die Selbst-Stilisierungen des Spätkapitalismus auf die Spitze treibt, verlängert er sie ins Grotesk-Satirische - und raubt ihnen darüber jede Relevanz und Schwere.

Schließlich bleibt die Frage: was ist hirnrissiger? Zu Riesenratten oder Geldscheinen zu beten? "Cosmopolis" ist ein unheimlicher, zäher, wüster Film geworden, der vielleicht erst in vielen Jahren als das anerkannt werden wird, was er heute schon ist: ein Meisterwerk.