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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 7. 2012 - 21:56

EM-Journal '12-77.

Das echte All-Star-Team (im System dieser Euro) und andere Nachwassereien (etwa zum Triple-Mythos) zur gestern beendeten Euro '12.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Das Finale: Spanien - Italien 4:0 (2:0).

Die Halbfinals: Deutschland - Italien 1:2 und Portugal gegen Spanien 0:0, 2:4 nE.

Die Viertelfinals:
England gegen Italien 0:0, 2:4 nE, Spanien - Frankreich 2:0, Deutschland gegen Griechenland 4:2 und Tschechien - Portugal 0:1.

Die Übersicht zu allen Spielen und Journalen. Ein paar Nachlese-Facts und Aufreger.

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit diesem besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

Dank allen Besuchern des EM-Quartiers im Wiener WUK, es war schön. In zwei Jahren, zur WM in Brasilien dann wieder!

Das war's. Spanien ist Europameister, Italien war ein würdiger Finalist, Deutschland hatte einen Verheber und jetzt ein Philosophie-Diskussion, Portugal ist eine Klasse aufgestiegen, die Niederlande eine runter. Fernando Torres wurde zum Torschützenkönig ernannt, Andres Iniesta ist der best player, Xavi, Xabi und Pirlo waren in der engeren Auswahl. Ein Team of the Tournament gibt es auch, aber das ist allzu vorsichtig politisch und paritätisch besetzt, auch mit Akteuren, die weit von ihrem Können weg waren.

Deshalb jetzt hier als Euro-Abschluss ein All-Star-Team, das nicht die eigentliche Klasse der Akteure, sondern ihre Turnierleistungen berücksichtigt.

Tor

Bei den Goalies engt sich das Feld schnell auf die Üblichen-Verdächtigen ein: Casillas, Buffon, Neuer. Cech kippte wegen eines entscheidenden Fehlers raus. Ich mag zumindest noch auf vier andere hinweisen: Hart, der Engländer wird ein wenig überschätzt, hat sich aber bewährt; Lloris, der Franzose wird unterschätzt, obwohl er sich bewährt hat; Andersen, der Däne ist im kalten Wasser gut geschwommen; und Rui Patricio wurde zum besten No-Name-Keeper des Turniers. Ganz oben spielen sie aber in der beschriebenen Reihenfolge: Erst Iker Casillas, der auch ein paar unmögliche Bälle wegkratzte, dann der großartige Sicherheitsgeber Gianluigi Buffon.

Verteidigung

In der Abwehr gibt es drei sonnenklare Fixstarter und eine Problemposition.
Innen rechts lieferte Mats Hummels ebenso wie innen links Sergio Ramos, der auch den Edge-Index gewonnen hat, ein außergewöhnlich gutes, ja überragendes Turnier ab.
Ihre Konkurrenz (und da waren sonst nur noch der Franzose Rami und Portugals Bruno Alves auffällig; Pepe patzte gar zu oft - Italiens Abwehr hat nioch zu wenig Profil) hat da keine Chance.

Links in der Abwehr muss und will ich den kleinen Jordi Alba hinstellen, der Coentroa und Lahm ganz klar in den Schatten spielte.

Rechts hingegen... das offizielle UEFA-Team löst das Problem indem es schlicht und ergreifend keinen Rechtsverteidiger nominiert. Einer hat sich auch den ganz schwachen Engländer Johnson für sein Team ausgesucht, andere verweisen auf den Spanier Arbeloa oder Portugals Joao Pereira. Die haben zwar ein brauchbares Turnier gespielt, ich sehe aber dort jemand anderen. Noch nicht den auffälligen Tschechen Gebre Selassie, der hat aber schon aufgezeigt. Wie auch, zum wiederholtenmal, der Kroate Srna.

Meine beiden liebsten Rechtsverteidiger sind aber zwei andere:
der eine ist Ukrainer, und zwar Oleg Gusev. Wie er in einem höchst irren asymmetrischen System seinen Rechtsverteidiger anlegte, das war atemberaubend. Etwas weniger wahnsinnig, etwas spielbarer und etwas besser war ein anderen auch die Asymmetrie bevorzugender Außenläufer: Mathieu Debuchy, der Franzose.

Mittelfeld

Hier zum Vergleich das offizielle All-Star-Team:
UEFA EURO 2012 Team of the Tournament

Goalkeepers: Iker Casillas (SPA), Gianluigi Buffon (ITA), Manuel Neuer (D).

Defenders: Gerard Piqué, Sergio Ramos, Jordi Alba (SPA), Pepe, Fábio Coentrão (POR), Philipp Lahm (D).

Midfielders: Xavi Hernández, Xabi Alonso, Sergio Busquets, Andrés Iniesta (SPA), Daniele de Rossi, Andrea Pirlo (ITA), Sami Khedira, Mesut Özil (D), Steven Gerrard (ENG).

Forwards: Cesc Fàbregas, David Silva (SPA), Mario Balotelli (ITA), Cristiano Ronaldo (POR), Zlatan Ibrahimović (SWE).

Da ballt sich die meiste Klasse, hier gibt es die meisten Kandidaten, denn: bei den großen Teams, bei Spanien, Italien und Portugal wurden die Matches genau hier gewonnen.

Spanien stellt mit Xabi Alonso, Xavi, Iniesta oder Fabregas vier Donnergötter, Italien mit De Rossi, Pirlo und Marchisio drei Genies, ebenso wie Portugal mit Veloso, Moutinho und Meireles.

Da hat der Rest dann kaum eine Chance, obwohl wirklich viele Akteure aufgezeigt haben.
Als Sechser/Achter-Hybride empfahlen sich wieder einmal der Engländer Gerrard, der Franzose Cabaye oder der Däne Zimling, auch der Tscheche Jiráček begann dort, wechselte dann aber auf die Flügel.
Dort möchte ich die ukrainische Zange, Yarmolenko und Konoplyanka erwähnen, auch den Engländer Walcott und natürlich den Deutschen Reus, Krohn-Dehli aus Dänemark und Franck Ribery, der alles probierte um Frankreich nach vorne zu hauen.

Relevante Spielmacher klassischen Zuschnitts waren der Deutsche Özil, der Kroate Modrić oder Italiens Montolivo.

Der einzige mit Fixplatz-Garantie ist aber ein anderer: Sami Khedira, deutlich bester Deutscher bei diesem Turnier, der Anker seiner Mannschaft.

Angriff

Ja, Balotelli hatte tolle Momente, sorgte für Bilder mit Ewigkeitswert. Und auch sein Partner Cassano, was für eine Ziehkraft. Trotzdem sind die klassischen Stürmer, die Neuner, die verlierer dieser Euro: Mandžukić, Gomez, Lewandowski oder Torres sehen gut aus, aber nur in wenigen seltenen Momenten - die wertvollen Angreifer lauern hinter oder neben ihnen. Der Russe Dzagoev ist so einer, David Silva ein anderer, Portugals Nani...

Trotzdem ist es Cristiano Ronaldo, der den meisten/besten Eindruck gemacht hat. Und der ist kein Center.
Also mach ich es wie del Bosque - und stelle in einem 4-3-3-0 auf, im spanischen System.

Das All-Star-Team

Casillas;
Debuchy, Hummels, Ramos, Alba;
Khedira, Veloso, Xabi Alonso;
Ronaldo, Fabregas, Iniesta.

Die Bank: Buffon, Rami, Xavi, De Rossi, Pirlo, Marchisio, Moutinho, Meireles, Ribery, Özil, Balotelli.

Und noch ein PS zu Spaniens Titel-Triple

Das, heißt es allerorten, sei ja noch nie dagewesen, ein Back-to-Back-Triple von drei großen Titeln. Das ist nicht wirklich richtig, nur dann, wenn man heutige Relevanzen über zeitgenössische drüberstülpt - also quasi einen imperialistischen Blick in die Vergangenheit macht.

Italien erreichte so ein Triple nämlich 34-36-38 - zwischen den zwei Weltmeisterschaftstiteln stand nämlich der damalige Em-Titel - Italien wurde Europapokalsieger der Nationalmannschaften. Dazu kam der Sieg bei den damals von vollwertigen A-Mannschaften bestrittenen Olympischen Spielen 36.
So kommt Italien eigentlich sogar auf einen Vierer.

Auch Brasilien konnte seinem WM-Titel 2002 mit zwei Siegen bei der Copa America, der der Euro entsprechenden Konföderationen-Meisterschaft, umrahmen. Brasilien gewann die Copa 99 und 04. Einziger Schönheitsfehler dieses hatscherten Triples: 01 fand auch eine Copa statt, die gewann Kolumbien.

Eine andere Art Triple gelang Uruguay: das überragende Team der frühen Jahre war 24 und 28 Olympiasieger und gewann 30 auch die erste WM.

Knapp an einem wahrhaft historischen Triple scheiterte die große ungarische Mannschaft der frühen 50er: 52 Olympiasieg, 53 Gewinn des Europacups der Nationen und 54 fast Weltmeister.

Doubles gab es auch weniger als man annehmen mag: Brasilien als Back-to-Back-Weltmeister 58 und 62 schaffte keinen Copa-Sieg (da waren Uruguay und Argentinien davor), Deutschland war Europameister 72 und weltmeister 74, Frankeich schaffte das auch 98 und 00. Europameister Tschechien (76) wurde 1980 Olympiasieger. Frankreich ist die einzige Nation, die im selben Jahr (84) Olympiasieger und Europameister wurde.

Das nur um die spanische Leistung von zwei Euro-Titeln rund um einen WM-Sieg in einen würdigen Kontext zu stellen, anstatt es einfach bei der schieren Behauptung der Einmaligkeit zu belassen.