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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

30. 6. 2012 - 14:00

Berlin am Ende!

Flughafendebakel, Abstieg von Hertha BSC und Wowereit macht alles falsch. Gibt es noch Hoffnung für Berlin?

Glaubt man den Berichten und Artikeln, die momentan über unsere Stadt geschrieben werden, muss man zu dem Schluss kommen: Berlin ist am Ende, die Stimmung unter den Bewohnern ist düster. Wir schämen uns für unsere Stadt. Die Pannenserie um den neuen Flughafen, die Probleme mit dem öffentlichen Nahverkehr! Es gibt keinen Fußball-Hauptstadtclub, dafür aber das ewige Hundehaufenproblem, überhaupt der ganze Dreck - die Baustellen! Aber die Berliner nehmen alles ganz gelassen, hier regt sich niemand groß auf, was wiederum die Politikjournalisten zur Schlussfolgerung veranlasst, die Berliner wären schon so abgestumpft und hätten keinerlei Erwartungen mehr an die Politik, das Verhältnis von Bürger und Politik sei dauerhaft gestört.

Das Gegenteil von all dem trifft zu.

Flughafen Berlin

Christiane Rösinger

Am 3. Juni hätte der Flughafen Tegel zum neuen Großflughafen "Willy Brandt" umziehen sollen, jetzt wird es viel später und teurer. Den Berlinern eigentlich egal.
Hundekot in Berlin

Christiane Rösinger

Die alte Hundehaufenproblematik - lässt sich eben nicht ändern!

Es gibt hier keine Proteste und keine Wutbürger, was daran liegen könnte, dass das Bürgertum im proletarischen Berlin historisch und demographisch keine große Rolle spielt. Die Berliner identifizieren sich voll und ganz mit ihrer Stadt. Umfragen zeigen immer wieder, dass selbst Bewohner wenig attraktiver Wohngegenden hochzufrieden sind in Berlin zu leben und nirgendwo anders hin wollen. Bürgermeister Wowereit macht einiges, praktisch alles falsch, aber die Berliner nehmen es ihm nicht richtig krumm, er ist immer noch auf Platz 3 der Beliebtheitsskala. Wegen der Probleme mit dem neuen Großflughafen gibt es zwar viel Kritik und Häme von außen - aber den Berlinern ist das fast egal. Keiner wollte den neuen Flughafen so richtig und der alte Flughafen Tegel ist für die Westler sowieso der Flughafen der Herzen und viel schneller zu erreichen. Auch Herthas Abstieg und das Relegationsdebakel ist den Hauptstädtern nicht so wichtig. Zu Mauerzeiten war Hertha der West-Verein. Und seit dem Fall der Mauer wird die Stadt stark von Zugezogenen geprägt, von denen die meisten ihre Fußball-Liebe zu ihren Heimatvereinen mitbringen.

Bild-Zeitung: Abstieg Hertha BSC

Christiane Rösinger

Abstieg und Skandal - auch nicht so schlimm für die Berliner

Berliner sind hart im Nehmen, sie wissen aber auch, dass es in ihrer Stadt immer noch gemütlicher, billiger und grüner als in London, Moskau, Madrid, Rom oder Paris zugeht und sind ganz zufrieden. Hier kann man in Allem auch das Gute sehen. Wenn die deutsche Elf aus dem Halbfinale rausfliegt, ist es zwar ein bisschen traurig, hat aber auch den Vorteil, dass weniger Fussballidioten unterwegs sind, und dass man sich nicht wegen der deutschen Fussball- und Europolitik-Vorherrschaft ansprechen lassen muss.

Und neben all den Großereignissen gibt es sogar hin und wieder kleine Meldungen, die Hoffnung auf ein noch besseres Leben in der Stadt machen. Das Spreeufer in Kreuzberg-Friedrichshain sollte ja nach dem Willen der Stadt und der Investoren mit Hotels und Bürogebäuden zugebaut werden, Pläne gegen die sich zahlreiche Initiativen wehren. Nun hat der Bezirk den Bebauungsplan des ehemaligen Bar 25-Grundstücks am Ufer geändert, es soll nicht mehr an den Höchstbietenden verkauft werden. Die Betreiber der legendären Bar 25, die nach deren Ende das Kater Holzig gegenüber aufmachten, wollen auf ihrem früheren Gelände ein Kreativdorf mit Dorfplatz bauen, samt Bioladen, erschwinglichen Ateliers und einer 24-Stunden-Kita.

Holzmarkt Berlin

Christiane Rösinger

Hier könnte ein Holzmarkt-Dorf an der Spree entstehen

Mit Hotel, Restaurant und Wohnungen – und mit einem öffentlichen „Möhrchenpark“, in dem jeder sein Gemüse selbst anbauen kann. Das Team hat eine Genossenschaft gegründet, Unterstützer und Investoren gefunden. Es ist also gut möglich, dass dieses Projekt den Zuschlag bekommt und der Ausverkauf Berlins verlangsamt wird – und dass an der Spree nicht noch mehr Beton und Stahl verbaut, sondern sandige Uferflächen und Freiräume erhalten werden. Was ist dagegen schon der Ärger um einen verspätet eröffneten milliardenteuren Großflughafen oder eine glücklose Fussballmannschaft?