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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

29. 6. 2012 - 00:46

Der epische Triumphzug

In einer majestätischen FM4 Radio Session zelebrieren Calexico die Einsamkeit gemeinsam mit dem 70-köpfigen RSO Wien.

Grafik zur FM4 Radio Session

radio FM4

Calexico mit RSO für sieben Tage im Video-Stream:

Weitere FM4 Radio Sessions: fm4.orf.at/radiosession

In einem berühmten Selbstporträt des frühromantischen Malers Caspar David Friedrich steht ein Mann in erhabener Einsamkeit auf einem Felsen mit Blick auf das düstere, unendlich wirkende Nebelmeer. Die auf Leinwand gebannte Szene ist ein Seelenbild, das Innere nach außen gekehrt, voller Stolz und Ehrfurcht vor der Verlorenheit in der Natur. Immer wieder denke ich an dieses Gemälde, wenn ich Beschreibungen über Calexico lese, jüngst ertappe ich mich selbst dabei, als ich erneut die Desperados bediene, die Wüste, das Ödland, die Einsamkeit des Wanderers inmitten der menschenleeren Natur, nur um ihre Musik besser beschreiben zu können. Bei Calexico kommt noch die Zerrissenheit hinzu, die das Gespann Joey Burns und John Convertino bereits im Bandnamen trägt, die ewig heimatlosen Wanderer durch die Wüste.

Fast schon symbolisch gaben wir dieser Band eine Heimat, hier im Sendesaal des Radiokulturhauses, bei der FM4 Radio Session bereits zum zweiten Mal nach 2006. Fast schon symbolisch baten wir das Publikum um selbstkreierte Wappen, um ein klassisches Zeichen der Zugehörigkeit. Und fast schon symbolisch beschlossen die ewig als einsam Bezeichneten ihre Songs in den Schoß eines siebzigköpfigen Orchesters zu legen. Es sollte ein epischer Triumphzug der Einsamkeit werden.

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Vogelperspektive: Die Blickrichtung der Einsamkeit

Black and Lonely Hearts

Alle Fotos von Christian Stipkovits

Selbstironisch scherzt Joey Burns nach einigen Songs, dass man ja bekannt sei für die depressiven, dunklen und einsamen Lieder, für die Beschwörung der Geister, die man allzu leicht in Wien durchführen könne, der Stadt der Toten. Dies als Einleitung zu "Black Heart", der Mörderballade aus "Feast of Fire", brodelnd unter der Oberfläche, empor gleitend auf der tröstenden Welle eines Orchesters. Das gibt den Ton für diese einmalige Radio Session vor, denn Calexico, selbst schon eine stattliche Band mit sechs Mitgliedern, ließ sich heute von Cornelius Meisters Mannen und Damen unterstützen, von Violinen, Celli, Oboen, Bläsersektion und Klavier. Eine opulente Ergänzung für das ohnehin stämmige Aufgebot der Band mit Slide-Gitarre und Trompeten.

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Das Orchester, in schlichtes Schwarz gekleidet, ist stellenweise etwas aufgeregt. Bei der Probe langes Ausharren, ein schüchternes "Besser wird's nicht" zum Abschluss - es hat gereicht. Denn mit einem Orchester kann man einiges anstellen, es kann die Songs melancholischer, euphorischer, triumphaler, erhabener und düsterer klingen lassen und diese ganze Farbpalette wird an diesem Abend ausgenützt. Angefangen mit einer stimmigen Version von "Trigger", übergehend in eine berauschende Live-Premiere von "Epic", dem Opener des im September erscheinenden Albums "Algiers". Aufgenommen in der Ruine des verlassenen historischen Stadtteils von New Orleans ist "Epic" ein Wehklagen, eine Folknummer der Straße, für jene Momente, in denen man die Straße von vorn nach hinten abgehen kann und trotzdem weit und breit nur das Nichts sieht. Perfekte Überleitung für bereits erwähntes "Black Light", das mit einer Ziehharmonika ergänzt wird und in ein opulentes Finale mündet.

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Während John Convertino wie gewohnt die Taktstöcke fest in der Hand hält, hat Burns die schwierigere Aufgabe zu meistern. Er muss ansingen gegen diese gewaltige Wall of Sound hinter ihm, löst dies aber mit Bravour, nämlich indem er sich zurücknimmt, vom Mikro zurücktritt, seine Stimme als zerbrochenes Echo nutzt. Das verstärkt die Intensivität von Stücken wie "Quattro" oder dem genialen "Two Silver Trees" aus "Carried to Dust", jenem Song, bei dem meiner Meinung nach die Live-Umsetzung am besten gelingt. Denn hier nimmt sich das Orchester mal zurück, lässt der Band Raum sich zu entfalten und stößt bei diesem Folksong langsam hervor, wie bei einem neckischen Liebesspiel, wenn sich am Ende beide umarmen. Das beste Stück des Abends.

FM4 Radio Session mit Calexico

Christian Stipkovits

Half A World Away

Calexico live im Herbst:

22.9.: Wien, Konzerthaus
26.11.: Linz, Posthof
28.11.: Salzburg, Republic

Immer wieder, und das überrascht bei einem klassischen Orchester, blitzt die weltmusikalische Note von Calexico durch. Burns entweicht öfters ein betörendes Jauchzen, diese Musik wallt im Blut ihrer Hörer. Mut zu reinen Instrumentals hatte die Band schon immer, nun auch mit opulenter Begleitung: "Minas de Cobre" verbreitet erotischen Kuba-Flair, "Inspiración" wird von Trompete-Spieler Jacob Valenzuela gesungen, cinematisch nennt Burns den Sound. Kein Wunder, erinnert hier doch vieles an Ennio Morricone, an die unterschätzten Filmperlen von Wim Wenders, die sich der Weltmusik bedienen, von "End Of Violence" bis "Until The End Of The World". An dieser Stelle sei übrigens auch an die schändlich vergessenen und auf Instrumentals spezialisierten Friends of Dean Martinez erinnert, einem Side-Projekt des Calexico-Teams oder auch Tuatara des Ex-Screaming Trees-Drummers Barrett Martin.

Mit "Para" liefern Calexico dann ein weiteres neues Stück von "Algiers", mit bedrohlicher Untermalung des RSO, bis sie das überragende "Crystal Frontier" einleiten, gewidmet dem Autor Carlos Fuentes, der mit "Die gläserne Grenze" das Stück inspirierte und im Mai dieses Jahres verstarb.

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Dann eine kleine Überraschung, obwohl man vorher schon klar machte, dass eine solch aufwändige Radio Session sich ans Drehbuch halten müsste: mit "Fortune Teller" wird ein weiteres Stück von "Algiers" ausgepackt und das Publikum einbezogen. Es soll die liebliche, kleine Melodie summen - nicht ganz einfach, Improvisation at its best, aber Möglichkeit für Burns wieder vom Mikro zurückzutreten und eine geisterhafte, ergänzende Harmonie beizusteuern, die man so wohl nie wieder hören wird. Am Ende steht dann auch das finale Stück von "Algiers" - "The Vanishing Mind" und ein erfrischend lebendiges Instrumental, bei dem es einen wieder kaum auf den Sitzen hielt.

Viel zu früh ist dieses einmalige Ereignis zu Ende: Was bleibt ist ein ungemeines Zusammengehörigkeitsgefühl. Nicht nur von der Band, die es spielend immer wieder schafft verschiedene Stile, unterschiedliche Kulturen und Menschen zusammen zu führen. Sondern auch durch die Möglichkeit Calexicos oft als einsam titulierte Kompositionen durch das RSO als majestätische Hymnen zu erfahren. Mit erhobenem Haupt in die Wüste blicken, mit Stolz und Anmut das eigene Herz zelebrieren. Das Leben, ein wahrlich epischer Triumphzug.

Calexico bei der FM4 Radio Session

Christian Stipkovits

Konzertmitschnitt und Videostream

Die FM4 Radio Session mit Calexico und dem RSO Wien wird am Mittwoch, 4. Juli 2012, in der Homebase ausgestrahlt. Ab diesem Tag ist auch der Videostream für 7 Tage online.