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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

30. 6. 2012 - 13:15

Terror Is A Funny Thing

Boris Johnson, Bürgermeister von London, legt sein spritziges Romandebüt "72 Jungfrauen" nun auch auf Deutsch vor.

"Schneller Witz, Übermut und Fantasie machen das Buch aus.
Zweifellos ein Gewinn!"

("The Spectator" zu "72 Jungfrauen")

Die fast schon obligatorischen medialen Lobpreisungen auf der Innenseite des Buchumschlages wirken hier wie die Fortsetzung der Satire. Vor allem jene des "Spectators", ist die britische Polit-Wochenzeitschrift doch ausgerechnet der Ex-Arbeitgeber des Autors Boris Johnson. Als er dort noch hauptberuflich als Journalist (und später Herausgeber) tätig war, hatte er seine Fühler schon in Richtung Politik ausgestreckt, aber immer noch genug Zeit zum Schreiben. Hauptsächlich politische und journalistische Kommentare schafften es in Buchform, bis er sich kurz nach den New Yorker 9/11-Anschlägen zu einem Roman aufraffte. Mit dem Händchen eines Diplomaten nannte er seine Terrorfarce: "72 Jungfrauen".

3 Stunden 33 Minuten

Boris Johnson 72 Jungfrauen

Haffmans & Tolkemitt

Boris Johnson: "72 Jungfrauen" ist in deutscher Übersetzung von Juliane Zaubitzer 2012 bei Haffmans & Tolkemitt erschienen

"72 Jungfrauen" ist ein Roman nach dem Konstruktionsprinzip, die Handlung ist auf einer Zeitachse ausgebreitet, die sich von 7:52 bis 11:25 an einem Sommertag in London erstreckt. Jedes Kapitel bringt uns im Minutentakt weiter und beschreibt den Anschlag einer islamistischen Terror-Gruppe auf den US-Präsidenten, der kurz nach den 9/11-Anschlägen die britische Hauptstadt besucht. Wir befinden uns also im Jahr 2001, Großbritannien ist der engste Verbündete der Staaten im Kampf gegen den Terror. London bewegt sich wie auf Nadeln, überall stehen Sicherheitsposten, Angst und Misstrauen machen sich breit.

Was nach dem klassischen Szenario für einen Polit-Thriller aussieht, wird bei Boris Johnson zur Farce. Denn in seinem Roman sind sie alle Stümper, allen voran die Terroristen, die zu ihrer Tarnung einen Krankenwagen stehlen, der dann im Halteverbot abgeschleppt wird, während sie frühstücken gehen. Johnson zerlegt dabei auch das städtische Ordnungsprinzip, indem er uns Einblicke in die Geschehnisse um den Terrorakt gewährt: Er zeigt uns den sympathischen, aber unfähigen Abgeordneten Roger Barlow; seine amerikanische Assistentin, die sich mit einem linken Orientalisten einlässt; den US-Scharfschützen Pickel, dem im Irak-Krieg in die Hoden gebissen wurde; den französischen Botschafter, der seine Geliebte unbedingt zur Rede des Präsidenten reinschmuggeln will; und natürlich die vier Terroristen, allen voran "Jason, die Bombe", aufgewachsen in verarmten britischen Verhältnissen, immer das Paradies mit seinen 72 Jungfrauen vor dem geistigen Auge, mit einem Hass auf die westliche Welt, dass es eine Freude ist.

Und tatsächlich schrammt "72 Jungfrauen" ganz knapp an der Tragödie vorbei, als der US-Präsident tatsächlich vor laufenden Kameras als Geisel genommen wird. Die Forderung: Die Häftlinge in Guantanamo sollen frei gelassen werden. Abstimmen soll das Volk, durch Televoting bei ihrem jeweiligen TV-Sender. Wie gut, dass die halbe Welt gerade Amerika hasst.

There's No Business Like Show-Business

Nun soll an dieser Stelle nicht das politische Geschick von Boris Johnson beurteilt werden, sondern sein literarisches. Bei all den ahnungslosen Parlamentariern, der Leichtgläubigkeit, Unsicherheit, fehlenden Kompetenz und dem Karrierismus, könnte man allerdings doch meinen, der Londoner Bürgermeister schreibt hier von seinem politischen Alltag. Dass Johnson nicht auf den Mund gefallen ist, zeigen unzählige mediale Skandale (herrlich etwa, als er sich vor versammelter Presse aus seinem eigenen Haus ausschloss) und Auftritte in TV-Sendungen wie "Have I Got News For You" und "Who Do You Think You Are". Der Ruf des blonden, schlampigen Paradiesvogels am Fahrrad kommt nicht von ungefähr, aber immer mit einem Hang zur Selbstironie: "My friends, as I have discovered myself, there are no disasters, only opportunities. And, indeed, opportunities for fresh disasters." Die einen halten ihn für einen genialen Querkopf, andere für den peinlichsten Politiker Londons. Im Mai 2012 wurde Bo-Jo trotzdem als Londoner Bürgermeister wiedergewählt, rechtzeitig vor den Olympischen Spielen erscheinen seine "72 Jungfrauen" nun auf Deutsch.

Boris Johnson mit pinkem Cowboyhut

dpa

Wer etwas mit der britischen Slapstick-Filmreihe "Carry On" anfangen kann, weiß in etwa, wie sich dieser Roman liest. Die legendäre Reihe um den großartigen (und in UK immer noch verehrten) Kenneth Williams bot niemals weltpolitischen oder philosophischen Tiefsinn, nahm aber auf eine lockere und flappsige Weise so manches Milieu auf die Schaufel. Ähnliches gelingt Boris Johnson hier: Er hat eine Begabung, die Dinge mit trockenem Humor auszuführen, manchmal nur ganz kleine Details, die einen zum Schmunzeln bringen. Etwa wenn der Abgeordnete Roger Barlow, den ohnehin niemand ernst nimmt, von seinem vierjährigen Sohn beim Zeitung holen ausgesperrt wird und dieser dann kess durch den Briefschlitz guckt und ruft: "Mama, kennen wir diesen Mann?". Und der dann am Ende seinen Papa mit Ketchup beschmiert, damit er so aussieht, wie die Toten im Fernsehen. Der genialste Schachzug Johnsons ist allerdings die Einbringung der Medien, jenem Spielplatz der Macht, an dem er selbst lange tätig war: Übers Fernsehen soll abgestimmt werden, ob Guantanamo aufgelassen wird oder der Präsident stirbt. Mächtige TV-Stationen wissen nicht, ob sie mitspielen oder verweigern sollen, und das Ergebnis von 98 % der US-Bürger überrascht auch.

Weitere Leseempfehlungen:

Es ist ein großartiges Panoptikum, immer mit einer Brise trockenem Witz. Aber, und das darf man nicht vergessen: auch mit einer Anhäufung post-9/11-bedingter Klischees, angefangen vom islamistischen Terror über den Anti-Amerikanismus bis zur irrwitzigen Szene, in der man dem amerikanischen Präsidenten (Bush Jr.) im Parlament ein Paar Cowboystiefel schenkt. Johnson pfeift in diesem Text auf jede politische Korrektheit, und das führt zu einer wirklich rasanten und vor allem unterhaltsamen Lektüre. Boris Johnson: Ein Mann, der sich weder als Autor noch Politiker jemals auf die Zunge beißen dürfte.