Erstellt am: 27. 6. 2012 - 19:09 Uhr
Neuregelung des Online-Musikmarkts
"Dieser Entwurf zielt darauf ab, die Betriebsführungs- und Transparenzstandards der Verwertungsgesellschaften so zu verbessern , dass die Rechteinhaber durch effizientere Kontrolle zu einem effizienteren Management beitragen können," so heißt es in einem Entwurf der Kommission für eine EU-Richtlinie, der ORF.at vorliegt.
Das zweite erklärte Ziel dabei ist, "multiterritoriale Lizenzierung von Rechten an musikalischen Werken durch die Verwertungsgesellschaften, um Onlineservices einfacher und nach den Standards der digitalen Welt anbieten zu können."
Da der Entwurf derzeit im Netz nicht offiziellerseits erhältlich ist, wird er hier zur Verfügung gestellt. Das Dokument wurde den üblichen Plausibilitäts-Checks unterzogen. Anmerkungen und -regungen, Metakritiken usw. zu Artikel und Text der Richtlinie sind sehr willkommen, ob im Forum oder per E-Mail.
In diesen einleitenden Sätzen (RL Punkt 1.1.) steckt Sprengstoff, denn der Ansatz dieser Richtlinie ist es, die starren territorialen Grenzen aufzubrechen, innerhalb derer sich die jeweilige nationale Musikproduktion und -distribution abspielt. Kaum ein anderer Marktbereich ist derart fragmentiert wie jener für Musik, der in Europa bis jetzt nicht angekommen ist.
Die Perspektive
Das eigentlich Überraschende an diesem Entwurf der Kommission ist, dass er aus einer völlig anderen Perspektive geschrieben ist, als alle übrigen legistischen Vorhaben der EU-Führung zum Thema "geistiges Eigentum" während der letzten Zeit. Diese "Richtlinie zum kollektiven Management von Copyright im Gemeinsamen Markt" hat nämlich nichts mit Generalüberwachung, Internetsperren oder ähnlichen Bestrebungen zu tun, im Gegenteil.
http://www.flickr.com/photos/halderman/
Sie soll vielmehr überhaupt erst die Rahmenbedingungen für europäische Firmen, Produzenten und Musiker schaffen, ihre Repertoires grenzüberschreitend anbieten zu können. Dem stehen die nationalen Strukturen des alten Europa gegenüber, die der europäische Musikmarkt noch immer widerspiegelt, weil es ganz offensichtlich in den Abrechnungsmodi große Unterschiede und bei grenzüberschreitenden Zahlungen noch größere Schwierigkeiten gibt.
Besorgnis, Rechenschaft und Pflicht
Mit den Verwertungsgesellschaften geht der Richtlinienentwurf für EU-Verhältnisse recht unverblümt ins Gericht. Die Arbeitsweise einiger dieѕer "Collecting Societies" habe zu Besorgnis bezüglich deren "Rechenschaftspflichten gegenüber ihren Mitgliedern im Allgemeinen und dem Management ihrer Finanzen im Besonderen" geführt. Es sei "entscheidend, diese Situation jetzt anzugehen, um die legalen Online-Musikangebote zu stimulieren."
Das hatte die Kommission schon mit einer "Empfehlung" 2005 versucht, die aber, weil nicht-bindend, entsprechend "unbefriedigend" verlief, heißt es in Abschnitt 1.3. Die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten hatte gelautet, Abrechnungsmodi der Verwertungsgesellschaften und deren Zusammenarbeit auf europäischer Ebene Schritt für Schritt zu vereinheitlichen. Nun ist aus der Empfehlung der Entwurf für eine Richtlinie geworden, die nach ihrer Verabschiedung bindend ist.
Pflichten für Rechteverwerter
In das derzeitige Modell der Verwertungsgesellschaften wird insofern nicht eingegriffen, indem der Entwurf ein zentralistisches Modell ablehnt (2.3. Impact Assessment). Den Verwertern wie der deutschen Gema oder der AustroMechana wird allerdings eine ganze Reihe von Rechenschafts- und Offenlegungspflichten gegenüber ihren Mitgliedern vorgeschrieben.
Dabei wird explizit der aus der Finanzwelt stammende Begriff "prudent person rule" verwendet, eine Regel, die Investoren vor Finanzberatern schützen soll, die zwielichtige Börsengeschäfte anbahnen wollen.
Weiters im Pflichtenheft für Verwerter bei grenzüberschreitenden Musiklizenzen: Datenbanken zur exakten Abrechnung, Pflichten zur Zusammenarbeit unter den einzelnen nationalen Gesellschaften und deutlich mehr Mitspracherechte ihrer Mitglieder gegenüber dem Vorstand. Ein Beispiel: Das letzte Wort über die Investmentpolitik der Verwertungsgesellschaft spricht die Mitgliederversammlung und nicht dessen Vorstand. Auch hier muss es also unter den Mitgliedsstaaten erhebliche Differenzen geben.
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Kein Popmusikmarkt Europa
Dass diese Richtlinie, die seitens der Kommission so weit fertig ist, dass sie offenbar in Richtung Parlamentsausschüsse unterwegs ist, gerade jetzt publik wird, ist kein Zufall. Das European Music Office hatte im Jänner unter dem Titel "Music Croѕsing Borders" eine Studie zum "länderübergreifenden Popmusikmarkt" erstellt. Basierend auf den Daten des Marktforschungssunternehmens Nielsen Soundscan kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass es keinen länderübergreifenden Popmusikmarkt im EU-Raum gibt.
So hatte es nur einziger Song aus Österreich in einem anderen EU-Land (nämlich Deutschland) während der Studie in die Top 200 Airplay- oder Downloadcharts geschafft. 14 EU-Staaten haben keinen einzigen Mainstream-Titel, der das Heimatland verlässt und nennenswerte Umsätze im EU-Ausland macht.
Die Studie Monitoring the cross-border circulation of European music repertoire within the European Union
Im Gegensatz dazu waren zwar 86 Titel aus Großbritannien in den Top 200 vertreten. Aber "auch das Repertoire aus Großbritannien hat Schwierigkeiten, Grenzen zu überschreiten", heißt es, "nur wenige britische KünstlerInnen haben pan-europäische Erfolge". Und: "Die einzige Musik, die ohne Einschränkungen Grenzen überschreitet, ist Repertoire aus den USA."
Leaks, keine Zufälle
Angesichts dieser Zahlen vom Jänner nimmt es nicht Wunder, dass dieser Richtlinienentwurf gerade jetzt fertig wird, denn die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ist schließlich die zentrale Aufgabe der Kommission. Wohl auch nicht zufällig ist der Zeitpunkt des Leaks, wenige Tage vor der letzten Abstimmung über ein internationales Abkommen, das ebenso geistige Eigentumsrechte zum Inhalt hat.
ACTA wurde bisher in allen fünf Ausschüssen abgelehnt.
Am 4. Juli wird im Plenum über ACTA abgestimmt, das aus der Perspektive von Pharma- und Softwarekonzernen, sowie der Unterhaltungsindustrie verfasst wurde. Dieser Richtlinienentwurf setzt hingegen bei den Urhebern an, den Komponisten, Textern, Songwritern und Bands, den Betreibern von Podcasts, Webradios und Streaming Services. In die Pflicht genommen werden hingegen deren "Makler" oder "Inkassostellen", also die Verwertungsgesellschaften.
Gesetzesnovelle in Österreich
Diese EU-Richtlinie, die das digitale Veröffentlichen von historischen Film- und Tonaufnahmen, Fotos und Texten erst möglich machen sollte, wurde von den ACTA-Befürwortern in einem Ausschussmeeting, das einem Coup glich, noch mit kleinen "Verbesserungen" versehen. Das finale Wording der Version, die voraussichtlich verabschiedet wird, macht es in der Umsetzung auf nationaler Ebene erst recht wieder für Restriktionen anfällig.
Auch in Österreich ist eine Novelle des Urheberrechts in Arbeit. Zum Einen muss die in einer anderen EU-Richtlinie enthaltene Verlängerung der Musikleistungsschutzrechte von 50 auf 70 Jahre (nach Erscheinen des Werks) umgesetzt werden. Die in der Endphase befindliche Richtlinie zu den "verwaisten Werken", deren Rechteinhaber nicht mehr zu eruieren sind, sollen in der Novelle ebenfalls bereits berücksichtigt werden.
Zweitens geht es um eine Neuregelung der Filmurheberrechte, weil die Filmschaffenden verlangen, dass sie daran beteiligt werden, denn bis jetzt fallen diese Rechte alleine der Produktionsfirma zu.
Historisches, "Pressespiegel"
Und dann wird noch über die Neuregelung der Festplattenabgabe verhandelt, die im Jahr 2012 immer noch "Leerkassettenvergütung" heißt. Sowie: ein "Leistungsschutzrecht" für die Verleger von Printprodukten nach deutschem Muster. Das soll dort weniger Blogger, jedenfalls aber die Marketingabteilungen aller Firmen betreffen, die (Print)Artikel samt Titel und Anriss zitieren und einen Link auf den Artikel setzen, oder gar Faksimiles von einem Zeitungsartikel anbieten.