Erstellt am: 27. 6. 2012 - 16:12 Uhr
Schicksen küsst man nicht
von Evelyn Kanya
Motti Wolkenbruch ist 25, studiert Wirtschaft, wohnt daheim und hat noch nie eine nackte Frau gesehen. Natürlich nicht: Motti ist orthodoxer Jude und nicht verheiratet. Das muss sich ändern, findet seine Mutter, ihr Sohn braucht endlich eine Ehefrau. Eifrig schafft sie Heiratskandidatinnen herbei. Alle jüdisch, wohlerzogen und Jungfrauen. Und leider alle mit großem Hintern.
"Ich fuhr mir mit der hant in den bort, denkend: Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du. Also sagte ich: „Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame.“ „Kein funk!“, rief die mame. „Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj!“
Unorthodoxe Gefühle
Salis Verlag
Dabei gibt es bereits eine Frau, bei der es zumindest bei Motti gefunkt hat. Laura heißt sie, er kennt sie von der Uni, und ihr Hintern ist sehr kompakt. Leider ist sie eine Schickse, also keine Jüdin. Würde Motti sich auf sie einlassen, wäre er für seine Familie tot. Zuerst schämt sich Motti für die unorthodoxen Gefühle, die Laura bei ihm auslöst. Dann zweifelt er, ob das orthodoxe Leben das richtige für ihn ist.
Ein lebn lang hatte ich im glojbn gelebt, nur zwischen weißem Hemd eins, weißem Hemd zwaj und weißem Hemd draj wählen zu können, und mir nie darüber gedankn gemacht. Nun machte ich mir welche. Farbige hemdn kamen darin vor. Und farbige hojsn. Und Nichtjüdinnen in farbigen hojsn. Eine im Speziellen.
Ein Roman mit Sprachkurs
„Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ ist Thomas Meyers Debütroman. Der Autor ist davor durch illegales Plakatieren in Zürich aufgefallen und wurde dafür zum Kloputzen im Altersheim verdonnert. Wie Motti Wolkenbruch lebt Thomas Meyer in Zürich und ist Jude, jedoch ein liberaler. Für den Roman habe er in seinem Umfeld „Anschauungsmaterial“ gesammelt, erzählt Thomas Meyer.
Dass der Autor im Brotberuf Werbetexter ist, liest man – und es liest sich gut. Der jiddisch-deutsche Sprachmix verwirrt manchmal, ist aber ein origineller Sprachkurs. Manchmal bleibt einem das Lachen allerdings im Hals stecken, etwa als Motti Wolkenbruch über seinen Vater erzählt, der an die Zürcher Juden Versicherungen verkauft:
Der Satz „Man weiß ja nie!“, war dabei sein liebstes Verkaufsargument. Und auch das überzeugendste, hatte er es doch mit Leuten zu tun, deren Vorfahren von einem Tag auf den anderen erst nicht mehr mit der Straßenbahn reisen durften und später nur noch in Güterwaggons.
„Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ ist nicht nur eine witzig erzählte Geschichte über die ernste Suche nach dem eigenen Weg, sondern auch ein humorvolles Porträt der jüdisch-orthodoxen Community in Zürich. Ein gelungener erster Roman von Thomas Meyer. Hoffentlich nicht der letzte.