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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

26. 6. 2012 - 16:58

Versaute Elfen

Chris Adrians Fantasyroman "Die große Nacht" verlegt den "Sommernachtstraum" ins San Francisco der Gegenwart.

Buchcover

Rowohlt

Die große Nacht von Chris Adrian ist in deutscher Übersetzung von Thomas Piltz beim Rowohlt Verlag erschienen.

William Shakespeare ist so etwas wie die Blue Jeans der Literatur: seine Stücke kommen nie aus der Mode, sind zeitlos. Im Besonderen der „Sommernachtstraum“ erfreut sich anhaltender Beliebtheit: im Gegensatz zu den üblichen Inszenierungen von Schülertheater bis Großproduktion, zieht der amerikanische Autor Chris Adrian den bekannten Stoff von einer ungewöhnlichen Seite auf. Nicht nur verlegt er den Handlungsort in das San Francisco der Gegenwart, sein in Amerika hoch gefeierter Roman „Die große Nacht“ modernisiert auch die Geschichte selbst. Jetzt ist das Buch auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Und sieh, ich liebe dich! Drum folge mir;
Ich gebe Elfen zur Bedienung dir:
Sie sollen Perlen aus dem Meer dir bringen
Und, wenn du leicht auf Blumen schlummerst, singen.
Ich will vom Erdenstoffe dich befrei’n,
Dass du so luftig sollst wie Geister sein.

Mit diesem Zitat aus William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ eröffnet „Die große Nacht“. Ohne Umschweife wird man dann in die Gegenwart gerissen. Hinein in den sehr weltlichen Buena Vista-Park mitten in San Francisco: ein Ort der Verlorenen und Herumtreiber, der Obdachlosen und Triebhaften. Durch das Grün schieben sich drei Menschen: Henry, Will und Molly.

Sie sind unterwegs zu einer Party, einem Society-Fest, das irgendwo im Park stattfinden soll. Sie suchen Ablenkung vor ihren außer Kontrolle geratenen Leben, vor ihrer Trauer, vor ihren Verlusten. Alle werden sie sich in einem Nebel verlieren, in einem Sommernachtstraum.

„Ich bring dich in ein Krankenhaus“, sagte Will, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, welches Krankenhaus sich um eine Patientin von so ungewöhnlicher Größe und so erstaunlich zerknitterter und verrenkter Gestalt kümmern könnte. Er beugte sich vor, um sie vom Tisch aufzunehmen, als er am Kopf plötzlich etwas Nasses spürte, einen warmen Regen.

Er blickte nach oben und sah eine nackte Frau, die mit gespreizten Beinen an einem Ast des Baumes hing und auf ihn herunter pisste. „Ich mach, was ich mach“, sagte die Frau und kam, Kopf voran wie eine Eidechse am Baum heruntergeklettert. Sie sprang auf den Tisch, packte das winzige Wesen und riss es in zwei Hälften. „Du bist mein Gast“, sagte sie zu Will, dem Blut in die Augen und über den Kopf in den geöffneten Mund spritzte. Es schmeckte stark nach Rosmarin.

„Die große Nacht“ ist ein unverschämter Roman. Autor Chris Adrian reichert den Shakespeare-Klassiker mit zeitgenössischen Fantasy-Elementen an, konserviert aber etliche Textpassagen des Originals. Das Resultat ist zum Glück weniger ein hipper Eintopf aus Alt und Neu als eine Hommage. Und die zeugt davon, dass Adrian seinem Roman nicht nur das verkaufsfördernde „inspired by Shakespeare“ übergestülpt hat, sondern mit dem „Sommernachtstraum“ sehr viel mehr anzufangen weiß.

Die Kombination aus romantischen und vulgären Elementen reißt die vielfach in den Vordergrund gerückte Naturmystik des "Sommernachtstraums" auf den Boden der zwischenmenschlichen - oder, wie im Fall der Elfenkönigin Titania und ihrem Mann Oberon, zwischenkreatürlichen - Beziehungen.

Die Identitäten, Sexualitäten und Gefühle befinden sich im Fluss: besonders beeindruckend etwa eine Sequenz, in der Baumarzt Will den geheimen Garten einer mysteriösen Kundin auf Vordermann bringen soll. In dessen Mitte wächst ein nicht bestimmbarer Baum mit silberner Rinde und goldfarbenen Blättern, der krank ist. Erst als Will und die Frau sich näher kommen, ihre Säfte zu den Baumwurzeln sickern, blüht der wieder auf.

„Aha“, dachte er immer wieder, „so fühlt sich das also an“, während sie auf seinem Schoß saß und er seine Hüften aus dem Gras emporstemmte, als wolle er sie in die Baumkrone katapultieren, und er dachte es immer noch, als er sie herumwarf und zwischen zwei Wurzeln fickte. Der Baum beugte sich über sie und er presste die Stirn über ihren Schultern gegen die Rinde und war der Eiche in einem Winkel zugekehrt, bei dem er ein wenig das Gefühl hatte, er ficke den Baum.

So endete er halb drinnen und halb draußen und zwischen ihren Leibern und zusammen mit dem verschütteten Bier und dem zerdrückten Gras und dem zerwühlten Boden, den die mahlenden Bewegungen ihrer Hüften hinterlassen hatten, erzeugten sie eine schlammige Pfütze. Am nächsten Tag stand der Baum in Blüte.

Sex & Violence, Feenstaub und mächtige Dämonen: „Die große Nacht“ ist ein feistes Buch geworden, irgendwo zwischen Schulliteratur und Groschenroman, mit einem Hauch von „True Blood“ darüber gestreut. Bei allem Mumbo Jumbo und Remmi -Demmi, bei aller flotten Durchlesbarkeit der einzelnen Kapitel macht Chris Adrian aber klar, worum es ihm geht, worum es schon Shakespeare gegangen ist: den Menschen zu finden. Und das Menschsein zu durchmessen.

Wir verlosen ein Exemplar

Wir verlosen ein Exemplar von Chris Adrians "Die große Nacht". Alles was ihr dafür wissen müsst, ist, in welchem Land William Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" angesiedelt war. Die richte Antwort bitte per Mail an game.fm4@orf.at. Einsendeschluss ist Donnerstag, 28. Juni, 12 Uhr. Namen und Adresse nicht vergessen!