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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 6. 2012 - 15:54

EM-Journal '12-65.

Alles ist gut! Die drohende Pandemie wurde gestoppt. Zur Lage vor dem Halbfinale.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Die Viertelfinals:
England gegen Italien 0:0, 2:4 nach Elferschießen, Spanien - Frankreich 2:0, Deutschland gegen Griechenland 4:2 und Tschechien - Portugal 0:1.

Die Übersicht zu allen Spielen und Journalen.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Viel eher als Fan einer Mannschaft bin ich Fan des Spiels an sich, Fan des Fußballs. Und als solcher bedeutet das Semifinale dieser Euro: alles ist gut.

Es ist alles gut, weil sich die Richtigen durchgesetzt haben. Das wiederum ist deshalb wichtig, weil nur diese deutlich sichtbaren Symbole auch jenen Menschen, die sich nur kursorisch mit dem Spiel beschäftigen (von den vielen Event-Zuschauern über Roland Linz bis hin zum gemeinen Fußball-Präsidenten) klarmachen, was Sache ist.

Und diese Botschaft lautet im Sommer 2012 so: Lass dich durch kleinliche Kläffer, die ängstlich um deine Beine streichen, nicht von deinem Plan abbringen; spiel das schöne Spiel, attackiere, greife an, versuche deine Tore zu erzielen, setze all deine Mittel dafür ein, bleib im Rahmen der Fairness - du wirst belohnt werden.

Die Mannschaften, die das beherzigt haben, die diesen im Fall von Italien fast schon wahnsinnigen Angriffsgeist gezeigt haben, sind die besten Vier.

Die anderen, die kleinlich-kleinlauten Kläffer, die sich in destruktiven Varianten erprobt haben, die glaubten, dass sich die Superausnahme im Champions League-Finale als flächendeckender Trend kopieren ließe, die angenommen hatten, dass man mit negativer Energie positiven Fußball spielen kann, sind auf's Maul geflogen.

Das ist ganz wunderbar.

Mit negativer Energie spielt man keinen positiver Fußball

Bei der letzten WM etwa kam diese Botschaft noch nicht komplett durch, ganz knapp. Von den kleineren südamerikanischen Teams die wie Chile mit utopisch anmutenden Systemen antanzten oder wie Paraguay und Uruguay mit einer asymmetischen Taktik daherkamen, schafften es nur letztere unter die Top 4. Und damit eben nicht vollständig in die öffentliche Wahrnehmung, 'nur' in die der Experten. Der asymmetrische Schmäh (den auch Brasilien oder Argentinien mittrugen) etwa hat sich mittlerweile von Südamerika bis nach Europa durchgesetzt, also Wirkung gezeitigt, Maßstäbe gesetzt.

Dass unter den letzten Vier der WM auch eine wenig inspirierte Tretertruppe dabei war, hat zumindest mein Bild ein wenig gestört. Dabei waren unter den letzten Acht eh sieben wirklich vorbildliche Mannschaften an Bord.

Bei der Euro 08 hießen die letzten Vier Spanien, Deutschland, Russland und Türkei - auch lauter offensive Mannschaften. Und trotzdem hatte die damalige Halbfinal-Teilnehmer nicht den symbolischen Wert der heurigen.

2008 setzten sie sich in einem insgesamt offen geführten Turnier gegen andere konstruktive Mitspieler durch - 2012 waren die Viertelfinals viermal Konfrontationen zwischen einer konstruktiven und einer destruktiven Match-Philosophie.

Die Unerklärbarkeit des kollektiven Roll-Backs

Damit mag ich die davor teilweise guten Leistungen dieser Teams nicht schmälern. Die französische Mannschaft, die im Lauf des Turniers dreimal mit dem Willen zur Spielgestaltung aufs Feld lief, verbannte den just im Viertelfinale erstmals in der Kabine. Das gegen Russland mit zuviel Offensivität ins Messer laufende Tschechien, das sich danach durchaus verdient weiterempfohlen hatte, versteckte seine Fähigkeiten im Viertelfinale ebenso verschämt wie das zwei Spiele lang durchaus konstruktive England. Auch die in der Gruppe C gegen die Halbfinalisten Spanien und Italien knapp ausgeschiedenen Kroaten hatten zwei ihrer drei Matches mit einer fabelhaften Konstruktivität bestritten und scheiterten in ihrem finalen Spiel dann an der destruktiven Grund-Konzeption.

Dass Außenseiter-Teams wie Irland oder Dänemark sich auf ein reines Konterspiel zurückziehen, ist nachvollziehbar. Wenn sich allerdings sogar ein einstiger Dinosaurier wie Griechenland zeitweise zum Mitspielen druchringt, dann ist das Roll-Back von Teams, die es besser könnten, umso unerklärlicher.

Denn: am Beispiel Chelsea kann es nicht liegen; nicht allein.

Gut, die mittlerweile eklatante und von ganz Europa ehrfürchtig anerkannte deutliche Überlegenheit von Spanien und Deutschland, die eine ganze Klasse über allen anderen liegen, mag einschüchternd sein. Das Beispiel Barcelona, der Terror des qualitativ hochwertigen Ballbesitzes und die Angst vor der Ruhe und der aus ihr resultierenden Kraft mag den Coaches, die es mit diesen Kraftwerken zu tun bekommen, schlaflose Nächte bereiten.

Wer konstruktive Maßstäbe setzt, gewinnt

Das alles kann doch aber nicht in der kollektiven Hysterie enden, die wir da im Viertelfinale gesehen haben, als vier Mannschaften sich von Beginn an als minderwertig klassifiziert und in den Staub geworfen haben - um im weiteren Verlauf nur noch pro forma und ohne echten Siegeswillen mitzuspielen.

Da lief etwas schief, da aß Angst Seele auf.

Umso wichtiger war also der Ausgang der betreffenden Spiele. Nicht dass daran je ein Zweifel bestand, selbst im bis ins Penalty-Schießen gehenden vierten Match war die Gewissheit nie verloren (schaut euch einmal die Minuten vor dem Shoot-Out an, die emotionale Einschwörung der Italiener und die dann die englische Laschigkeit) - wichtig ist die dadurch erfolgte Überzeugung jener, die ihren Glauben und ihr Handeln ausschließlich an Resultate hängen.

Alles ist gut.

Auch dass niemand aus der Gruppe A und der vielleicht noch schwächeren Gruppe D unter die letzten Vier geschafft hat. Dass mit Portugal und Italien zwei Teams dabei sind, die neben ihrer torstürmerischen Einstellung - auf ganz unterschiedliche Art und Weise - auch von ihrer ausgefeilten Taktik leben, konstruktive Maßstäbe gesetzt haben.

Der Angriff des Todesplaneten: abgewehrt!

Nie war das so wichtig wie heute.
Nichts gegen den Chelsea-Schmäh, wenn er hin und wieder als grelle Abwechslung daherkommt.

Aber: Für kurze Zeit drohte dieser Einzel-Ausbruch aber zu einer Pandemie zu werden. Und hätten sich die destruktiven Spielanlagen hier durchgesetzt, dann hätten sich hunderte willfährige Nachäffer in weltweit allen Ligen an dieser Vorlage orientiert. Und ein Fanal gesetzt, einen Virus ausgesandt -
ein fußballerischer Weltenbrand wäre unausweichlich gewesen.

Aber: der Angriff des Todesplaneten wurde abgewehrt.
Souverän.

Danke Deutschland, danke Spanien, danke Italien, danke Portugal! Danke Löw, danke Del Bosque, danke Prandelli, danke Bento! Danke auch an Özil, Fabregas und Montolivo, an Nani, Balotelli und Xabi, an Hummels, Ramos, Veloso und Pirlo. Und: bitte weitersagen! Fußball, dieses schöne Spiel, ist nur durch schönes Spiel zu befördern.