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Pia Reiser

Filmflimmern

26. 6. 2012 - 12:59

Sugarpuss, Miss Langbein und Twiggy

Film-Empfehlungen fürs Sommerkino 2012: Mit Ken Russell auf die Musicalbühne, mit Owen Wilson zu Salvador Dali und mit Peter Sellers in psychedelische Sixtieswelten.

Weil man bei der Masse von "Ziemlich beste Freunde" (21 Mal im österreichischen Sommerkinoprogramm zu finden) , "Carnage" (Immerhin siebenmal eingeplant) und "The Artist" (ebenfalls sieben Mal) vor lauter Publikumslieblingswald einige schöne Filmpflänzchen übersehen kann, hier Empfehlungen fürs Sommerkino.

Das surpige espressofilm, das sich dem Kurzfilm annimmt, ist wieder mal der österreichischen Kinolandschaft einen Schritt voraus und zeigt Filme von Andrea Arnold, noch bevor ihre, von der Presse umarmte, Inszenierung von "Wuthering Heights" regulär in die Kinos gekommen ist. Außerdem im Programm: alle 28 Episoden von Isabella Rosselinis "Green Porno" und "Seduce Me". Gemeinsam mit Vienna Independent Shorts gibt es außerdem ein Kurzfilm-Musical-Special, und junges Kino aus Österreichs gibts bei der CinemaNext Filmnacht in der poolbar. Und nun, MAZ ab, für die Langfilm-Empfehlungen: Von einem sich am Bett räkelnden Peter Sellers über eine singende Twiggy bis zum in den Himmel starrenden Michael Shannon.

The Boy Friend

Selbst Musical-Hasser werden ihre Abneigung kurz beiseite legen können, wenn der Regisseur Ken Russell heißt. "The Boy Friend" erzählt schillernd und glitzernd von einer abgehalfterten Theatertruppe in den englischen Pampa. Die schüchterne Assistentin des Inspizienten muss kurzerhand die Hauptrolle des Stücks "The Boy Friend" übernehmen, ist aber doch so schrecklich verliebt in den Hauptdarsteller und außerdem soll auch noch Hollywood Regisseur Cecil B. de Thrill auf der Suche nach neuen Sternchen sein. Wasserwellen, ein Tanz auf einer riesigen Langspielplatte, silberne Steppschuhe. "The Boyfriend" ist gleichemaßen Hommage an die pompösen Showfilme des alten Hollywood wie Showbusiness-Satire.

Twiggy in "The Boy Friend"

frameout

Take Shelter

Weil das Meisterstück schneller aus den Kinos verschwunden war, als man Sturmwarnung sagen könnte: All' ihr, die ihr "Take Shelter" verpasst habt, schaut ihn euch auf großer Leinwand an. Michael Shannon buchstabiert Angst, Paranoia und Beklemmung während die düstere Vorahnung eines aufziehenden Sturms ihn einen Bunker im Garten bauen lässt. Shannon sitzt die Scham in den Mundwinkeln, die Verzweiflung im Wimpernschlag, die Angst in den Augen. Vielleicht ist "Take Shelter" sogar unter freiem Himmel noch einnehmender.

Take Shelter

Filmladen

Casino Royal

Sieben Regisseure und neun Drehbuchautoren waren für die Bond-Parodie notwendig. Sir James Bond (David Niven) muss seinen Ruhestand beenden, da die Geheimorganisation SMERSH begonnen hat, Agenten zu eliminieren. Der Rest der Geschichte ist ein psychedelischer Fiebertraum, ein Sixties-Spektakel mit Ursula Andress, Orson Welles, Woody Allen, John Houstin, Deborah Kerr, ein Oneliner und Eyeliner-Feuerwerk, das es auch noch schafft, sich über den deuschten expressionistischen Film lustig zu machen und ein flirrendes Machwerk, in dem Jacqueline Bissett Miss Langbein heißt. In der vielleicht schönsten Szene des Films räkelt sich Peter Sellers auf einem runden, sich drehenden Bett, während Dusty Springfields "The Look of Love" ertönt.

Ursula Andress

kino am dach

Barbara

DDR abseits von Spreewaldgurken-Ostalgie und Mauerfallmärchen. Im Jahr 1980 stellt die Ärztin Barbara (Nina Hoss) einen Ausreiseantrag und wird aus Berlin in die Provinz strafversetzt. Ihr Geliebter aus dem Westen bereitet die Flucht vor und Barbara wartet. Eine kühle Blonde, die Petzold unter ständige Beobachtung und Verfolgung stellt, wie Hitchock das gemacht hat. In Nina Hoss' verschlungenem Haarknoten verliert sich die Kamera ebenso wie in Kim Novaks Hochsteckfrisur in "Vertigo". Kühle Spannung, in der "die DDR zwischen Malediven und Alcatraz schillern soll", so Petzold.

Nina Hoss in "Barbara"

stadtkino

Ball of Fire

Sowas von ein faustgroßer Juwel von Screwball-Comedy. Eine Gruppe von sieben Professoren, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein Kompendium des gesamten menschlichen Wissens zusammenzustellen trifft auf die umwerfende Nachtclub-Sängerin Katherine "Sugarpuss" O'Shea (Barbara Stanwyck), die von der Haushälterin der sieben verkopften Herren folgendermaßen beschrieben wird: "That is the kind of woman that makes whole civilizations topple! Die "Schneewittchen"-Geschichte, neu geschrieben von Billy Wilder und Charles Brackett, inszeniert von Howard Hawks.

Cary Cooper und Barbara Stanwyck in "Ball of Fire"

kino unter sternen

Tinker Tailor Soldier Spy

Weil das Spionage-Drama die große Leinwand braucht um zu leuchten, kann ich nur empfehlen sich "Tinker Tailor Soldier Spy" nochmal anzuschauen. Tomas Alfredson kreiert mit "Tinker Tailor Soldier Spy" eine Ode an die Schummrigkeit, und die Dämmerung. Smiley kehrt aus dem Agentenruhestand zurück und tappt im Halbdunkeln, metaphorisch wie wörtlich. Mit gedämpfter Farbpalette zeichnet sich eine unentrinnbare Tristesse auf die Leinwand. Mit Empathie aber ohne emotionale Manipulationen am Publikum erzählt Alfredson, dirigiert diese unglaubliche Schauspielerriege (John Hurt! Colin Firth! Mark Strong!) langsam, ohne Pomp und mit einer Sachlichkeit, die auch die Büros des Circus, wie der MI6 genannt wird, ausstrahlen. Außerdem: Cumberbatch!

Benedict Cumbercatch und Gary Oldman in "Dame König As Spion"

emw

Midnight in Paris

Ein Publikumsliebling, der meine obige Einleitung ein wenig ad absurdum führt, ich gebs ja zu. Das ist nicht die "früher war alles besser"-Leier mit bildungsbürgerlichem Anstrich, für die man "Midnight in Paris" halten könnte. Owen Wilson als Woody Allens Alter Ego schlendert als amerikanischer Tourist durchs heutige Paris und landet auf einer Party mit F. Scott Fitzgerald, trinkt Rotwein mit Hemingway und lässt sein Drehbuch von Gertrude Stein gegenlesen. Charleston und Zigarettenspitz, Kleider zum Weinen schön und Dialoge, die blubbern wie Champagnerbläschen. Adrien Brody sagt als Dali nicht viel mehr als "Dali!" und wird einem immer in Erinnerung bleiben.

Marion Cotillard und Owen Wilson in "Midnight in Paris"

filmladen

The Cars that ate Paris

Das hier ist eine blinde Empfehlung, ich hab den Film nicht gesehen, aber ich will ihn unbedingt sehen. In Peter Weirs Horrorkomödie verursachen die Bewohner einer Stadt Autounfälle, um dann eventuelle Wertgegenstände zu verkaufen und die Unfallopfer für medizinische Experimente zu verwenden.

"the cars that ate paris"

kino wie noch nie

Margin Call

Ein Kammerspiel in den Büroräumen einer Investmentbank, JC Chandor inszeniert den Vorabend der Finanzkrise, man starrt in Straßenschluchten und die Abgründe der Wirtschaftswelt. Es beginnt mit Entlassungen und nervös versammelt sich die Chefetage um einen riesigen Tisch, dort hält Jeremy Irons diabolische Monologe im Shakespeare-Format, während die Moral ein Mittagsschläfchen hält.

Zachary Quinto in "Margin Call"

Filmladen

A Single Man

Über Tom Fords Filmdebüt kann man nur in Superlativen sprechen und würde trotzdem untertreiben. "A Single Man" ist eine Augenweide, überhöht, inszeniert, stilisiert und paralysierend. Wir erleben einen Tag mit George (Colin Firth), College-Professor, der soeben vom Tod seines Lebensgefährten erfahren hat. Auch "terrible things can be beautiful" sagt das Tom Ford erprobte Model Jon Kortajarena als Georges Zufallsbegegnung Carlos und fasst damit praktischerweise zusammen, was "A Single Man" ebenfalls manifestiert. Das Drama, die Trauer und das gin-schwangere Selbstmitleid, in dem Julianne Moore als Georges Freundin Charly schwimmt sind von einer süßen Schwere. Julianne Moore passt als Charly so gut in die 60er Jahre wie Firth in die Ford'schen Anzughosen.

Kuss zwischen den Schauspielern Matthew Goode und Colin Firth in "A Single Man"

Constantin FIlm