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Sammy Khamis

Are you serious...

25. 6. 2012 - 18:25

Musik zwischen Pop und Politik

Ägypten hat einen neuen Präsidenten: Mohamed Mursi. Um ihn herum lärmt die neue ägyptische Popkultur.

Mohamed Mursi ist nicht gerade der Wunschkandidat der revolutionären Kräfte, aber er ist demokratisch gewählt und hat die Möglichkeit, einen Gegenstimme zum Militär zu werden. Er findet sich nun umgeben von einer heterogenen demokratischen Gesellschaft, in der die populäre Kultur einen großen Einfluss ausübt. Graffitis und Filme behandeln die Revolution... oder was noch davon übrig ist. Auch Musik spielt eine Rolle im ägyptischen Alltag.

Im Januar 2011 schallte der Song "Sut el horeya", auf Deutsch "Klang der Freiheit", durch die Straßen Kairos. Geschrieben hat ihn die Pop-Band Wust al Balad kurz vor dem Rücktritt Mubaraks. Was bedeutet Asham, dem Sänger der Band, das Lied, wenn er es sich gut ein Jahr nach der Aufnahme anhört?

"Sut al horeya, der Klang der Freiheit, gibt dir das Gefühl, alle Angst einfach ablegen zu können – vor jedem Staat, vor jeder Regierung, einfach vor allem. Das Lied macht dir Mut, furchtlos und nicht mehr feige zu sein. Und genau diese Auswirkung hatte der Song auf das ägyptische Volk: Es hat bis heute keine Angst mehr."-Adham

Habibi Habibi und Eskapismus im Pop

Die Geschichte der ägyptischen Popmusik ist eine Geschichte des Eskapismus. Lieber Habibi Habibi, also Liebe, Sehnsucht, Leidenschaft als politische Refrains. Der Revolutions-Song "Sut al horeya" war also eine Ausnahme – auch für die Band. Hat sich die Musik von Wust al Balad durch die Revolution verändert?

"Nein. Nein. Wir haben vor der Revolution auch schon immer die Probleme der Menschen und in der Gesellschaft behandelt und in unseren Songs verarbeitet. Aber wir bringen das immer in Zusammenhang mit den positiven Gefühlen, die wir als Band diesen Themen gegenüber haben. Also: Unsere Musik hat sich durch die Revolution nicht verändert."-Adham

Das neue Album von Wust al Balad, das im Juli erscheinen soll, behandelt nur in zwei Songs ernste Themen. Der Rest bewegt sich zwischen Habibi Habibi und dem Beschwören der langen ägyptischen Geschichte. Im Pop bleibt also alles beim Alten in Ägypten.

Die Straße ist unser CNN

So wie in der Politik: Das Militär sitzt fest im Sattel, mit den Verfassungszusätzen behält es sich vor, tief in die Politik des Landes einzugreifen. Eine Kontrolle der Polizei, die Demonstranten und Zivilisten terrorisiert, blockieren die Streitkräfte. Ägypten ohne Militär ist ein leider fernes Ziel. Ägypten 2012 ist ein inszeniertes Drama einiger Generäle und ehemaliger Mubarak-Leute; Politik wird zur Bühne. Genau diese Bühne, auf Arabisch masrah, hat der Hiphoper Mohamed Deeb in seinem Song „masrah deeb“ besungen.

Anders als Wust al Balad will Deeb nicht nur unterhalten, sondern auch berichten:

"Ich hol mir meine Infos direkt von der Straße. Ich denke mir nichts aus. Es ist ein bisschen wie im ägyptischen Journalismus: Jeder hat seine Meinung, aber wer sie ausdrückt, der läuft Gefahr, eingesperrt zu werden. So ist es auch im Hiphop. Die ägyptische Straße erkennt mehr und mehr, dass Hiphop sehr stark darin ist, eigene Sichtweisen auszudrücken. Musik, neue Medien und sogar die Graffitis auf der Straße - sie alle sind eine Art Werkzeug, die auf die Gesellschaft einwirken und großen Einfluss auf den durchschnittlichen Ägypter auf der Straße haben."-Deeb

privat

Mohamed el Deeb

Für Public Enemy war Hiphop noch das CNN der Straße, für Deeb ist Hiphop das AlJazeera der Straße. Damit seine Nachrichten auch gehört werden, bedient sich Deeb auch der Sprache dieser Straße: Er rappt nicht auf English oder auf Fossa, der Schriftsprache des Hocharabisch, sondern auf Ameyya, dem ägyptischen Dialekt.

Die Chance des HipHop: Ehrlichkeit

Jackson Allers hat eine wunderbare Radiosendung zur Rolle des HipHop in den Aufständen im Nahen Osten gemacht: Rhymes and Revolution

Hiphop als Musikstil und als Bewegung ist noch sehr neu in Ägypten: erst 2005 kam er über Palästina und den Libanon nach Ägypten, war anfangs aber vor allem ein Projekt der gut ausgebildeten Mittelschicht. Doch durch die Brisanz der Themen und das Rappen in Dialekt beginnt sich das langsam zu ändern, sagt Jackson Allers, Journalist des Rolling Stone und Hiphop-Produzent in Beirut:

"Ein Grund, warum arabischer Hiphop noch nicht komplett im Mainstream angekommen ist: Er ist nach wie vor eine sehr revolutionäre Form des Ausdrucks. Im Hiphop geht es nicht um Materialismus oder Liebesgeschichten. Aber genau darin liegt auch die große Kraft: Nur Hiphop spricht über die Lebensbedingungen der Menschen."-Jackson Allers

RevoltRadio

Jackson Allers

Mittlerweile schafft es Hiphop immer mehr in die populären Download Sites, wird auf Handys abgespielt und auch in Taxis und Minibusses hört man immer häufiger die kritischen Töne.

Neue Rhymes aus Ägypten: Mohamed el Deeb

Hiphopper wie Deeb setzen sich damit aber auch einer Gefahr aus. Sie geht nicht etwa von muslimischer Seite aus, sondern vom herrschenden Militärrat. Dieser bringt immer wieder Journalisten und Musiker hinter Gitter. Das hindert Deeb aber nicht daran, auch weiter Korruption als gängige Praxis zu besingen. Sein neues Album "Salam al bard" (cold peace) ist soeben erschienen und kann frei heruntergeladen werden. Mohamed Deeb rapt offen gegen die politischen Mächte im Land und nennt Namen.

Früher, unter Mubarak, musste er noch Synonyme suchen. Politiker waren damals noch "die Großen". Heute gestalten sich Deebs-Song etwas anders. Zum Beispiel Oum ya Masry, der zweite Song auf Salam al Bard. Der Song heißt: Das ägyptische Volk und ist eigentlich ein Gedicht, das während der britischen Okkupation entstand und dazu aufrief sich gemeinsam gegen die fremde Macht zu erheben.

Deeb benutzt zeitgenössische Beats, ägyptische Lyrics und Teile eines bald einhundert Jahre alten ägyptischen Gedichtes um gegen den Militärrat zu wettern.

So chaotisch Ägypten auch erscheinen mag: aus diesem diffusen und heterogenen Gemenge entsteht eine erstaunliche kulturelle und politische Dynamik.