Erstellt am: 25. 6. 2012 - 16:26 Uhr
EM-Journal '12-64.
Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.
Das Viertelfinale gegen Italien.
Die Übersicht zu allen Spielen und Journalen.
Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine
Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.
FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.
Die gute Nachricht ist: Vor dem Turnier hatte kaum jemand dem verletzungsgeschwächten und neugehodgsontem Team zugetraut eine wirklich brauchbare Rolle zu spielen und im Vorderfeld mitzumischen.
Die schlechte Nachricht ist: Für die echte Spitze ist das immer noch sehr deutlich sehr viel zu wenig.
England reiht sich in die lange Traumined-Reihe dieser Euro ein, in die viele Coaches ihre Teams aus zwei Gründen gestellt hatten. Zum einen, weil sie vor den wirklich guten, kreativen, selbstbewusst aufgestellten Mannschaften (vor allem den die anderen deutlich überragenden Spanien und Deutschland) einen ganz unfassbaren Respekt samt angeschlossenem Bammel haben. Zum anderen, weil sie geglaubt hatten another Chelsea oder another Inter sein zu können.
An Zweiteren, den Glauben daran, dass eine historisch ausgefallene Situation, die noch dazu durch jahrelang darauf geeichte und in ihrem System perfektionierte Mannschaften hergestellt wurde, auch für Krethi und Plethi realisierbar wäre, haben sich eine ganze Latte von Coaches verkauft wie an einen heilsversprechenden Sektenführer.
Auch weil sie ersterem, der Angst vor den Zu-Guten, nicht durch Mut, sondern durch Tricks entgehen wollten.
Eigentlich erstaunlich, diese letztlich völlig esoterische Herangehensweise von Viertelfinalisten wie Tschechien, Griechenland, Frankreich und England, aber auch Teams wie Kroatien oder Dänemark. In einer vorschnellen Verzweiflung lieber auf die quacksalbernden Wunderdoktoren hören, die mit irgendwelchen "Wirkt-wie-Chelsea!"-Wässerchen hausieren gehen, und sich deshalb der reinen Destruktion verschreiben, anstatt sich der eigenen Stärken zu besinnen.
So wie es gestern Abend eine bravouröse italienische Mannschaft vorgeführt hatte - ein Team, das mit diesem mutigen Kampf, dem unerhörten, nicht aufgebenwollenden Anrennen samt kreativer Chancenvielfalt Jahrzehnte voller italienischer Würge-Partien verblassen ließ und seinem nationalen Fußball ein völlig neues, sehr sehr würdiges Denkmal setzte.
... versäumt sich spielerischen Mut anzutrinken...
Aber zu England, denn um die geht es hier.
Nach ganz viel Pleiten, Pech und Pannen in den letzten Jahren und Turnieren ließ sich das heurige von Anfang an auch wieder genau so an. Der Ferdinand/Terry-Krieg, der Redknapp/Hodgson-Konflikt, Rooneys selbstverschuldeter Teilausfall, die Verletzung von Barry, die Verletzung von Lampard, die Verletzung von Cahill, die ungenügende Vorbereitung - alles sprach für just another desaster.
Als die Mannschaft sich dann im ersten Match gegen den Gruppen-Favoriten Frankreich wie ein angeknockter Boxer immer wieder in die Seile fallen lässt und erstaunlich wenig unternimmt, um ein Spiel zu gestalten, wird das auch noch als Folge dieser Verunsicherung hingenommen.
Allerdings steigt das Selbstbewusstsein der Three Lions durch das solcherart errangelte Remis enorm. Und äußert sich in einem immer noch rooneylosen, aber vergleichsweise offensiv geführten Match gegen die systemidenten Schweden, einem Spiel, das man nicht nur zurecht und wegen der Lesefähigkeit von Gerrard, sondern durch feine technische Leistungen (von Walcott und Welbeck, also den Jungen) gewinnt.
Dass sich dann, im dritten Match, mit Rooney, gegen die gelb-blauen Co-Gastgeber, das spielerische Herz Englands wieder eher in der Hosengegend befindet, ist allerdings ein Rückschritt, der Anfang vom Ende. Hodgson und seine Akteure verwalten das Spiel, leben von einer ausgleichenden Lattenpendler-Gerechtigkeit (Lampard, Bloemfontein '10) und versäumen es somit sich spielerischen Mut anzutrinken.
Der fehlt dann im Viertelfinale gegen einen taktisch und schematisch sowieso überlegenden Gegner, der nur mit einer furiosen Angriffswelle, wie sie - absurderweise eingeleitet durch Glen Johnson, den mattesten englischen Spieler - in der Anfangsphase kurz abgerufen wurde, zu gewinnen gewesen wäre.
Der Rest war selbstvertrauenloses Mitkicken, der Versuch sich auf ein Elferschießen hinzutimen - eine nicht nur wegen des historisches Versagensballasts vertrottelte Strategie.
Und damit war mit England die letzte der vielen, zwar bemühten, aber insgesamt etwas lächerlich anmutenden Chelsea-Imitatoren draußen. Mehr als Platz 5 bei dieser Euro ist für eine solche Attitude nicht drinnen - insofern wird England das Turnier sogar als Erfolg abhaken können.
ENGLAND
Tor: 1 Joe Hart (Man-chester City), 13 Robert Green (WestHam), 23 Jack Butland (Birmingham).
Abwehr: 2 Glen Johnson, 5 Martin Kelly (Liverpool), 14 Phil Jones (Manchester United), 15 Joleon Lescott (Manchester City), 6 John Terry, 3 Ashley Cole (Chelsea), 12 Leighton Baines,18 Phil Jagielka (Everton).
Mittelfeld: 17 Scott Parker (Tottenham), 4 Steven Gerrard, 8 Jordan Henderson, 19 Stewart Downing (Liverpool), 16 James Milner (Manchester City), 7 Theo Walcott, 22 Alex Oxlade-Chamberlain (Arsenal), 11 Ashley Young (Manchester United).
Angriff: 10 Wayne Rooney, 22 Danny Welbeck (Manchester United), 21 Jermain Defoe (Totten-ham), 9 Andy Carroll (Liverpool).
Hat Hodgson seine Optionen genützt?
Die Frage ist: Hatte er überhaupt welche?
Die kurzfristigen Verletzungen von Lampard und Barry haben ihn der Möglichkeit ein 4-3-3 zu spielen beraubt und zu einer Grundordnung in 4-4-2 gezwungen.
Am System ist es aber nicht gelegen.
Mit diesem Stil konnte und kann ein starkes Team wie England über Gegner in Augenhöhe oder drunter durchaus problemlos drüberfahren, durch Druckentwicklung, vor allem über die Seiten, aber auch spielerisch, vor allem über Gerrard und Rooney in der Zentrale. Bei der Euro war das nur im Spiel gegen Schweden der Fall, für den Rest der Gegner (Italien und Frankreich, dann aber auch die daheimspielenden Ukrainer) hielt man sich aber zu schwach.
Erstaunlich, dieser geringe Selbstwert.
Ein Hart, ein Terry, ein Cole, ein Gerrard, ein Walcott, ein Young, ein Rooney, auch Welbeck und Carroll: die halten sich als Individuen für Stars, fast schon für Götter.
Als Team trauen sie sich dann kaum Italien oder Frankreich in die Augen zu sehen? Irgendetwas stimmt da ganz prinzipiell nicht...
Das in der Ukraine anwesende Personal hat Hodgson wahrscheinlich ausgereizt, die meisten hatten ihre Einsätze, Phil Jones' Zeit kommt noch, ebenso wie die von Cahill. Mit Barry und vor allem Lampard wäre nichts besser geworden, ich schätze eher, dass das Gegenteil der Fall gewesen wäre: Lampard und Gerrard lähmen sich gern gegenseitig, nicht von der Position her, sondern rein psychologisch.
Ein paar Positiva zum Abschluss: Joe Hart ist kein Wunderwuzzi, aber ein auf internationalem Level brauchbarer Tormann, da atmet die ganze Insel schon einmal gehörig durch. Die Generation U25 durchsetzte auch schon diese Mannschaft, die noch die Oldies dominieren, sie wird sich aber wohl schon 2014 stärker hervortun und hat 2016 dann die Chance vergleichsweise unbelastet Größeres anzustreben und auch zu erreichen.