Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Farewell und mach's gut"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

24. 6. 2012 - 17:06

Farewell und mach's gut

Abschied auf der FM4-Bühne am Donauinselfest: mit Ginga, Stereo MCs und DMD KIU LIDT.

Schon jetzt sind die Zeilen allgegenwärtig, oh du meine Mördergruppe, Stadt der Menschenfresser, Wien, du bist ein Taschenmesser. Heute wagen sich Ja, Panik auf das sicher prallgefüllte Fleckchen Erde vor der FM4-Bühne, ihre Textzeilen werden mich durch den Tag begleiten, konkurrieren mit dem Rock der Superklasse auf anderen Bühnen, Silbermond und The Boss Hoss, die jüngst auch für den Playboy Werbung machten. Tag 3 des Donauinselfestes mit der absoluten Manifestation des Kapitalismus, inklusive Ja, Panik, inklusive Traurigkeit, den Curbs, dem zweiten Album von Ginga und Stereo MCs.

Wer jetzt noch nicht den Weg hergefunden hat: Ja, Panik spielen später fast direkt nach Nik P. & Band auf einer anderen Bühne - ich mein, das ist für uns alle was dabei, wenn man die Zeilen beider Künstler vermischt. Ein Stern, der deinen Namen trägt, dir ist die Wut im Bauch gegeben.

Und alle so: Yeah!

Junge mit Kappe

Christian Stipkovits

Nik P.-Fans tragen ihre Liebe vor sich her

Alle Fotos von Christian Stipkovits

Ich bin vom gestrigen Tag immer noch geschlaucht, knacke immer noch im Takt mit den Rhythmen von Rubik, daher verpasse ich schändlicherweise Lucky Strikes Back, die mir aber eine CD hinterlegen. "So siehts aus" - eh. Und jetzt Steaming Satellites, die sich schon mit international anerkannten Acts wie Portugal. The Man, aber auch Thin Lizzy die Bühne teilten. Und eine ähnliche Kombination erwartete ich mir auch, werde davon positiv mitgerissen: ein Wirbelsturm an deftigen, psychedelischen Riffs, intergalaktischen Space-Travels (das muss man hier bemühen), schwerelos und in your face. Das Interessante am heutigen Tag ist, dass sich bereits mehrere Menschen um diese Uhrzeit vor der Bühne versammelt haben, kein Wunder, jeder möchte Teil der Manifestation des Kapitalismus sein. Ein wird ein heißer Tag.

Streaming Satellites

Christian Stipkovits

Steaming Satellites
Streaming Satellites

Christian Stipkovits

Es mag Zufall sein, aber vor genau zwei Jahren, damals noch bei der Fußball-WM spielten die Engländer gegen Deutschland und erlebten eine vernichtende Niederlage. Ich kann mich noch gut erinnern, waren doch damals die Curbs, die heimischste aller Brit-Pop-Bands, der Soundtrack, um diese Niederlage für alle Möchtergen-Brits zu erleichtern. Und ausgerechnet am heutigen Tag spielen sie wieder, die Three Lions, im EM-Viertelfinale gegen Italien. Das kann jetzt bedeuten, dass die Engländer heute wieder sang- und klanglos untergehen, aber heute haben die Curbs ihren Auftritt zumindest schon hinter sich. Soeben ist das vierte Studioalbum "Colours" fertig geworden (man beachte die britische Schreibweise) und wurde erneut von Sänger und Komponist Alex Wunderbar produziert. Die Reise geht nicht unbedingt in neue Gefilde, aber Brit-Pop (auch wenn eigentlich schon ein Relikt) lebte seit jeher von nostalgischen Annäherungen, von der Wohlfühl-Sympathie der Wiederholungen, der Sicherheit beim Zuhören, dass man weiß, was hier kommt. In Zeiten wie diesen auch nicht das Schlimmste. Alles gute für die Engländer heute und die Curbs sind immer noch die beste Brit-Band Österreichs.

Curbs

Christian Stipkovits

Curbs
Curbs

Christian Stipkovits

"Denn wenn Gabalier Ginga sieht, denkt er nicht: Schau, die niedlichen Deppen aus der Indie-Nische. Sondern: Was hab ich da verpasst? Wo liegt diese kosmopolitische, sexy Welt, aus der diese Typen mit ihren unwiderstehlichen Liedern kommen? Wieso habe ich mein Leben an den Volks-Rock'n'Roll verschwendet?", meinte jüngst Robert Rotifer in einer seiner Huldigungen von Ginga, so als hätte er es für einen dieser Abende geschrieben. Auch ich habe bereits mehrere Konzerte dieser Band in den letzten Jahren verfolgt, immer hingerissen von dieser perfekten Abstimmung aus Rhythmus, Melodie und textsicherer Schwere, von der Geheimwaffe Emanuel Donner, der seine Backgroundvocals, Violine und Trommeln perfekt beherrscht und so das I-Tüpfchen auf immer gelungene Set-Konstruktionen setzt. Nie zuvor war Zimt so melancholisch, so triefend und energisch zugleich.

Ginga

Christian Stipkovits

Ginga
Ginga

Christian Stipkovits

Diese Band gehört ins tiefe Dunkel, wenn die Sonne längst untergegangen ist, wo nur ganz wenig gleißendes Licht auf die Bühne trifft. Aber heute ist es ihnen nicht vergönnt, stört auch nicht, so erlebt man die Wandlung von Sänger Alex Konrad bei Tageslicht. Seine Mutation vom schüchternen Hipster zum Frontman mit Entertainer-Qualitäten ist eine wahre Erfahrung, scherzt er doch mit einem einsam tanzenden Mittfünfziger im Publikum auf Englisch, er möge doch langsamer machen, "Cinnamon" ist nun mal keine Disconummer - "Slow down, dude". Praktisch, dass die neue Single "Dancer" heißen wird, schon letztes Jahr beim Popfest vorgestellt. Auch die neuen Stücke werden durch feine Violinentöne veredelt, ein klein wenig elektronischer klingen sie, Bloc Party trifft auf The Cure, gelassenes und sichere Verteidigung des Titels "quasi beste Band des Landes".

Ginga

Christian Stipkovits

Und dann eine Band für mich. Ich muss zugeben, ich bin in Curry-Duft einhüllt, während Young Rebel Set die Bühne betreten, aber ich, der mit meinem Nostalgie-R.E.M.-Shirt das letzte bisschen Folk dieser Insel verkörpert, wird eines Besseren belehrt: eine Band, die von der allerschönsten Zerrissenheit singt, von der unerfüllten Liebe, so manche Kolleginnen vermuten große Komponisten wie Dylan hinter den Stücken ("Hey, das ist ja ein Cover!"), Ne, das ist von der Band aus dem kleinen britischen Kaff Stockton-on-Tees, ihr Überhit "If I Was" war gemeint. Die Legende sagt Thees Uhlmann habe sie entdeckt, er war dermaßen begeistert, dass die siebenköpfige Combo für eine Kiste Bier spielt, und zwar mit soviel Leidenschaft, als ging's um zwei.

Yound Rebel Set

Christian Stipkovits

Young Rebel Set

Christian Stipkovits

Natürlich kommen Young Rebel Set zur richtigen Zeit, es ist die Neo-Folk-Welle Marke Mumford & Sons oder jüngst The Lumineers, in die man sich hier einreiht (ein klein wenig klingt es auch wie Counting Crows, die derzeit um ein Comeback kämpfen), Banjo, Mandoline, Bass, Schlagzeug und Mundharmonika: Alles dabei, was man für einen zünftigen Abend am Heuboden brauchen würde. "Curse our Love" heißt das aktuelle Album, Seemannslieder für Desperados, Cowboyhut darf auch nicht fehlen. All das ist aber nur Inszenierung, denn für sich genommen, sind das wunderbare kleine Songperlen, über harsche Themen, etwa einem Soldaten, der nach dem Krieg heimkehrt und sich das Leben nimmt. Ganz großer Auftritt, bitte mehr davon. Und wenn ich mir am FM4-Stand ein T-Shirt von denen besorgen kann, dann verschenk' ich meines von R.E.M.

Und das in Zeiten des Kapitalismus.

Young Rebel Set

Christian Stipkovits

"Wollt ihr Spaß?" fragt Andreas Spechtl fast schon lasziv. Kollegin Hofer erkennt die Reinkarnation von Bela Lugosi, so vampiresk sind Ja, Panik in das düstere Gruft-Licht der FM4-Bühne eingehüllt, Fotograf Stipkovits weiß auch nicht, ob er nicht noch einen extra Scheinwerfer aufstellen soll. Bevor wir zum Licht kommen, sei angemerkt, dass es für eine Band, die ihr Album "Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit" nennt, ein nicht unwesentlicher Faktor ist, bei einem Gratis-Festival aufzutreten. Und ihre in erster Linie jungen Fans danken es ihnen, denn kaum eine Band hat dieses Jahr so viele Zuschauer angezogen, die extra wegen ihr gekommen sind.

Ja, Panik

Christian Stipkovits

Andreas "Bela" Spechtl

Kommen wir zu den Inhalten: viel wurde schon geschrieben und gesagt, Ja, Panik sind die ausverhandelte Band des Feuilleton, ihr Werk durchaus vergleichbar mit der Schwere und dem Irrsinn der Bücher von David Foster Wallace, immer mit Fußnoten angereichert, die Form genauso wichtig wie die Komposition des Inhalts. "Safe the planet, kill yourself" wirft uns Spechtl entgegen, er ist immer noch ein Verführer, immer noch ein hochintelligenter Schmähführer. Ja, Panik sind wahrlich keine Götter, aber die wohl intelligenteste Band des Landes. Gezielt und durchdacht reiht Spechtl seine Phrasen aneinander, spielt mit Werbebotschaften, verschlüsselten Zeichen, großen Pop-Gesten und Bubblegum-Melodien. "Die Luft ist dünn", "Trouble", Suicide", "The Horror", das Body Count-Cover, null Respekt vor irgendwas, es wird geschrien und geflüstert, das F-Wort bedient, kaum auszuhalten, es tut weh, das bleibt im Kopf. Julia Kristeva hätte ihre helle Freude daran, das Publikum auch. Grade noch live im Radio - hört rein, bevor sie euch beißen!

Irgendwo grad spielt auch Nik P. - wir haben uns entschieden. Die Manifestation meiner Traurigkeit ist Ja, Panik.

Ja, Panik

Christian Stipkovits

The crowd is connected, noch immer. Ich bin im Gedanken schon wieder in den Neunzigern, die große TripHop-Welle aus Bristol mit Massive Attack, Tricky und Portishead – Stereo Mcs haben ihren Teil zu dieser Soundrevolution beigetragen, spätestens seit "Connected", sich später vollends von ihr entfernt. Und jetzt fängt es zu regnen an, es blitzt wie verrückt, Weltuntergangsstimmung verbreitet sich, die Wandlung des Tages steht uns bevor.

Hofer und Brunner

Christian Stipkovits

Hofer-Brunner im Doppelpack. Nina hat heut Geburtstag!

Ein seltsames Gefühl gerade, ein klein wenig Chaos sogar. Die Band steht auf der Bühne, geht wieder weg. Darf eigentlich nicht spielen, weil es schüttet. Buh-Konzerte seit gefühlten Stunden. Immer wieder die Hoffnung, dass es doch noch etwas wird, mit diesem Highlight und würdigem Liveabschluss eines Donauinselfestes. Einige gehen, kommen wieder, da es auf der Bühne Bewegung und kurze akustische Veränderungen gibt. Spielen´s jetzt?

Stereo Mcs

Christian Stipkovits

Schlussendlich geht ein verzweifelter, aber topmotivierter Frontmann mitsamt seiner Stereo MCs auf die Bühne und fragt allen Ernstes ob wir acht Minuten von ihnen hören wollen. Machst du Witze? Wir nehmen alles von euch. Und dann gab's die tatsächlich besten acht Minuten des gesamten Festivals: ein durchnässtes, aber extrem gut gelauntes Publikum mit lachenden Gesichtern, alle im Gatsch stampfend, grölt lauthals bei Connected mit. Nur das kleine Mädchen hinter mir wollte offensichtlich nach Hause, aber Mama und Papa haben Popo wackeln vorgezogen. Tja, Kinder haben nicht immer die Oberhand. Die hatten die Stereo MCs. Leider musste die Band dann aus Sicherheitsgründen und einer nahegerückten Sperrstunde endgültig abbrechen und ist tatsächlich kurz darauf im FM4-Arbeitscontainer aufgetaucht um uns und den Fans mitzuteilen, dass es ihnen wirklich, wirklich leid tut. Wichtig war es ihnen allen auszurichten, die da waren und auf sie gewartet, sowie tapfer im Regen ausgeharrt haben, dass es nicht ihre Schuld war und sie wirklich, wirklich gern gespielt hätten. Bald kommen sie wieder und werden das nachholen. Es sollte mehr solcher Bands, ohne Starallüren, down to earth mit unglaublich guter Musik geben, denen es nicht egal ist, wie es ihren Fans geht. Super! Wir sehen uns 2013!

Stereo MCs

Christian Stipkovits