Erstellt am: 23. 6. 2012 - 16:35 Uhr
Gabalier frisst Seele auf
Andreas G. hat seinen Auftritt abgesagt. Aber dafür hat die FM4-Bühne am Samstag Fire, Light & Austrofred.
Es wurde schon Schlimmes befürchtet: Inselkollaps, Massenpanik, kreischende Omas, Trachten-Abverkauf. Aber als uns die Eilnachricht erreichte, dass Andreas Gabalier das diesjährige Donauinselfest nicht mit seinen schunkelnden Hits wie "Sweet Little Rehlein" oder "Steirerland" beschallen wird, war klar: Nun ist der Weg frei für den wahren Star des Austro-Wahnsinns. Ihn, den ich heute als den vielleicht größten Headliner der Herzen bezeichnen würde und der mit seiner Lightshow die Stromversorgung in gesamt Floridsdorf und Donaustadt lahmlegen wird, er wird heute fast konkurrenzlos auftreten. Denn wer sich heute für Fire, Light & Austrofred entscheidet, der hat andere Bühnen-Wuchteln wie Werger, Bilgeri und Michelle längst gesehen. Wir freuen uns.
Christian Stipkovits
Im FM4-Container wird des Abwesenden gedacht - am Laptop von
Nina Hofer.
Gestern wurde das Fest ja traditionell mit dem Hip Hop-Tag eröffnet, und auch heute wird ein Großer des Faches auftreten, gleich nach Austrofred, nämlich der gute Samy Deluxe und seine Tsunami Band, sein Album "SchwarzWeiß" vorstellend, großer Botschafter der verschachtelten Texte, ehemaliger Kiffer und aktueller Kleingarten-Besitzer.
Christian Stipkovits
Schön ist es trotzdem.
Christian Stipkovits
Und heiß.
Alle Fotos von Christian Stipkovits
Eröffnet wird Tag 2 allerdings von den noch unbekannten Falling For Beautiful, den nicht minder großartigen The Bandaloop und den Überfliegern der Saison, Black Shampoo. Jakob Brem, Saskia Kasper und Lukas Friesenbichler habe ich das erste Mal letztes Jahr beim Popfest gesehen und war hin und weg von den Spaghetti-Riffs, den dreckigen, rotzigen und mit Seelenmüll vollgestopften Lyrics, aus den Mündern der unschuldigen Babyfaces, die mich an eine Mischung aus Hugo Race, The Minus 5, 16 Horsepower oder auch den neuen Teaser des Soloprojektes von R.E.M.-Gitarrist Peter Buck erinnern. Aber das macht diese Band aus - sie spielt vor der Einöde einer noch spärlich besuchten Bühne, aber die verbrannte Lagerfeuerasche riecht man durch jeden Winkel, der Staub wird nach dem Regen wieder aufgewirbelt. Ich wünsche dieser Truppe einen Headliner-Slot, eine ausführliche Beschäftigung mit den Abgründen dieser großartigen Jung-Band. Eine tiefe Verneigung von mir.
Jetzt kommen Deckchair Orange: Erwachsener Indie-Pop, kürzlich auch vertreten bei der Aufnahme eines "Azubi-Songs" eines schwedischen Möbelherstellers. Überhaupt haben Deckchair Orange ihre Karriere ziemlich gut in Griff: Dauer-Touren durch österreichische Bundesländer und angrenzende Staaten sicherte ihnen bereits einen hohen Status, die Single "Stay" aus dem Album "Age of the Peacock" ist ein wahrer Ohrwurm, perfekt für den Sommer. Und damit kommt tatsächlich die Sonne raus, die Menge füllt sich und wir erleben so etwas wie das Wachsen eines Festivaltages, im Hintergrund die synthetischen Anleihen der zackigen Deckchair-Beats und die wunderbaren Bubblegum-Songs.
Christian Stipkovits
Deckchair Orange
Christian Stipkovits
Als nächstes stehen Conseptagons auf der Bühne, ihren Slot ehrlich und unter Anstrengungen beim Femous-Award erarbeitet, bisher kannte ich sie noch nicht. Aber ich muss es einer Gruppe zugute halten, wenn ich im FM4-Container vor mich hin schreibe und der wummernde Bass des nächsten Acts mich richtiggehend auf seinen Schultern nach draußen trägt. Conseptagons sind eine beispiellose Band der Globalisierung, stammen die Mitglieder doch aus verschiedenen Nationen, aus Kenia, Deutschland, Österreich und Nigeria. Dementsprechend stoßen auch verschiedene Klangwelten zusammen, wenn Frontfrau Ms. T. hinter sich Reggae, Funk und Soul versammelt. Afrikanische Beats und Rhymthmen schmiegen sich hier an eine gewaltige Stimme und hinreißende Harmonien - Conseptagons: ein Name, den man sich wird merken müssen.
Christian Stipkovits
Ms. T. von den Conseptagons
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Ein Riesen-Baum
Große Stadionpop-Gesten finden sich auf ihrem Album "We all yell", weitflächige, atmosphärische Synths treffen auf Hymnen des Abschieds und Schmerzes, Superman-T-Shirt auf flehende Teenage-Angst. Alles beginnt meist mit einer kleinen, fast schon süßen Harmonie, dann setzen die Gitarren ein und die Wucht der textlichen Schwermut. Das schneidet durch Eis, ist dynamisch, detailverliebt, Blues, der zu ertrinken droht, und dann doch wie Phoenix aus der Asche wieder empor steigt. Eine wachsender Riese der heimischen Popmusik, auch de Saussure würde eine Träne vergießen.
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
In Schottland ist man die helle und grelle Sonne ja nicht gewohnt, meint Kirsty von Haight-Ashbury, die Band kämpft mit den Lichtverhältnissen. Das stört aber nicht, denn irgendwo auf der großen Donauinsel spielt inzwischen Bilgeri (neben dem ich als kleiner Junge mal beim Friseur gesessen bin), da ist man froh, wenn man lichtscheue Schotten vor sich hat. Österreich erprobt ist das Trio, letztes Jahr waren sie am Waves-Festival vertreten, danach beim famosen Gig im Haus der Musik. Ein Hauch von Hippie: Haight-Ashbury, benannt nach dem Hippie-Viertel in San Francisco, glänzen mit gänsehauterzwingenden psychedelischen Songgerüsten, akustischem Minimalismus und düsterem Folk.
Christian Stipkovits
Es werden Songs aus dem Debüt "Here In The Golden Rays" gespielt, aber vor allem Stücke aus dem zweiten, eher unglücklich benannten Album "Haight-Ashbury 2: The Ashburys". Die zweistimmigen Vocals schmiegen sich an die psychedelischen Riffs, Kollegin Umbauer vermutete hier schon Nico, die Breeders, ja selbst Bangles und Fleetwood Mac (letztere feiern derzeit ein Revival in der Indie-Szene, ist es doch 35 Jahre her, dass ihr Über-Album "Rumours" veröffentlicht wurde). Haight-Ashbury schlagen genau in diese Lücke, die sich hier auftut: genug hat man von den braven Folk-Ladies, viel eher braucht es die intensiven, starken, tragischen Frauen, Haight-Asbury oder die wunderbare Julia Stone (von Angus and Julia Stone) sind jüngst hochgelobte Beispiele. Dass sich die Band aus Glasgow ausgerechnet auf die Donauinsel verirrt, im Band-Container fast geschmolzen, auf der Bühne im Sonnenlicht verbrannt, ist großes Glück - das ist mehr als Hippie-Huldigung, das ist (frei nach einem ihrer Songs) "Love, Haight And Ashbury".
Christian Stipkovits
Ein Wahnsinn. Ich bin immer noch ganz weg - Rubik aus Finnland, rund um den Sänger Artturi Taira, leider beim Waves-Festival verpasst, hauen mich live total um. Am gleichnamigen Zauberwürfel hab ich mir öfters die Zähne ausgebissen, hier würde ich am liebsten gar nicht mehr aufhören. Man muss sich vorstellen: sechs unscheinbare Männer mit teils zotteligen Frisuren, wild um sich schlagender Energie, kleinen Glöckchen, Xylophon und einer Posaune. Arturri Taira mutiert auf der Bühne zum Tier, lässt seine Falsett-Stimme auf energischen Luftikussmelodien tanzen, dazu reichlich intelligente Texte, tanzbar, schüchtern und hemmungslos zugleich, ich hab die ganze Zeit ein Lächeln auf dem Gesicht.
Christian Stipkovits
Best Band of the Insel: Rubik
Christian Stipkovits
Ungewöhnliche Klangwolken verbreiten sich hier, während gerade die Sonne untergeht, die Menge sich langsam füllt. Verspielte Indiepop-Melodien mit zarter Melancholie, die könnten vom Weltuntergang singen, ich tanz trotzdem. Das können normalerweise nur The Cure oder die Shout Out Louds: Immer wieder wird stilvoll gerasselt, geklatscht und geklopft, teilweise hab ich das Gefühl es wird sogar mit den Zähnen im Beat mitgeklopft. Taira ist inzwischen längst nicht mehr zu halten, erinnert fast ein wenig an Cobain, zum Niederknien. Dieses "Solar" heißt das aktuelle Album und es ist eine Schande, dass nicht mehr Leute diese Band umjubeln. Ich wünsche mir eine FM4 Radio Session mit dieser Gruppe, in der sie den Sendesaal zerlegen. Bald, hört ihr mich, ihr FM4-Götter?
Christian Stipkovits
Und dann kommt er. Der Messias des längst wertlosen Schillings, der Mann, der uns mit Freude die Zauberflöte in den Arsch steckt. Und er, der mit demselbigen dermaßen wackelt, dass manch Mann seinem Weibchen vor der Bühne die Augen zuhalten muss. Austrofred mit seiner Fire & Light-Show - mit großem Schriftzug, in liebevoller Handarbeit holzgeschnitzt, in großen Lettern, direkt aus dem Stamm des Christbaumes, der zu Weihnachten am Rathausplatz steht. Hier nun im ganzen Schriftzug, nicht nur mit "Astrafred" oder gar nur "Fred", wie in den viel zu kleinen Clubs, wo man ihn sonst nur reinlässt, auf der Donauinsel, da leistet er sich alles: fette Buchstaben, grell, und soviel Nebel, dass man damit eine Kleinstadt eindecken könnte.
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Ja, er weiß, wie er sein Publikum in den Bann zieht: mit seinen Klassikern "Weus'd a Herz Hast Wia a Bergwerk", "Jö schau" und natürlich "Macho Macho". Es sind die Lieder des Volkes, die er hier bedient, und nun kommen seine Jünger von ganz weit her, scheißen aufs Fußball-Spiel (es gibt eh das Blumenau-Journal zum Nachlesen), pfeifen auf Stefanie Werger, die längst nicht mehr auf der Höhe ihrer Kräfte ist - aber er ist es, und er versteigert auch keine Häuser. Wer ihn als Literaten zu schätzen gelernt hat, wird seine Show lieben: Wie ein steiler Gockel stolziert er herum, klettert zum Publikum, die Reinkarnation von Freddie Mercury, seine Stimme als einziges Instrument, der Rest der überbordernden Brian May-Gitarrensoli kommt von der MAZ, warum auch nicht? Und dann "Another one bites the dust", "Bohemian Rapsody", in der er von "Ludmilla" singt, "The Show must go on", verösterreichischt, mit den großen Gesten eines Rockstars, dann "Who wants to live forever", in die Sterne blickend, wir sind ja so klein. Am Ende "Time To Say Goodbye". Austrofred, Franz Adrian Wenzl, einer der Besten, wenn nicht der Beste, den wir haben. Die geile Sau, die geile.
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Als "Allgemeinbildung" beschreibt er seine neue Platte "SchwarzWeiß" gleich zu Beginn: Samy Deluxe. Und sieht man sich die Maschinerie des Deluxe Soundsystems an, muss man neidlos anerkennen, dass der Hamburger es in den Kanon des deutschsprachigen Hip Hops geschafft hat. Geteilte Meinungen gibt es zu ihm immer noch, manche haben ihm die Kommerzialisierung seiner Rhymes bis heute nicht verziehen. Doch Qualität und Kommerz muss sich nicht unbedingt widersprechen und der vollgestopfte Platz vor der Bühne bis weit hinauf auf den Weg, der zur Floridsdorfer Brücke führt, spricht auch Bände. Elegant wird mit den Händen gewippt, während der stämmige Mann mit dunkler Sonnenbrille Sozial- und Gesellschaftskritisches von sich gibt.
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Poesie bekommt bei diesem Mann ohnehin eine neue Bedeutung - früher ein prägendes Beispiel für den Battle-Rap, das im Genre nicht minder notwendigt Inszenieren des eigenen Ichs, fast schon Über-Ich in Samys Fall. Und es gehört auch einiges an Offenheit dazu, dies vor Publikum zu tun, einiges an Talent, die Worte dabei so gekonnt aneinander zu reihen. Heute ist Poesie für Samy vor allem breites Effektgewitter, eine starke Noise-Wall, voll optimistischer, souliger Untertöne. Ein Zwischending zwischen Rap-Eminenz und ewigem Kapuzenträger. Ob das Allgemeinbildung sein muss, sei dahingestellt, aber "Hände hoch", das geht immer! Jetzt auch noch live im Radio!
Christian Stipkovits
Morgen großes Finale am dritten Tag, u.a. mit Ginga, Curbs, Stereo MCs und den großen Ja, Panik.