Erstellt am: 23. 6. 2012 - 15:59 Uhr
Full Hit Of Summer
Kurt Vile hat sich einen kleinen Wohlfühl-Altar in unserem Studio aufgebaut: seine Reiselektüre (u.a. Burroughs' "Interzone") auf dem Boden ausgebreitet und seinen CD-Player an eine kleine Box angeschlossen, um ein bisschen Musik zu hören, bis die Aufnahme beginnen kann.
ond
Sobald er seine Gitarre ansteckt und den Mund zum Singen aufmacht, klappt auf der anderen Seite der Studio-Glaswand unser Mundgestell nach unten. So klingt also der Künstlerliebling Kurt Vile reduziert auf Gitarre und diesen verschrobenen Gesang. Thurston Moore liebt ihn, Stephen Malkmus auch. Letztes Jahr konnte er mit seinem auf Matador Records erschienenem Album "Smoke Ring For My Halo" über die Blogosphäre (&seine eigenen Freundeskreise) hinaus begeistern.
"It's much more trippy live", meint Vile, als er die Zuschreibung "Singer/Songwriter" hört und das, was ich beim anschließenden Gespräch im Raucherkammerl mitnehme, ist: Adult Contemporary Rock ist unser aller Feind. "It's parents music!" Rock soll der Gegenentwurf von der Jugend für die Jugend bleiben. Ein Rahmen für Rebellion, nicht für Sicherheit. Und Schönheit?
FM4 Akustik Session mit Kurt Vile und seinem "Blackberry Song" aus seinem Album 2009er Album "Childish Prodigy". Erschienen auf dem Label, hinter dem sich alle Musiken verstecken, die man für seine eigenen Pre-adult-Jahre braucht.
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Ich lasse die Gesprächsfetzen so liegen, denn er könnte mit Fadgas-Eltern-Musik doch nicht auch die Alben von M Ward meinen, oder? Wir reden also aus irgendeinem Grund über den Pop von Snow Patrol (die ich aus Feldforschungsgründen nächste Woche zum Interview treffe), dass wir gerne hätten, die Sonic-Youth-Ehe würde nicht geschieden werden (Amen) oder dass Labelkollegin Cat Power die Beste ist. Dann was wir alles für Geld tun würden (Werbung jein, mit Schauspielerinnen arbeiten jein, mit Metallica arbeiten nein), dass Fred Armisen der lustigste ist (ich nicke mit) und dass Portland eine hohe Selbstmordrate hat. Ich wiege meinen Kopf überraschend von rechts nach links, ohne dass ich es eigentlich besser weiß.
Portland ist eigentlich eine sichere Bank, darüber kann man doch immer reden. Wie über Bonnie Prince Billy oder Osteuropa. Kurt Vile fährt zurück in die Arena, um sich auf sein Konzert mit den Violators vorzubereiten. Sweet Sweet Moon steht dort schon auf der Bühne, als ich noch immer im Funkhaus auf M Ward warte und im Akustik Studio alle Lichter abdrehe, während dieser mein Held, der mich für John Fahey zu interessieren begann, eine Akustiksession im Dunkeln spielt. "Requiem", dieser eine Song über einen verstorbenen Soldaten mit einem Herzen stärker als ein "heavy metal bullet", ist zwar nicht dabei, dafür "Chinese Translation" vom großartigen "Post-War"-Album, Buddy Hollys "Rave On" und "Primitive Girl", diese leichte Ode über Unschuld, unbeschwerte Ehrlichkeit, über Kopf- und Herzmenschen.
ond
Aber zurück zu Portland, ja da wohnt Matt Ward. Ich kann also wieder anschließen und erkundige mich, ob es wirklich so grün ist (ja) und "how much hipsters can one take?" (viele). Ich erfahre, dass die Wien-Tipps der New York Times M Ward (und anscheinend auch Beiruts Band) ins Phil geführt haben und in die Secession am Karlsplatz. Dass man im französischen Arles Van Goghs Malstationen abwandern kann und dass alle Festivals gleich sind. Moment, das hab nicht ich gesagt, also relativieren wir mit Erinnerungen an schöne Konzertorte. Und ich versuche ihm einzureden, er soll nach Polen oder Ungarn oder Serbien oder Tschechien fahren und dafür halt einfach zwei Mal ausverkauft in New York spielen. Das geht sich doch irgendwie schon aus! Ich vergesse ihm zu sagen, dass Erdberg ur das Gegenteil von fad ist (="rad!"), weil am Friedhof St. Marx ist immerhin die Grabstätte von Wolfgang Amadeus Mozart.
Auf der Bühne setzt M Ward das erste Mal die Brille ab, während er und seine Band sich durch ihr Set spielen, in dem auch ein "Roll Over Beethoven" Cover zu hören ist.
Ich erfahre am Abend dann von mir rechts und links nahestehenden Menschen, dass man Essen muss, bevor man ausgeht, viel trinken muss, wenn man Antibiotika nimmt, dass Straßenbahngleise und Fahrräder nicht kompatibel sind und es Menschen gibt, die Hunde vergiften wollen! Hunde! Frechheit! Das alles nach, vor und während dem ersten Wien-Konzert von Beirut!
Ich starre auf ein T-Shirt-Rücken mit sexistischem Aufdruck und höre das Wort "spießig", das zu später Stunde auch meine letzte Stunde beim Beirut-Konzert zusammenfasst. Ja, ich will's auch nicht glauben, dass die kolportierte Schönheit von Beiruts Liveset an mir vorübergezogen ist wie die Gewitterwolken.