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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 6. 2012 - 15:18

EM-Journal '12-60.

Die Verabschiedung der trotz gewisser Ähnlichkeiten nicht mehr mit dem hässlichen Europameister von 2004 vergleichbaren Griechen.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Das Viertelfinale gegen Deutschland.

Die Übersicht zu allen Spielen und Journalen.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Das griechische Team mag gestern von Beginn an wie der hoffnungslose Loser ausgesehen haben, der seine einzige Chance in der Defensive und dem nach vorne geworfenen Zufall gesehen hat - mit der Spielweise des griechischen Teams von 2004 hat das trotzdem nichts zu tun.

Und genau die Spielweise macht den Unterschied: '04 war Griechenland ein Monster aus der Urzeit, ein Dinosaurier, der unter Säugetieren wütete. Erst 2010 wurde das Vieh endgültig erlegt. Aus den Ruinen dieser gleichwie prägenden wie verheerenden Erfahrung hatte der Portugiese Fernando Santos den Job etwas Neues aufzubauen.

Das ist gelungen.

Man kann anmäkeln, dass die Gruppe A im Vergleich zu allen anderen ein Kindergeburtstag war, aber gegen Russland oder Polen muss man sich auch erst einmal durchsetzen. Und man könnte die griechische Spielweise auf Basis der alten Erfahrungen fehleinschätzen und als pure Destruktion diffamieren.

Das ist es aber mitnichten.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Fernando Santos das Defensivspiel nämlich deutlich modernisiert: mit Avraam, Kyriakos und Sokratis sind spielerische Innenverteidiger am Start - ganz im Gegensatz zu den alten Holzklopfern.
Santos wichtigste Neuerung war aber eine ganz subtile: er arrangierte das Dreier-Mittelfeld, das sich zuvor praktisch ausschließlich zum Abfangen, Wegholzen und Niedertreten zusammengefunden hatte, um - nach portugiesischen Vorbildern. Dort haben die beiden vor dem Sechser platzierten Achter (Meireles und Moutinho) zwar auch Abfänger-Aufgaben und machen defensiv die Zentrale dicht, ihr Haupt-Job ist aber das permanente Mitvorstoßen bei Offensivaktionen, egal ob als Vorbereiter oder potentieller Finalisierer.

Eine ähnliche Rolle erfüllten Katsouranis oder Kapitän Karagounis früher auch schon - nur waren sie da schon in der Dreier-Offensive aufgestellt, also nominelle Stürmer, mit einer Mittelfeldreihe hinter sich.

Diese und andere Absurditäten, die den griechischen Fußball zum grotesken Ausstellungsstück, zu einem in Bernstein gefasstem Überbleibsel zu machen drohten, hat Fernando Santos abgestellt - mit einer sehr gut adaptierten Version der aktuellen Strategie von Portugal. Dass er sich (noch) nicht über die Installierung einer echten offensiven Zentrale im Mittelfeld (Ninis?) drübertraut, ist angesichts der geschichtlichen Verheerung und der nötigen Langsamkeit des Neuaufbaus nachvollziehbar.

Vom erkaltenen Relikt retour ins tränenrührende Leben

GRIECHENLAND

Tor: 1 Konstantinos 'Kostas' Chalkias (PAOK Saloniki), 12 Alexandros Tzorvas (Palermo/ITA), 13 Michalis Sifakis (Aris Saloniki).

Abwehr: 15 Vasilios 'Vasilis' Torosidis, 8 Avraam Papadopoulos,
20 Jose Holebas (Olympiakos Piräus), 19 Sokratis Papastathopoulos (Werder Bremen/DEU), 5 Kyriakos Papadopoulos (Schalke/DEU), 4 Stelios Malezas (PAOK Saloniki), 3 George/Yiorgos Tzavellas (Monaco/FRA).

Mittelfeld: 6 Grigoris Makos (AEK Athen), 2 Ioannis 'Giannis' Maniatis (Olympiakos Piräus), 10 Georgios Karagounis, 21 Konstantinos 'Kostas' Katsouranis, 18 Sotiris Ninis (Panathinaikos), 16 Giorgos Fotakis (PAOK Saloniki), 22 Konstantinos 'Kostas' Fortounis (Kaiserslautern/DEU), 23 Ioannis Fetfatzidis (Olympiakos Piräus).

Angriff: 14 Dimitrios Salpingidis (PAOK Saloniki), 7 Giorgos Samaras (Celtic/SCO), 11 Konstantinos 'Kostas' Mitroglou (Olympiakos Piräus), 9 Nikolaos 'Nikos' Liberopoulos/Lymperopoulos (AEK Athen), 17 Theofanis Gekas (Samsunspor/TUR).

Das griechische 4-3-3 hatte also ein Gesicht und folgte einem Prinzip, war aber in praktisch jedem Spiel imstande sich zu wandeln, umzustellen, zu adaptieren.

Und das hatte in einigen Spielen wirkliche Klasse.
Im Opening gegen Polen steckte das Team den Ausfall der kompletten Innenverteidigung und eine Unterzahl weg, riskierte ein teilweise wüst abzusehendes 4-2-3 und holte einen völlig unerwarteten Punkt. In dieser zweiten Halbzeit war das beste Stück der Griechen - ihr Dreiersturm Salpingidis/Gekas/ Samaras - erstmals im Einsatz.

Und das sind nicht zwei Flügel und ein Center oder zwei Halbstürmer und ein Bolzen, das sind drei echte Spitzen, die allesamt auch Mittelstürmer spielen können, sich den Platz zu dritt aber exzellent aufteilen. Dieses griechische Prunkstück ist der gewichtigste Unterschied zu früher: eine echte Dreier-Sturmreihe, eine, die sonst kein anderes europäisches Team hat.

Match 2 gegen Tschechien ging zwar verloren, aber dort hab ich mein Herz für die Griechen gefunden. Ich zitier nur einen Zwischentitel: "Eine griechische Mannschaft im 4-2-4, zum Heulen schön."

Im dritten Spiel gegen Russland stand der Dreier-Sturm dann erstmals von Beginn an auf dem Feld - was nicht viel nützte, weil Russland zu viel Druck entwickelte. Die Griechen waren nicht schlecht, kamen aber nie ins Spiel, der Sieg war eine einzige glückliche Wendung. Normalerweise rächt sich sowas im nächsten Spiel. Tat es dann auch gegen die viel zu guten, viel zu überlegenen Deutschen, gegen die Santos alles wieder auspackte, auch das finale 4-2-4, ohne jedoch eine reelle Chance zu haben.

Hat Fernando Santos seine Optionen genützt?

Ja, im Rahmen seiner taktischen Vorgaben durchaus. Dass er seinen Joker Katsouranis in die Innenverteidigung zurückzog und seinen vierten eigens deshalb mitgenommenen Innenverteidiger so überging, wirkte seltsam, kann aber seine Gründe haben. Ansonsten kamen alle außer Fetfatzidis auf ihre Einsatzzeiten. Dass auch die Jungen wie Fortounis oder die deutschen Verteidiger spielen durften, zeigt eine andere drastische Veränderung der griechischen Philosophie. Nicht mehr die Erstarrung, die Unleidlichkeit und Rüdnis des Alters sind ihr Alleinstellungsmerkmal - Santos sorgt auch schon dafür, dass etwas heranwachsen kann; ein Fakt, den sein Vorgänger bewusst ausgespart hatte, ein Verbrechen eigentlich.

Für künftige Aufgaben bieten sich dann durch eben diese jüngeren Akteure auch andere Möglichkeiten an. Wenn Santos & Nachfolger seine Neuerungen sinnhaft weitertreiben, kann ein griechisches Team dann 2016 auch in einem ganz anderen System antreten. Der Grundstein dafür ist bei dieser Euro gelegt worden.

Und das ist ein Erfolg.