Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "TV Trio Infernal (1)"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 6. 2012 - 12:24

TV Trio Infernal (1)

Plaudereien dreier Filmbesessener, die sich diesmal dem Bildschirm widmen. Und den Mad Men am Rande des Nervenzusammenbruchs, von „Breaking Bad“ bis „Homeland“.

CHRISTIAN: Da sitzen wir wieder im virtuellen Gastgarten und schwärmen, Sebastian Selig, Christoph Prenner und meine Wenigkeit. Drei Filmbesessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, lassen ihren Assoziationen freien Lauf und driften dabei schon mal ins fantechnische Delirium. Alles mit voller Absicht natürlich. Wobei es diesmal nicht um einen bestimmten Film geht, der uns in fiebrige Stimmung versetzt. Sondern um das Suchtmittel TV-Serie, das nicht aufhört, auf legale oder illegale Weise in seinen Bann zu ziehen.

CHRISTOPH PRENNER ist als Schreiber, Partymacher und Partymusikmacher tätig. Schaut daneben aber auch immer wieder mal Filme und Serien.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino, besitzt aber auch einen Fernseher, neben dessen wuchtiger Größe sich einige DVD-Serien-Pappschuber stapeln. Die mögen rein äußerlich, mit ihren trist lieblos gestalteten Covern, an Hausfrauenromane erinnern, in ihrem Inneren glitzert und funkt es dann aber doch beträchtlich.

Seit sich vor mehr als einer Dekade überwiegend amerikanische Fernsehautoren, Regisseure und Produzenten von der Kreativität des Kinos anstecken ließen und epische, fortlaufende Erzählungen schufen, in der unsere emotionale, soziale, politische Verunsicherung nervenzerfetzend, komisch, romantisch aufgefangen wurde, ist die Welt nicht mehr dieselbe. Wie steht ihr dem Trend gegenüber? Was sind eure vergangenen Über-Favorites im Serien-Kosmos?

SEBASTIAN: Das Kino tat natürlich gut daran, sich so vom Erzählen, vom „Charaktere ausformulieren“, sprich: sich endgültig von seinen literarischen Wurzeln lösen zu können und all das beim Fernsehen abzuladen, wo es hingehört. Wo es den dafür nötigen Raum gibt. Wo es sich suchthaft in der Überdosis auflösen konnte. Ich habe mir da zu Beginn am liebsten die ganz großen Familiendramen in die Venen geschossen. Die „Sopranos“ natürlich, „Six Feet Under“. Bin dann aber zunehmend am großen Ganzen hängen geblieben. Wie greift so was nicht nur als Familie, sondern insgesamt als Gesellschaft ineinander? Sprich: ich habe natürlich „Deadwood“ geguckt, was einen dann beinahe zwangsläufig zu den manisch gebrochenen Männern führt: „The Shield“, „The Unit“, „Breaking Bad“.

Six Feet Under

HBO

CHRISTOPH: Ganz ohne jetzt noch einmal richtig olle - und freilich immer noch tolle - Kamellen wie „Twin Peaks“ hervorholen zu wollen: „The Wire“ und „Six Feet Under“ gehören – abgesehen von einigen der Serien, die wir hier im Anschluss noch behandeln werden – zum unbestritten Besten, was im letzten Jahrzehnt so im TV-Bereich zusammengedeichselt wurde. Auch ziemlich prima, wenngleich auch eher als guilty pleasure abzuheften: „Rescue Me“ mit dem ewig guten Denis Leary.

CHRISTIAN: Ich trenne ja auf gewisse Weise zwischen süchtigmachender Unterhaltung einerseits, diesbezüglich konnte für meinen Teil nichts mehr die Mysterydroge „Lost“ toppen. Und andererseits sind für mich gewisse Serien, noch mehr als Filme, so etwas wie Ratgeber, Seelenbalsam, Therapieersatz, Mutmacher. „Six Feet Under“, schon von euch erwähnt, hat mich in diesem Sinn elektrisiert und berührt, wie ich es seitdem nicht mehr erlebt habe. Die einzige aktuelle Serie, die mich ähnlich mitnimmt, ist die wohlbekannte Saga rund um die Werber-Gang von der Madison Avenue. Wie steht ihr zu „Mad Men“?

SEBASTIAN: Ein goldenes Kalb, vor dem ich noch davontanze. Ist mir als einem, der da beruflich mitten drin steckt in dieser bourbon-goldenen Welt von Werbung, möglichweise alles auch viel zu nah.

"Mad Men"

AMC

Beklemmende Ruhe vor dem Sturm

CHRISTIAN: Ich denke ja, dass all die Fans, die sich auf die zugegeben glamourösen Sixties-Schauwerte stürzen, die in Schale geworfen auf „Mad Men“ Clubbings gehen und sich an der verrauchten Atmosphäre delektieren, ziemlich falsch liegen. Und sich wohl bei der eben fertig gelaufenen fünften Season eher gelangweilt haben. Weil es in Wirklichkeit ganz zeitlos um die großen menschlichen Tragödien geht, die oftmals so kleinlich daherkommen. Und gerade diese fünfte Staffel zeigt – und ich bin erst mittendrin – mit welchem Geniestreich es wir hier zu tun haben. Nach spektakulären Affairen, exzessivem Womanizing und wüsten dramaturgischen Wendungen setzt Serienschöpfer Matthew Weiner auf alltägliche Tristesse und beklemmende Ruhe. Christoph, du hast die Staffel schon fertiggeschaut, es ist die Ruhe vor dem Sturm, nehme ich mal an?

CHRISTOPH: Absolut. Das dicke Ende kommt erst noch, oder besser: die dicken Enden. Ohne hier allzu ausführlich spoilern zu wollen: Die Schlinge zieht sich für einige der Beteiligten definitiv enger. Die bislang so fein justierten Masken von so gut wie jedem Hauptprotagonisten liegen am Ende blut- und schmutzverkrustet im Rinnsal der guten Absichten. Keiner kommt dabei raus, ohne große Schuld auf sich geladen zu haben.

"Mad Men"

AMC

CHRISTIAN: Ich kann es nicht erwarten. Gerade durch diese frostige Stagnation in den aktuellen Folgen, diese Fadesse für manche Zuschauer, rückte für mich „Mad Men“ in die Königskategorie der TV-Erzählungen vor. Wenn ich dem sesshaft gewordenen Don Draper bei seinem Ehedrama zusehe, wenn ich sehe, wie seine Exfrau in der bürgerlichen Isolation übergewichtig geworden ist oder sich Pete Campbell zur vollends tragischen Gestalt wandelte, schnürt es mir die Luft ab. Und ich muss an die erstickenden Romane eines Richard Yates denken. Selten hab ich mich auch so mit einer TV-Figur identifiziert wie mit dem zerrissenen Mr. Draper, dessen cooler Charme tiefen Augenringen Platz gemacht hat.

Breaking Bad

AMC

Große Erzählkunst mit ganz kleinen Mitteln

SEBASTIAN: Männer am Abgrund führen uns unweigerlich zu Walter White. Was mir “Breaking Bad“ mehr noch als jeder Ninja-Film vor Augen geführt hat, ist wie dieses Einer-der-nichts-mehr-zu-verlieren-hat-der-eigentlich-schon-tot-ist-kann-durch-nichts-mehr-aufgehalten-werden, wie diese Formel, nach und nach, all ihre schmutzigen Seiten aufblättert, gibt man ihr nur genug Raum. Wie da alles manisch Heroische eines solchen Opfergangs, folgt man ihm nur gleichsam besonnen, wie gnadenlos Schritt für Schritt, recht bald einfach nur eine gewaltige destruktive Kraft offenbart.

CHRISTOPH: Neben all den inhaltlichen Qualitäten sind es für mich auch insbesondere die formalen Aspekte, die Vince Gilligans Epos so unvergleichlich strahlen lassen: Kaum eine andere Serie weiß das abgedroschene Kreativ-Motto „Show don’t tell“ so wortwörtlich und dabei aufregend für sich einzusetzen. „Breaking Bad“ bedient sich keiner Inszenierung, die man rein wegen ihrer brillanten Dialoge schätzt (die es freilich auch zuhauf gibt), sondern wegen ihres im kontemporären Seriengeschäft beispiellosen Mutes zur Reduktion: Wie hier immer wieder konsequent etwa nur mit Stille und Stillleben komplexe Gefühlswelten und charakterliche Abgründe vermittelt und beim Zuseher dabei Unsicherheit und Anspannung generiert werden, ist ganz große Erzählkunst mit scheinbar ganz kleinen Mitteln.

CHRISTIAN: Ich muss auch zugeben, dass ich zwei Anläufe gebraucht habe, um in die erste Staffel hineinzukippen. Mir war das alles, ich traue es mich kaum zu sagen, zu depressiv am Anfang. Aber durch genau die von dir erwähnte formale Brillanz, entwickelte es dann einen gewaltigen Sog, erst recht in der für mich besten dritten Staffel.

CHRISTOPH: Da erzählt allein eine einzelne Folge, die vermeintlich nur um das Erlegen einer Fliege im Drogenlabor, ähm, kreist, mehr über die verkorkste psychologische Verfasstheit seiner Hauptcharaktere bzw. ihre zerrüttete Beziehung zueinander als das andere Serien in einer gesamten Staffel zu leisten vermögen.

Breaking Bad

AMC

CHRISTIAN: Was „Breaking Bad“ so perfekt schafft, gehört ja überhaupt zu den Errungenschaften der besten US-Serien: Diese völlig unverkrampfte Mischung aus Entertainment und Plakativität einerseits und schmerzhaften Blicken unter die Oberfläche des amerikanischen (Alb-)Traums andererseits. Auf die groteske Spitze getrieben in „American Horror Story“, einer Serie, in der der „Glee“-Schöpfer Ryan Murphy all seine und die Dämonen der US-Kultur exorziert hat. Weniger die Geister, Latexmänner oder Zombies waren das wirklich gespenstische an der ersten Staffel, im Gegenteil, die nervten öfter. Das echte Grauen vermittelte sich über die Neurosen und Psychosen der Familie, die hier in ein Spukhaus einzieht. Der wahre Terror schlummert in der bürgerlichen Welt.

CHRISTOPH: „American Horror Story“ ist für mich die prächtig geglückte Fusion der so disparaten und dann doch auch wieder weitschichtig verwandten Themenfelder Horror und Soap – ein Ansinnen, mit dem etwa Tim Burton neulich mit „Dark Shadows“ ja einen kapitalen Bauchfleck hingelegt hat.

American Horror Story

FX/FOX

Private Defekte und politische Problemstellungen

CHRISTIAN: Wo wir schon bei verkorkster psychologischer Verfasstheit und zerrütteten Beziehungen sind, darf von „Homeland“ nicht geschwiegen werden.

CHRISTOPH: Richtig. Keine andere Serie hat mich im vergangenen Jahr so überwältigt respektive auf eine wunderbare Weise auf dem falschen Fuß erwischt. Wie der Titel mit seiner Assoziation zur US-Homeland Security schon nahe legt, verhandelt die ausgerechnet von einem Teil des Teams des erzreaktionären „24“ verantwortete Serie die Themenkreise Staatssicherheit und (islamistischer) Terror. Allerdings vor dem Hintergrund, dass 9/11 nun schon 10 Jahre her ist und die Wunden und Vorurteile von damals zwangsweise einer reflektierteren Betrachtungsweise gewichen sind.

CHRISTIAN: Wirklich irre, wie differenziert es dabei zugeht, trotz dem amerikanischen Massenpublikum als Zielgruppe.

CHRISTOPH: Ja, wo bei der Umsetzung von Jack Bauers Dumpfgummi-Patriotismus noch Schwarz-Weiß-Töne das Gezeigte dominierten, ist es bei „Homeland“ gänzlich in Grau eingefärbt. Ausgehend von der von CIA-Agentin Carrie Mathison (wahrscheinlich die beste weibliche Serienfigur der jüngeren Geschichte, hochkonzentriert und hinreißend gespielt von Claire Danes) aufgeworfenen Verdächtigung, dass ein soeben nach mehrjähriger Geiselnahme aus dem Irak heimgekehrter Marine von den Terroristen „umgedreht“ wurde, entstehen Handlungs- und Figurenkonstellationen, die je nach Betrachtungswinkel komplett andere Schlüsse zulassen. „Homeland“ verschränkt die (vermeintlichen?) Trugschlüsse und Täuschungen auf persönlicher mit jenen auf sicherheitspolitischer Ebene, lässt private Defekte auf politische Problemstellungen prallen – gleichsam also Spionagethriller auf Psychodrama.

Homeland

Showtime

Das Doppelleben hat Hochkonjunktur

CHRISTIAN: Diese Vermischung aus privatem und oft sexuellem Elend mit dem politischen Grauen hat mich besonders gefesselt. „Homeland“ ist ja auch eine Saga der impotenten und sprachlosen Männer, der Gewalt als Kompensation, der Frauen, die Eigeninitiative ergreifen. Eine US-Massenserie auf den vagen Spuren von Klaus Theweleits „Männerphantasien“, das muss man sich einmal vorstellen.

CHRISTOPH: Ganz herausragend ist hierbei für mich auch die Art und Weise, wie die individuellen Beobachtungen und die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen des Zusehers simultan zu jenen von Carrie kontinuierlich in Frage gestellt werden. Nicht umsonst heißt eine der besten Folgen „Blind Spot“: Was sieht man? Was übersieht man? Was will man übersehen? Wovon lässt man sich täuschen – und aus welchem Grund? Was muss passieren, damit die solcherart streng subjektive Sicht der Dinge zur Obsession auswächst oder auch nur als solche aufgefasst wird? The mind is a terrible thing to taste.

Dexter

Showtime

SEBASTIAN: Vom sich ganz in einem Doppelleben vergraben, obsessiv einem Plan nachhängen, in den man sich mit aggressiv kindlicher Unschuld völlig verrannt hat, in einer Welt, die irgendwie nur noch Porno ist, in der es nichts mehr zu spüren gibt und alle nur noch taub vom einen bizarren Leichenfund zum nächsten schlurfen, davon erzählt „Dexter“, die Serie, bei der man einem Serienkiller durch sein sonnen-durchflutetes Leben folgt.

CHRISTIAN: Ich traue mich nach der grandiosen vierten Staffel irgendwie nicht mehr weiterschauen. Habe gehört, dass "Dexter" diese Qualität danach nicht mehr erreicht.

SEBASTIAN: Klar wünsche ich mir, die Serie würde sich dabei noch sehr viel mehr trauen, die Traurigkeit dieser Welt immer wieder ganz ungebremst durchbrechen lassen und nicht immer so schnell in ausgestelltem Sarkasmus schwelgen, aber hey, ich bin gern dort unten in Florida.

CHRISTOPH: Wie wir ja schon festgestellt haben, hat das Doppelleben vorwiegend männlicher Protagonisten eindeutig Hochkonjunktur im US-Serienuniversum: die (Anti-) Helden haben hinter der biederen bürgerlichen Existenz eine andere, abgründigere zu verbergen – was einen nicht geringen Teil des Reizes der Handlung ausmacht.

Don Draper und Peggy Ohlson in der AMC Fernsehserie Mad Men

AMC

Zwischen zwei Welten

CHRISTIAN: Abgesehen von allen Thrills und Kicks, die aus der Doppelidentität entstehen, sehe ich das auch als direkte Metapher auf den Alltag im Powerkapitalismus. Um quasi zu allen dahinterstehenden Versprechungen zu gelangen, also die Sicherheit vermittelnde bürgerliche Existenz einerseits und das wilde, gefährliche Dasein andererseits, können diese Männer gar nicht anders als ein geheimes Zweitleben zu führen. Don Draper, Walter White und auch Dexter Morgan verlassen regelmäßig ihre Frauen und Kinder, um sich einem Strudel aus wahlweise Promiskuität, Kriminalität oder sogar Serienmord hinzugeben. Um danach wieder in die kuscheligen Zonen des Zuhause zurückzukehren. Hinter all der perfiden bürgerlichen Verlogenheit muss man auch sagen: Da steckt eine gesellschaftliche Sehnsucht nach radikalen Ausbrüchen dahinter, nach dem "Fight-Club"-Gefühl sich „endlich wieder einmal zu spüren“. Die „Homeland“-Agentin Carrie Mathison ist da übrigens endlich eine zentrale Frau in dieser Riege der geheimen Doppelexistenzen.

CHRISTOPH: So konsequent wie „Awake“ hat das Prinzip der zwei parallelen Existenzen aber noch keine Serie auf die Spitze getrieben. Nachdem Detective Michael Britten (der beeindruckende Jason Isaacs) nach einem schweren Autounfall wieder zu Bewusstsein kommt, muss er feststellen, dass er fortan parallel in zwei Welten erscheinen kann: in einer hat nur seine Frau überlebt, in der anderen wiederum nur sein Sohn. Weil er natürlich beide nicht endgültig verlieren möchte, hält er also beide „Realitäten“ aufrecht – sehr zum Befremden seiner, klar, beiden Psychiater, die ihm jeweils recht glaubhaft zu vermitteln versuchen, dass es die andere Welt nur als Traum geben kann.

CHRISTIAN: Muss ich unbedingt sehen, sehr bald.

CHRISTOPH: Dieses so komplexe wie hochfaszinierende Szenario wird in den besten Episoden so fulminant hochgejazzt, dass dem geneigten Zuseher schon mal die Gehirnwindungen durchzuschmoren drohen, während er zugleich tränenreich in die tragischen Gefühlswelten des defective detective abtaucht. Geholfen hat dieses irrsinnige Potential der Serie leider nicht, denn dem US-Fernsehpublikum war das alles wohl ein bissl zu steil – wegen Quotenschwäche wurde „Awake“ vor kurzem eingestellt. In diesem Fall gilt eben in jeglicher Hinsicht das bewährte Adorno-Bonmot: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Awake

NBC

Schalten sie nächste Woche unbedingt auch zu Teil 2 dieser kleinen Serien-Plauderei ein. Upcoming Attractions: „Eastbound & Down“, „Game of Thrones“, „Justified“, „Magic City“, „True Blood“.