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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

24. 6. 2012 - 10:19

Meine EM-Helden

Eine Huldigung der Sehbehinderten-Kommentatoren

Man möge mich bitte nicht falsch verstehen!

Ich verehre Herrn Polzer! Seine Fachkundigkeit und seine prächtige Stimme sind ein Segen für den Freund des runden Leders!

Ich bewundere Thomas König! Sein kluger Geist und sein sprühender Witz haben mir schon manch grauen Tag gerettet!

Ich liebe Boris Kastner-Jirka! Sein engelsgleiches Organ und seine weltmännische Weisheit veredeln jedes Spiel!

Allerdings:

Noch besser finde ich jene gesichtslosen Stimmen, die im ORF sämtliche EM-Spiele für Sehbehinderte in einer alternativen Tonspur kommentieren.

Man könnte sich natürlich fragen, warum blinde Menschen sich für Fußball interessieren sollten. Wie langweilig muss es sein, beschrieben zu bekommen, dass gerade nichts Aufregendeszu sehen ist. Der eine oder andere wird den Sehbehinderten-Kommentar aber schon in seiner eigentlichen Funktion nutzen.

Ich bin mir jedoch sicher, dass die meisten aus den selben Motiven wie ich Zweikanalton-Anhänger sind: Weil die Sprecher ausnahmslos kompetent, klug und lustig sind.

Wer keine Lust auf Experimente mit der Fernbedienung hat, kann auch der Anleitung zum Wechseln der Tonspur folgen.

In geschliffener Sprache schaffen sie es, das Geschehen am Platz nicht Pass für Pass runterzubeten, sondern sinnvoll zusammenzufassen. Sie können Ballstafetten, Angriffe, Konter, Tacklings, Abseitssituationen oder vergebene Chancen aus dem Stand schlüssig beschreiben und gleichzeitig brillant analysieren. Außerdem erkennen sie jeden Spieler auch aus großer Entfernung blind (Ich bitte um Verzeihung…) - Keine Selbstverständlichkeit, wenn man an ihre oben erwähnten Kollegen denkt.

marc carnal

Dieses Symbol steht für den Zweikanalton. Man kann meinem Aufsatz aber auch ohne diese öde Info problemlos folgen.

Pro Spiel sind stets zwei Kommentatoren am Werk, die sich alle fünf Minuten abwechseln, weil sie ob der Redeschwalle ansonsten verdursten würden.

Obwohl jede Situation der Aufgabe entsprechend beschrieben wird, schaffen es die Kapazunder von Tonspur zwei dennoch regelmäßig, Zeugnis ihres profunden Wissens abzulegen und flechten geschickt Hintergrundinformationen ein, die sie auch tatsächlich zu wissen und nicht abzulesen scheinen.

Was ich aber noch viel mehr schätze, ist die wohltuende ironische Distanz zum Spiel, die nie in Flapsigkeit oder Herablassung umschlägt. Der trockene Witz blüht besonders bei den (gerade bei dieser EM zahlreichen) Einblendungen von Fans und Ehrengästen, deren Beschreibung den sehbehinderten Fußballfreund zwar nicht erleuchten mögen, die Blinden-Kommentatoren aber zu Bonmots inspirieren.

"Angela Merkel, etwas unbeholfen klatscht sie hier in die Hände, aber wer kann es ihr verdenken." (Deutschland gegen Griechenland)

"Und wir sehen einen entblößten tschechischen Fan mit Bierbauch, da wabbelt und schwabbelt es nur so vor Lebensfreude." (Portugal gegen Tschechien)

Gepriesen seien also den Zweikanalton-Helden, die hässliche Fertigteil-Sätze nach Möglichkeit vermeiden und nach der Verletzung eines Spielers tatsächlich sagen, er werde vom medizinischen Betreuerteam "gelabt"!

Nun wollte ich in dieser Lobpreisung auch deren Namen erwähnen. Im Internet wurde ich nicht fündig, also konsultierte ich den ORF-Kundendienst. Der freundliche Herr am Telefon schien ob meiner Anfrage zunächst etwas verwirrt zu sein. Er meinte, dass er täglich unzählige Beschwerden über die EM-Berichterstattung entgegennehmen müsse, ich aber der erste Anrufer sei, der sich über die ihm anscheinend bis dahin unbekannten Sehbehinderten-Kommentatoren erkundige. Nach einigem Suchen diktierte er mir schließlich die Namen Gregor Waltl, Bartosz Niedzwiedzki, Ricarda Huber, Phillipp Stögner, Martin Zwischenberger, Johannes Karner, Martin Löscher, Florian Knöchl und Markus Messics.

Diesen Herrn und Frau Huber möchte ich hiermit also für kurzweilige Stunden danken.