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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 6. 2012 - 17:08

EM-Journal '12-58.

Politischer Einwurf zwischendurch: Hinterhof-Denken. Wie Europa mit den Schweinehunden bellt. Ein Aperçu zu Deutschland - Griechenland.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine.

Weil es heute, anlässlich der zufällig zustande gekommenen Viertelfinal-Begegnung zwischen Deutschland und Griechenland wieder dutzendfach hochkochen wird; das Blabla vom "anderen" Euro-Match, das das "eine" Euro-Match zwischen der für die EU stehenden Angela Merkel und Griechenland quasi widerspiegeln würde: Ich halte garnix davon, wenn sich scheinseriöse Polit-Akteure in witzig-sein-wollendem Trash-Talk (mit meist armseligen Metaphern) über Fußball austauschen; und genausowenig von Sport-Akteuren, die sich in solchen Momenten dann zu politischen Auskennern aufschwingen wollen, aber bloß den populistischen Mainstream nachquasseln.

Alles ebenso verzichtbar wie ekelhaft.
Auch weil die Materie zu komplex ist (und damit meine ich die Fragen der Ökonomie, nicht die auf dem Rasen in Gdansk heute Abend) um sie ausschließlich flapsig abzuhandeln.

Mir ist in den letzten Tagen, anlässlich der griechischen Wahl und der Regierungsbildung aber noch etwas ungut aufgestoßen, und das hat weder mit Sport noch mit Ökonomie zu tun, sondern mit politischem Grundverständnis.

In nahezu allen mittel-/westeuropäischen Medien wurde, flächendeckend, von der Erleichterung gesprochen, die Rest-Europa umfasst hätte, weil die alten Systemparteien ND und PASOK zusammen auf eine Mehrheit gekommen wären und die Gefahr durch die erst angesichts der letzten Katastrophenjahre hochgekommene, als linksradikal bezeichnete SYRIZA gebannt wäre.

Die Korruptionisten und die Linksradikalen

Da stimmt nun gleich zweierlei nicht.

Zum einen ist/war es die Misswirtschaft, Korruption und Unfähigkeit der seit Jahrzehnten von oligarchischen Strukturen durchsetzten und pervertierten Familien-Cliquen angeführten Groß-Parteien, die Griechenland (mit) in die Krise schlittern ließen. Warum man also froh sein muss, wenn die alten Korruptionisten ihre Pfründe nicht aufgeben müssen, ist durch die krause ökonomische Logik, der wir uns unterwerfen, vielleicht populistisch gedeckt, demokratiepolitisch ist das jedoch absurd.

Zum anderen ist es ein wenig seltsam, wenn der aufgeklärte demokratische Westen politische Kräfte verteufelt, die an der aktuellen Situation genau null Schuld tragen und gegen den korrupten Filz und das Patrizier-Herrschafts-System antreten um die tatsächlichen Interessen des Wahlvolks zu vertreten. Demokratiepolitisch ist das nämlich nicht nur eine Erleichterung, sondern ein echter Fortschritt.

Dass die Syriza, ein Zusammenschluss diverser grüner, ökologischer und linker Parteien, die in Griechenland, einem Staat mit einer traditionellen KP über keinerlei radikale Geschichte verfügen, jetzt von Interessensvertretern, die an der Krise verdienen, als extremistische Anarchisten diffamiert werden, ist schon okay - das ist normale politische Propaganda.
Dass diese Zuschreibungen aber dankbar übernommen werden, in ganz Europa, von allen Regierungen, allen Medien und allen Bürgern, ist frappant. Dass sich die Tatsache, dass die Syriza, die einzige aktuelle Großpartei ohne politische Schuld ist, damit so einfach zukleistern lässt, bedeutet, dass dieser Schmäh bei uns auf fruchtbaren Boden fällt.

Die gute alte Hinterhof-Politik

Mich erinnert diese Zuschreibungs-Unüberlegtheit fatal an die Politik, die die Hegemonialmacht USA in den Siebzigern und Achtzigern in Lateinamerika gefahren ist. Damals ging es darum, die politische Einfluss-Sphäre im amerikanischen Hinterhof abzusichern. Linke bis hin zu katholischen Befreiungstheologen wurden diffamiert, niedergehalten, teilweise ermordet, alteingesessene Oligarchen und Korruptionisten hingegen auf die Präsidentensessel gehievt.

Außenminister Kissinger soll in Bezug auf eine solche Marionette einmal den schönen Satz ""Ja, er ist ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund!" gesagt haben. Das trifft es. Dieses Hinterhof-Denken.

Auch heute noch.

Uns, den gesettelten EU-Ländern, ist die Selbstbestimmung anderer Völkerschaften wurscht. Solange die Korruptionisten an der Macht bleiben und dafür sorgen, dass unsere wirtschaftlichen Interessen gewahrt bleiben, können sie das Land ruhig weiter ausbluten.
Sie mögen Schweinehunde sein, aber sie sind die Schweinehunde, die nicht nur Merkel und Co. recht sind, sondern auch unsere Interessen vertreten.

Das ist, wie bereits gesagt, legitim, wenn man jegliche politische Moral ausklammert.

Wenn wir als Zivilgesellschaft diese Werte aber ungeprüft übernehmen (wie im Fall Griechenland flächendeckend geschehen), weil uns das eigene Wohlbefinden alles, die politische Entwicklung unserer Nachbarn aber nichts bedeutet, weil wir sie als Hinterhof definieren, der uns wurscht ist und auch nix angeht, dann stimmt etwas nicht.
Mit uns und mit unseren Medien.