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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 6. 2012 - 14:27

EM-Journal '12-57.

Warum Bärte nicht über einen fehlenden Plan B hinwegtäuschen können. Die Verabschiedung von Tschechien.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Das gestrige Viertelfinale gegen Portugal.

Die Überisicht zu allen Spielen und Journalen.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Nach jedem der Viertelfinale folgt die gebührliche (und analytische) Verabschiedung des Ausgeschiedenen. Mit den Weiterkommern werden wir die nächsten Tage eh noch genug zu tun haben.

Ein Bart überdeckt die Schwächen nur, er behebt sie nicht

Bevor jetzt alle (eh auch zurecht) nur auf dem Level der EM-Gruppe A herumhacken: daran allein ist die schwache Vorstellung der Tschechen gestern nicht festzumachen. Team Russland hätte sich dem portugiesischen Angriffswirbel deutlich entschlossener entgegengestellt, Team Griechenland eine deutlich bessere Strategie entwickelt, Team Polen zumindest wieder die ersten 15 Minute Auf-Teufel-Komm-Raus attackiert. Und all das wäre auch Michal Bileks tschechischer Mannschaft, die sich die Bärte seit Beginn der Euro wachsen ließen, zuzutrauen gewesen, das Potential dazu wäre da.

Allein: Nichts davon ist geschehen. Eine bis auf den nichtumzubringenden Jiracek völlig gelähmte Mannschaft war über keine fünf Minuten lang imstande auch nur ansatzweise so etwas wie ein Offensivspiel aufzuziehen. Die Hilflosigkeit, mit der man Portugal gegenübertrat, war ebenso ausgeprägt wie unnötig, wie unerwartet.

Denn die bisherigen schwachen Spielperioden der Tschechen (große Teile des ersten Matches gegen Russland, die erste Halbzeit gegen Polen) waren auf ganz andere, nachvollziehbare Ursachen zurückzuführen.

Gegen Russland machte Bileks Team den Fehler mitspielen, also mitpowern zu wollen: Die personelle und individuelle Stärke hatte man aber im Vergleich zum deutlich robusteren russischen Team nicht. Gegen Polen nutzte man die gewonnenen Erfahrungen und überließ dem Gegner, der sich bekanntermaßen in den ersten 20 Minuten auspowert, um dann nie mehr zurückzukehren, die Anfangsphase, und - eher versehentlich - dann auch gleich die ganze Halbzeit.

Dafür war dann die zweite Polen-Hälfte eine Ansammlung gut getimter Tempogegenstöße, mit denen die Tschechen in Spiel 2 auch Griechenland so richtig schön fertig gemacht hatten und mit denen sie in Spiel 1 beim Stand von 1:2 fast noch einmal zurückgekommen wären.

Es gab also in jedem der bislang sehr unterschiedlich verlaufenen tschechischen Matches klar auszumachende Hoch-Zeiten - gestern kam man auf nicht mehr als vielleicht insgesamt drei brauchbare Spielminuten.
Warum?

Das hat einerseits mit dem Gegner zu tun. Portugal brachte eine nahezu spanische Geduld auf um den Gegner müde zu spielen - die viele Laufarbeit bei zu hohem gegnerischen Ballbesitz kostete zuviel Substanz. Und Paulo Bento nützte die erkennbaren Schwächen der Tschechen auch beinhart aus.
Die größte davon liegt im Halten eines hohen Tempos über mehr als nur ein paar Minuten; eine andere war die offensichtliche Schwäche im Zentrum (selbst mit einem noch so halbwegs fitten Rosicky). Dagegen setzte Bento in der zweiten Hälfte einen deutlich verstärkten Druck seines Flügelspiels - der brachte die endgültige Lähmung der Tschechen.

Hat Bilek seine Optionen genützt?

TSCHECHIEN

Tor: 1 Petr Čech (Chelsea/ ENG), 16 Jan Laštůvka (Dnipropetrovsk/UKR), 23 Jaroslav Drobný (HSV/D).

Abwehr: 2 Theodor Gebre Selassie (Slovan Liberec), 5 Roman Hubnik (Hertha BSC/D), 6 Tomáš Sivok (Besiktas/TUR), 4 Marek Suchy (Spartak Moskau/ RUS), 3 Michal Kadlec (Leverkusen/D), 8 David Limberský, 12 František Rajtoral (Viktoria Plzen).

Mittelfeld: 13 Jaroslav Plašil (Bordeaux/FRA), 17 Tomáš Hübschman (Shakhtar Donetsk/UKR), 19 Petr Jiráček(Wolfsburg/ D), 10 Tomáš Rosický (Arsenal/ ENG), 9 Jan Rezek (Famagusta/CYP), 14 Václav Pilař (Viktoria Plzen -> Wolfsburg), 11 Milan Petržela, 18 Daniel Kolář, 22 Vladimír Darida (Viktoria Plzen).

Stürmer: 15 Milan Baroš (Galatasaray/TUR), 21 David Lafata (Jablonec), 20 Tomáš Pekhart (Nürnberg/D), 7 Tomáš Necid (ZSKA Moskau/ RUS).

Diese Standardfrage in der Verabschiedungen passt jetzt ganz wunderbar. Denn der Mangel an Variationsbreite hat Tschechien eine bessere Performance gekostet.

Andere Coaches, die ihre Teams rund um einzelne Stars bauen (Schweden, die Ukraine) versuchen der schnell erzielten Abhängigkeit durch taktische Varianten zu entgehen. Blokhin bastelte mehrere Behältnisse für Sheva, Hamren probierte einiges rund um Ibrahimovic.

Michal Bilek hatte keinen Plan B, was seine anfälligen Stars betrifft.
Als Rosicky ausfiel, stellte er Kolar, Darida und dann Jiracek in die zentrale Position - die sie allesamt natürlich nicht ansatzweise so wie der hochbegabte Zauberer ausfüllen können. Anstatt sich eine Formation, ein System ohne Rosicky auszudenken, substituierte Bilek nur.

Das ist, angesichts der Tatsache, dass Rosicky sowieso fast komplett ausgefallen wäre, eigentlich ein Verbrechen.

Die zweite Katastrophe war das starre Festhalten an Milan Baros im Sturmzentrum. Baros, früher ein großer Angreifer, sah bei dieser Euro etwa zwei Bälle, blieb die restliche Zeit komplett unsichtbar und auch wirkungslos. Bileks Beharren bedeutete, dass die Tschechen die allermeiste Zeit mit 10 Mann auskommen mussten.

Nur für ganz wenige Minuten probierte Bilek es mit zwei Spitzen vor einem flachen Vierer-Mittelfeld - dabei wäre diese Lösung (vor allem beim anzunehmenden Ausfall von Rosicky) allein schon wegen des Spielermaterials auf der Hand gelegen. Bilek hat übrigens Vertrag bis 2014, er wird sich in den nächsten Monaten also mit alldem auseinandersetzen müssen.

So sympathisch vieles war, was die Tschechen bei dieser Euro herzeigten, die taktische Einfalt, ihre Schwäche beim Tempo-Fußball und vor allem die strategischen Schwachpunkte des Michal Bilek, der sein 4-2-3-1 mangels nicht angestellter Überlegungen gar nicht verlassen konnte, haben dem Aufenthalt der Nachbarn in Polen gar nicht verlängern können.