Erstellt am: 3. 7. 2012 - 14:30 Uhr
Endstation Zensur
"Heute habe ich beschlossen, eine Bank zu überfallen." Das ist der Anfang der Geschichte des jungen Ägypters Shehab, dem Protagonisten der Graphic Novel "Metro" von Magdy el Shafee. Unvermittelt ist dieser Einstieg. Wir folgen Shehab durch die moderne Metropolis Kairo, immer entlang der Metro, der U-Bahn, die Hosni Mubarak seinem Volk "geschenkt" hat. Shehab lebt in einem Kairo, das verstört, abhärtet und einem eintrichtert: Friss oder Stirb!
Edition Moderne
Metro - Kairo Untergrund von Magdy el Shafee ist in einer Übersetzung von Stefan Winkler und Iskandar Ahmad Abdalla bei Edition Moderne erschienen.
Wir lernen Shehab als Antihelden kennen. Er ist ein Software-Spezialist, kein Superheld. Sein Wissen nutzt er, um eine Bank zu überfallen. Nicht um ein zeitgenössischer Robin Hood zu werden, sondern um sich selbst zu helfen. Er "beraubt" einen korrupten Politiker, der gerade dabei war eine Millionensumme entgegenzunehmen. In Metro geht es aber nicht darum, den Reichen etwas zu stehlen, um es für sich selbst zu behalten. Das ist die vordergründige Message der Geschichte:
"Das Buch zielte auf ein Machtmonopol. Heutzutage geht es gegen die Macht des Militärs und Religion ebenso wie gegen die Macht des Geldes und des Kapitalismus."
Magdy el Shafee sagt mir das in einem Überbleibsel der ägyptischen Belle Epoche, dem Hotel Windsor in Kairo. Einzeln aufgereiht stehen einige leicht angestaubte Schnapsflaschen in der überschaubaren Bar. Magdy kommt zwei Stunden später als vereinbart. In Ägypten wird gewählt. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl war gerade vorbei. Sein Finger trägt noch die Tinte, die anzeigt, dass er seine Stimme angegeben hat. Demokratie braucht Zeit, was sind da schon zwei Stunden?
Magdy war seit der Revolution immer wieder auf dem Tahrir, hat die Veränderungen im Land mitgetragen. Spricht er von den alten Eliten, von den rückwärtsgewandten Ideen des politischen Islam, oder die Gewalt des Militärs wirkt der 50-jährige el Shafee wie ein 25 jähriger. Wild gestikulierend und mit weit aufgerissenen Augen spricht er eindringlich und doch bedacht vom aktuellen Ägypten und von seiner Rolle darin: Revolutionär und Comiczeichner.
Moral und Macht = Angriff auf die Gesellschaft
Sammy Khamis, Park 15
Der Comic wurde in Ägypten 2008 veröffentlicht, um nur sechs Wochen nach Erscheinen von der Zensurbehörde einkassiert zu werden. Verstoß gegen die "öffentliche Moral" ist die richterliche Begründung. Man wolle das ägyptische Volk vor den Gefahren schützen, die Shafee in seinem Buch verbreitet. Man sieht im Buch eine angedeutete Sex-Szene und eine halbnackte Frau. Zeichnungen, die in der rasanten Story ohne große Relevanz sind. Ganz im Gegensatz zur sexuellen Belästigung, der Deena, doe weibliche Protagonistin, permanent ausgesetzt ist. Dies wird weder von der Zensur noch von der Polizei verfolgt.
Vielmehr zeigt "Metro" die verkrusteten, anachronistischen Vorstellungen der Eliten unter Mubarak und der gesamten verlogenen Herrscherkaste. Sie sind das eigentliche Ziel von Magdys Buch. Heuchlerisch und resistent zeigen sich bis heute die Verantwortlichen im Staate Ägypten. Das Buch bleibt auch weiter verboten; Weil es so aktuell ist!
"Metro": Der Missing Link in der Geschichte der Revolution
Edition Moderne
Zeitlich fällt Metro in das Ägypten Mitte der 2000er Jahre. Das Land sieht erste Demonstrationen, die Gesellschaft verjüngt sich drastisch, wird immer unzufriedener und kritischer. Diese neue politisierte Generation ist Vorbild für die weibliche Protagonistin des Comics, Deena. Sie ist Journalistin und zugleich die Freundin/ Geliebte von Shehab. Sie zeigt ihm, dass sein Handeln auch eine politische Komponente hat: Ein Banküberfall wird von einem Verbrechen zu einer subversiven Handlung gegen die Regierung.
Metro ist durchgehend in bestechenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen gehalten. Grautöne kommen kaum vor. Ganz nach dem Motto: Friss oder stirb. Das zeitgenössische Kairo lässt eigentlich Raum für Zwischentöne, Schattierungen. Nicht aber die ägyptische Politik unter Mubarak. Einer verliert immer. Wie auch im Comic. Wer das ist, das muss man selbst herausfinden.
"Metro" schließt die Lücke zur Tahrir Revolution. Die Vorgeschichte von dreißig Jahren Mubarak wird meisterhaft angedeutet und erfahrbar gemacht. "Metro" ist eine kurzweilige Lektüre, für alle, die sich für das moderne Ägypten, aber auch für das Genre an sich interessieren.