Erstellt am: 22. 6. 2012 - 11:15 Uhr
Sonar, die Dritte
Die großen Momente der Sonar 2012 erlebte ich nicht „on the floor“ sondern als Konzertbesucherin. Mouse on Mars veröffentlichten Anfang des Jahres ein Album Namens Parastrophics. Den Namen, so erzählten sie, haben sie sich ausgesucht, weil es zu diesem Zeitpunkt noch keine Google-Einträge für den nach Linguistik und nach Weltuntergang klingenden Begriff. Man weiß zwar nicht was es ist, aber es ist neu und jeder hat dazu sofort eine Idee, meinten sie. Bei der Sonar nahmen uns Mouse on Mars in den Keller des Museums für zeitgenössische Kunst mit, auf eine Wahnsinnsexkursion ins Reich der komplexen Rhythmen.
sonar
Das Werk von Mouse on Mars ist ein Raster an dem man große Theorien aufziehen könnte. Es ist komplex und vertrackt aber es macht vor allem Live mit Strobo und Cut Up Vocals sehr viel Spass. Man kann sich also aussuchen ob man sich gröhlend Bier über den Kopf schüttet oder kleine Weisheiten notiert, die man anschließend im De:Bug-Forum postet.
Im gleichen Rahmen, Keller unter der Erde, spielte der japanische Komponist und Producer Cornelius. Der nach dem Schimpansen-Archäologen aus Planet der Affen benannte Musiker wird in seiner Heimat so verehrt, dass Verbindungen zwischen seinem Konzert und dem deutlich gestiegenen Prozentsatz japanischer Besucher bei der Sonar hergestellt wurden.
sonar
Cornelius ist verliebt in brasilianischen Bossa Nova und sonnengetränkte Harmonien, in denen man ein Echo des Wahnsinns von Brian Wilson hört, Brüche, Dissonanzen und Feedback. Sein bei der Sonar aufgeführtes Werk "salyu x salyu" ist um die Stimme herum gebaut. Und so war das Zentrum der Bühne auch ein in weiß gewandeter japanischer Mädchenchor. Freunde hatten Tränen der Begeisterung in den Augenwinkeln. Dem von sensorischen Reizen ausgebrannten Klotz, der diese Zeilen verfasst, ging das hyper-ästhetisierte Zitatgeflecht nach 5 Minuten auf die Nerven.
Maria Minvera ist eine junge Dame, von der wir noch viel hören werden. Sie teilt das musikalische verspielte Talent soeben aufgegangener Sterne wie Grimes und wirkt wie ein Update von Weltenschöpferinnen wie Kate Bush.
natalie brunner
Ihr Debütalbum trägt den Namen Cabaret Cixous und ist auf dem neuen Lieblingslabel 100% Silk erschienen.
Cabaret Cixous trägt die programmatische Liebeserklärung an die feministische Schriftstellerin Helene Cixous (die sich mit der Frage beschäftigt, was eine weibliche Sprache sein könnte) und an Cabaret Voltaire im Namen.
Maria Minerva spielt in einer Kirche neben dem Museum. Sie arbeitet stark mit der Raumakustik, legt Polizeiscanner über ihre Beats und Synthieflächen und löst ihre eigene Stimme in Echoschleifen auf. Es ist nichts vollkommen Neues, nie gehörtes was Maria Minerva da tut, aber man spürt, hier geht es nicht um Effekt sondern um Größe.
Dann nach zwei Stunden Aufs-Meer-Starren, einer Packung Vollkornkeksen, und dem gescheiterten Versuch meiner Freunde mich in einen Müllkübel zu stopfen, war die Zeit gekommen, mich mit dem Hauptgrund meiner Exkursion zu konfrontieren.
Ladies and Gentlemen, the legendary Roots Crew from Philadelphia!
The Roots begannen ihr Set mit einem MCA Tribut, holten Nummern wie GnR´s Sweet Child of Mine in ihre Welt, und ließen die Menschen bei den Break von Apache der Incredible Bongo Band auszucken. Der Auftritt der Roots war ein 90-minütiges Stück Musik in dem sie durch die Popgeschichte der letzten 30 Jahre reisten. Es war schön zu sehen wie The Roots miteinander spielten, durch ihre Musik auf der Bühne kommunizieren. Sie sind eine perfekte organische Einheit, die ohne den geringsten Bruch ihre Nummer The Seed zu Move On Up morphen kann.
natalie brunner
Exakt um null Uhr 10, mit dem Ende des The Roots-Konzert, hätte ich die Örtlichkeiten verlassen sollen. Aber meine Neugier trieb mich in die größte der Hallen, weil ich sehen wollte, was die Prankster Electro Rap Crew Die Antwoord so macht. Im Programm steht etwas von futuristischer Dekadenz, Hedonismus und Sarkasmus. Ich sehe geschätzte zwanzigtausend Menschen, die das, was die Schandwoord macht, leider nur geil finden und sich mit kulturellen Subversionsstrategien höchstwahrscheinlich jetzt gerade nicht auseinandersetzen, sondern zu dem Pokemon Rap einfach nur auf und ab hüpfen.
sonar
Wir verlassen die Ravehallen und holen uns extra Karma-Punkte, indem wir unseren „Ich bin wichtig“ Ausweis nicht an das Mädchen mit den nur noch weißen Augen verkaufen, obwohl uns ihr Freund hundert Euro dafür gegeben hätte, und selbst auch so drauf ist, dass er nicht checkt, dass er diesen illegalen Handel direkt neben den Securities anleihert. Oh, wie unterhaltsam Menschen in freiwillig herbeigeführten Ausnahmezuständen doch sind.
natalie brunner
Dienst nach Vorschrift wäre hiermit beendet, aber da ich Freundinnen habe, die Vespas in Barcelona herumstehen haben, beschloss ich, einmal die Stadt zu durchqueren um Soul Clap bei der Wolf + Lamb Party am Strand spielen zu hören.
Soul Clap sind genau die richtige Mischung von Cheese und Funk, um mich in völlige Disco Extase zu befördern, egal ob sie Produktionen von ihrem Album E Funk spielen, ihre Disco Edits oder den guten alten MJ.
Mein Buddy, der mich via Gästeliste reingeschummelt hat, weil mein Geiz ist stärker als meine Liebe - nie würde ich 50 Euro zahlen - meinte: "Sehr Ibiza das Ganze". Sollte ich jemals Amok laufen, dann wird das also wohl in Ibiza sein. Und des weiteren bin ich sehr stolz, Menschen in meinem Leben zu haben, die auf die Anmachversuche von sleazy DJ/Musikindustrie/ VIP Gesindel einfach nur mit „Schnauze halten“ antworten.