Erstellt am: 21. 6. 2012 - 11:43 Uhr
Shall we decadance?
Madonna muss sich eine Hornhaut um Ego und Seele wachsen lassen haben, sie scheint unverwundbar gegen die hulkartigen Gnackwatschen, die Journalisten - vor allem ihre Filmkarriere betreffend - in ihre Richtung austeilen: Von "Who's that girl" (The question posed by the film's title was Who's that girl? The answer provided by the box-office receipts was, alas, 'The same one who appeared in Shanghai Surprise and bored us to death.", Rolling Stone) bis zu "Swept Away" ("That was the worst movie I have seen in my entire life", Sophia Loren).
2008 brachte sie mit "Filth and Wisdom" ihre erste Regiearbeit auf die Leinwand, die Kritik kotzte kollektiv Schmähphrasen ins Feuilleton, doch Madonna hielt der Veriss-Armada erhobenen Hauptes stand und versucht sich mit "W.E." erneut als Regisseurin und Drehbuchautorin.
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Wallis und Wally
Wo in "The King's Speech" Edward VIII, der Bruder des stotternden Königs, und seine Beziehung zur Amerikanerin Wallis Simpson nur eine Fußnote im Historien-Feelgood-Schinken waren, widmet Madonna der Liebesbeziehung, die einen Skandal auslöste, einen halben Film. In der anderen Hälfte traben wir mit Abbie Cornish als reicher, unglücklich verheirateter Frau durchs regnerische Manhattan des Jahres 1988. Wally heißt die Dame, den Buchstaben "W" trägt sie als Anhänger um den Hals und von Wallis Simpson ist sie beinahe so besessen wie einst der britische Prinz, der 1936 immerhin auf den Thron verzichtet, um Wallis zu heiraten. Von solch larger than life Gesten in Sachen Romantik kann Wally nur tagträumen.
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Keine Geschichtsstunde
Als bei Sotheby's Möbel, Kleider und royaler Krimskrams von Wallis und dem Kurzzeit-König versteigert werden, streift sie durchs Auktionshaus und drückt sich die Nase an den Schaukästen platt. All die Seidenhandschuhe, bestickten Tischtücher und silbernen Aschenbecher, sie sind nicht nur Objekte der Begierde, die ihrem Besitzer einen Hauch Glamour versprechen, sie dienen auch als Verknüpfung zu den Rückblenden in die 1920er und 1930er Jahre. Zwar werden immer wieder Jahreszahlen eingeblendet, doch mit einem Werk, das sich an der Rekonstruktion von Geschichte versucht, darf man "W.E." nicht verwechseln. Die Nazi-Sympathien von Wallis und Edward werden nebenbei vom Tisch gewischt, aber über die Rolle des Königshauses im Zweiten Weltkrieg huschte auch "The King's Speech" hüstelnd drüber und wurde mit Oscars überschüttet.
Was fast eher erstaunt ist, dass Madonna sich so auf die sanfte Dekonstruktion einer Romanze konzentriert, wo doch in der Geschichte um Walis und Edward so viel Skandalpotential steckt. Von einer sadomasochistischen Beziehung ist die Rede, von jungen Liebhabern und Spionage für Joachim von Ribbentrop. Andererseits ist man dann auch wieder doch froh, dass die Queen of Pop nicht das Treffen von Wallis und Edward mit Hitler am Obersalzberg in Szene gesetzt hat.
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Gatsby statt König
Und so ist ihr Blick zurück ein schwärmerischer, auf glamouröse und dekadente Tage zwischen Party im Palast und Martini auf der Yacht. Madonna buchstabiert Retro mit funkelnden Kreuz-Anhängern von Cartier und flirrend-blauen Schiaparellli-Roben. Andrea Riseborough und James D'Arcy sind weitaus attraktiver als Edward VIII und Wallis Simpson tatsächlich waren, aber, dass schönheitstechnisch stets aufgerundet wird, ist eine Grundregel des Kinos. D'Arcy hat aristokratische Gesichtszüge irgendwo zwischen Ralph Fiennes und Benedict Cumberbatch und flaniert und geistreicht sich mehr wie ein Great Gatsby als ein Windsor durch "W.E.". Riseborough, die schon in "Brighton Rock" und "Made in Dagenham" ganz unglaublich war, spielt Wallis mit Verve und Keckheit und wird zum strahlenden Mittelpunkt eines ganz und gar nicht immer glänzenden Films.
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Klischees und kraftlose Symbolik
Was "W.E." fehlt, ist Struktur, erzählerisch wie visuell. Die Verknüpfung zwischen den beiden Ebenen ist holprig und wo die Geschichte um den blaublütigen Briten und die Amerikanerin zumindest ausstattungstechnisch und atmosphärisch fasziniert, sind die Episoden in Manhatten ein ziemliches Trauerspiel. Abbie Cornish muss gefühlte Stunden durch Sotheby's wandeln oder verloren in ihrer riesigen, dunklen Luxuswohnung rumstehen, bis man entnervt der Leinwand entgegenbrüllen möchte, dass die Botschaft angekommen sei: Geld allein macht nicht glücklich. Wallys Ehemann, der Arzt, der wohltätig, aber ein ordentlicher Ungustl ist, wird bald schon Evgeni (Oscar Isaacs) entgegengesetzt, russischer Sicherheitsmann im Auktionshaus, ein Mann mit einem Riesenloft, der Klavier spielt und Rilke liest. Evgeni wird das "E" zu Wallys "W". "W.E." stützt sich leider viel zu oft auf Symbolik, die durch Dauerverwendung jegliche Kraft verloren hat.
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Im Streit reißt eine Perlenkette und die Perlen kullern in Slow Motion zu Boden, auf Spiegel werden mit Lippenstift Initialen notiert und dann mit roten Bäckchen beschämt wieder weggewischt. Und wenn Wally sich die Hormonspritze in den Schenkel stößt, dann wird das Bild aus verschiedenen Winkeln mit dramatischen Soundeffekten wiederholt, als wäre man in einem TV-Film über Bahnhofsjunkies gelandet. Slow Motion, Jump Cuts und Kamerakranfahrten in Baumwipfel kommen und gehen. Die fehlende, durchgängige visuelle Sprache lässt den Film phasenweise zerfleddern. Da hilft es auch nicht, dass sich die beiden Zeitebenen irgendwann kreuzen. So steht dann Wallis Simpson am Schminkspiegel von Wally und gibt Stylingbonmots zum Besten oder da fragt man sich, so von Wally zu Wallis, so von goldener Käfig zu goldener Käfig "Do you think we can change our own destiny?"
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Und es flirrt doch!
Doch abgesehen von spröden Dialogen, gibt es auch flirrende Momente. Immer dann, wenn Madonna sich auf ein Terrain begibt, das sie beherrscht: Das Spiel mit der Oberfläche, die Inszenierung von Pomp und Glamour, von Retro-Chic und Dekadenz. Dass Madonna sowohl Zitat als auch Anachronismus beherrscht - quasi Zepter und Reichsapfel des Pop - führt sie in einer Szene vor, in der Wallis Simpson bei einem rauschenden Champagnerfeste zu "Pretty Vacant" von den Sex Pistols tanzt. "W.E." ist nicht das hanebüchene Topfenmonster, das die Presse herbeigeschrieben hat, es ist ein teilweise unausgegorener Film, phasenweise patschert und pathetisch, aber auch aus der Unausgegorenheit entsteht ein Reiz.
constantin
"W.E." hat streckenweise eine traumwandlerische Qualität und als fiebernden Tagtraum einer Frau, die ihrem Leben entfliehen will, sollte man "W.E." auch viel eher wahrnehmen als darin ein Stück Geschichtsunterricht zu sehen. Und wenn schon Geschichte, dann sollte man vielleicht viel eher nach Fragmenten aus Madonnas Biografie suchen. Denn dass Madonna früher oder später bei Wallis Simpson landet, einer Stilikone, die einen Skandal auslöste, der das Vereinigte Königreich erschüttern sollte, liegt bei näherer Betrachtung fast auf der Hand. Schon alleine wegen der geografischen Grundkoordinaten - Amerikanerinnen, die in England landen - meint Madonna, sie habe immer eine "unterbewusste Anziehung" zu Wallis Simpson gespürt. Noch stärker natürlich ist die Identifikation mit Wallis als öffentlicher Person. Immer wieder lässt sie in "W.E."grelles Blitzlichtgewitter auf Wallis einprasseln. Die Presse ist gnadenlos, der moralische Zeigefinger ist erbost erhoben und das einmal entstandene Image nur schwer wieder änderbar.
"W.E." läuft ab 22. Juni in den österreichischen Kinos
Madonnas Image als Katastrophe in allen Belangen, was Film angeht, scheint in den Köpfen so festgewachsen zu sein, dass fast schon mit pawlowscher Reflexartigkeit auf "W.E" eingedroschen wird. Gerüchteweise will sie irgendwann die Geschichte von Kate Middleton und Prince William auf die Leinwand bringen. Ich kanns ehrlich kaum erwarten.