Erstellt am: 20. 6. 2012 - 18:21 Uhr
Vier Begegnungen mit Patti Smith
Patti Smith gastiert am 28. August in der Arena Wien, wo sie ihr neues Album "Banga" (Columbia Records/Sony) vorstellen wird. Die diesjährige Viennale widmet ihr eine Schau mit einer Auswahl ihrer Bilder und Fotografien.
1994 – Auf der A1
„Jesus died for somebody’s sins but not mine“. Ein Grinser, zwei Gesichter. Joschi drückt das Gaspedal durch. Der Käfer zieht an auf der Zweispurigen. Vielleicht schaffen wir ja den Lastwagen noch vor Ende dieser elendslangen Steigung. Wenn nicht, sind wir die Gficktn’. „Meltin' in a pot of thieves wild card up my sleeve slick heart of stone my sins my own they belong to me, me”. Wilde Verfolgungsjagd mit 22 kW. Es geht ab ins Wochenende. Studienpause. Rauchschwaden und gute Laune auf der A1 in Richtung Westen. Hoffentlich ist was los im Gei. Jede Minute, jeder Kilometer zählt. Erst recht bei 98 km/h. Patti Smith und ihre Group sind fast immer dabei, die 250 Kilometer zwischen Wien und der Heimat, im Käfer vom Joschi, im Käfer vom Rü, im Golf meines Bruders, im Golf vom Günter und natürlich auch im Golf vom Horst. Bei den Golfis ist das mit der Steigung kein Problem. Aber mit dem Käfer, wenn wir es mit dem Käfer schaffen: „Gloria - G-L-O-R-I-A!“
Columbia Records
2002 – FM4-Sendestudio
Samstagnachittag. Es regent. Ich schiebe Chef-Vom-Dienst-Dienst, bereite die Sendung vor, nehme Beiträge ab, versorge den Moderator mit Infos, gehe die Spiellisten durch, checke Emails auf Hörerwünsche. Die Nachrichten sind voll mit Berichten zur „Jahrhundertflut“, die halb Österreich wegzuschwemmen droht. Dann der Anruf: „Hallo, ich bin’s, die Plattenfirmentante. Du, ich habe Patti Smith am Telefon. Sie möchte sich mit einer Botschaft an die österreichische Bevölkerung wenden, geht das?“. „Äh, klar“. Nachbarstudio. Die Aufnahme läuft. Ein Knacksen. Dann die Stimme der Wilden. Ich kann mich nicht mehr genau an den Wortlaut erinnern, nur an den Tonfall. Patti entschuldigte sich in den allerwärmsten Worten für den regenbedingten Ausfall ihres Konzerts und schickte die besten Wünsche an die Betroffenen der Katastrophe. Das ging zwar nicht ohne minutenlangen Eso-Tand, war aber aus tiefsten Herzen gesprochen, rührend as hell und der Beweis, dass es sie doch gibt, die allumfassende Menschenliebe. Denn das waren keine leeren Worte, Pattis Stimme bebte förmlich vor Mitgefühl. Noch Jahre später erinnert sie sich an diese Episode in Austria. Beim Interview zum neuen Album „Banga“ sagte sie: „It was the only show I ever had to cancel, but I was so worried about the people“.
Weitere New York State Of Mind Folgen u.a. mit David Byrne, Justin Vivian Bond, Occupy Wall Street, Chris Taylor und Laurie Anderson unter fm4.orf.at/nysom
2004 – Stone Pony Club, New Jersey
Der gescheiterte Versuch, ein Indie-Festival in New Jersey zu etablieren. Auf der Hauptbühne Sonic Youth, die ich anlässlich der Veröffentlichung von „Sonic Nurse“ zum neuen Album befragen sollte (die Band wusste nichts von dem Termin, Thurston Moore war ungehalten, Kim Gordon sagte das ganze Interview über gar nichts und starrte bloß auf meine lächerliche, mit Farbklecksen bemalte Baseball-Kappe). Das Festival fand rund um den Stone Pony Club statt. Ein historischer Ort, hatte doch hier am Jersey Shore, direkt an der Atlantikküste, einst die Karriere eines gewissen Bruce Springsteen ihren Anfang genommen.
Stone Pony
In einem Nebentrakt des Clubs ereilte mich ein quasi-transzendentales Ereignis, ähnlich wie seinerzeit beim Tricky-Konzert in den Sofiensälen in Wien, als alles auf den Auftritt des Meisters wartete, ich am Rand des Saals stehend kurz zurück über die Schultern blickte und direkt in den Bannstrahl der böse funkelnden Augen von Tricky geriet. Der stand nur einen Meter entfernt, halb versteckt hinter einem Vorhang, in einer ebenerdigen Loge, um die Stimmung des Publikums vorzufühlen. Stimmung my ass. Noch heute jagt mir der Gedanke an diese unheimliche Begegnung einen kalten Schauer über den Rücken. Bei Patti im Stone Pony war es anders, aber ebenso intensiv.
Die kleine Venue war beinahe leer. Davon ließ sich die Frau auf der Bühne, die anlässlich der letztjährigen Überreichung des Polar-Musik-Preises „Rimbaud mit Marshall-Verstärkern“ genannt wurde, aber nicht aus der Fassung bringen. Auch Smith hatte ein böses Funkeln in den Augen. Es war gerade Irak-Krieg, es war gerade George W. Bush und es galt eine Präsidentschaftswahl mit einem Waschlappenkandidaten der Demokraten zu schlagen. Smith ahnte wohl, dass sich die Dinge nicht zum Besseren wenden würden. Nie zuvor hatte ich ein zornigeres Konzert gesehen. Was für eine lethal force!
Smith spuckte, schrie und kotzte sich förmlich durch ihr Set. Sie knöpfte sich fast alle Anwesenden einzeln vor. Jeder Blick eine Anklage. Auch DU trägst Schuld an dieser Misere! Glaub ja nicht, dass ausgerechnet DU dich drücken kannst! Mach was, DU Penner! Und so weiter. Gegen die totale Patti Smith sind Battle-Rap-Veranstaltungen der reinste Kinderfasching. Ihr bohrender Blick brachte meine Zähennägel zum Flattern, zumindest fühlte sich das so an. Smith sang auch „People Have The Power", einen eher poppigen Song aus dem Jahr 1988, den sie mit Ehemann Fred "Sonic" Smith (Ex-MC5) für das gemeinsame Album "Dream Of Life" eingespielt hatte. Das in der Ursprungsversion positiv anmutende Stück klang an diesem Abend dreckig und ketzerisch, so wie Patti Smith 1975.
Judy Linn
2012 – luftige Höhen in Midtown, Manhattan
Patti Smith spielt den Eisbrecher. Wir können ruhig näher rücken, falls wir uns einsam fühlen. Gelächter. Die Plattenfirma hat zur Interviewsession in einen luftigen Konferenzraum in Midtown, Manhattan geladen. Die Aussicht ist blendend, die Laune von Smith auch. Sie hat auf eine Gesprächsrunde bestanden. So bleibe mehr Zeit für die Erörterungen zum neuen Album „Banga“. Aber auch nach einer Stunde der Auseinandersetzung und selbt Wochen danach hat sich mir die Bedeutung dieses epischen Werkes noch nicht wirklich erschlossen. Nur so viel: es geht um die Entdeckung Amerikas, um die Tsunami-Katastrophe in Japan, um eine Reihe russischer Autoren und Künstler, um italienische Rennaissance-Maler und persönliche Widmungen an Amy Winehouse und Johnny Depp. Der ist am Album auch musikalisch vertreten und zwar im Titelstück, dessen Namen auf einen Hund im Bulgakow-Roman „Meister und Margarita“ verweist.
"I know all these things (on the album) sound convoluted", räumt Smith ein, „but all the songs interlock, because – of course - all existence interlocks!“. Na das ist ja mal eine Ansage. Das Resultat dieses Gesprächs ist heute in der FM4-Homebase in einer weiteren Ausgabe von New York State of Mind zu hören, wo es auch um den Status von Smith als die „Godmother of Punk“, New York „now and then“ und einige ihrer Lebensprinzipien gehen wird.
Columbia Records
Als ich vom Interview nach Hause kam, fand ich zwei Sonnenbrillen im Rucksack. Bis auf den grauen Bügel sah die Fremde meiner zum Verwechseln ähnlich. Musste wohl einem Journalistenkollegen/einer Kollegin gehören, so mein Gedanke, bis ein Anfruf bei der Plattenfirma ergab, dass es tatsächlich die Shades von Patti Smith waren und bereits „der halbe Wolkenkratzer“ nach ihnen durchsucht wurde. Der Zufall ist ein Dieb! Ich dachte nur Ha! Vor ungefähr einem Jahr sind mir bei einer ähnlichen Aktion meine Guckis in Laurie Andersons Atelier abhanden gekommen. Der Unterschied: die Shades von Patti Smith sind via Mannerschnitten-Zugabe und Entschuldigungsschreiben wieder bei ihr gelandet. Kein Gedanke an Ebay, ich schwör’s. Das wäre schlecht fürs Karma.
artist | song | |
---|---|---|
Joey Ramone | New York City | |
Patti Smith | Gloria | |
Patti Smith | Banga | |
Patti Smith | Piss Factory | |
Patti Smith | People Have The Power | |
Television | Marquee Moon | |
Patti Smith | This Is The Girl |
Zum Anhören:
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar