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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2012 - 16:58

EM-Journal '12-54.

Über langsame Verbesserer und politisch Gescheiterte. Die Verabschiedung von Schweden und der Ukraine.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Runde 1 in Gruppe D: Frankreich gegen England 1:1 und Ukraine vs Schweden 2:1.

Runde 2:
Ukraine - Frankreich 0:2 und Schweden gegen England 2:3.

Runde 3: Schweden - Frankreich 2:0 und England - Ukraine 1:0.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Nach jedem der letzten Gruppenrundentage folgt die gebührliche (und analytische) Verabschiedung der Ausgeschiedenen. Mit den Weiterkommern werden wir die nächsten Tage eh noch genug zu tun haben.

Langsames Vorwärtskommen ist auch eine Bewegung

Der historisch immer schon mit einem langen Atem ausgestattete schwedische Fußball-Verband hat den Vertrag von Erik Hamrén verlängert; und auch das recht frühzeitige Ausscheiden aus der Euro hat keine Diskussionen ausgelöst.
Ich kann das gut nachvollziehen.

Hamren ist für diesen schwierigen Job gut geeignet: einerseits vertraut er auf die klassische schwedische Fußball-Philosophie, der die Nationalmannschaft und auch die Klubteams solange ich denken kann, folgen. Und trotzdem versucht er kleine Feintunings vorzunehmen, da und dort an Schrauben zu drehen, damit der Abstand zu den internationalen Entwicklungen nicht größer wird.

Schweden spielte, spielt und wird auch 2013 als Österreichs Gegner in der WM-Qualifikation sein flaches 4-4-2 spielen, mit einer hochgewachsenen auf Vorsicht bedachten Abwehr, einem laufstarken Mittelfeld und beweglichen Spitzen.

Die Schrauben an denen Hamren dreht, sind im Mittelfeld zu finden: wo früher die Aufgaben klar verteilt waren und Schweden so recht arg ausrechenbar war, war bei dieser Euro der fluide Hybrid-Spieler gefragt.
Rasmus Elm etwa spielte sowohl als Sechser als auch als Flügel. Die Konstante im zentralen Mittelfeld, Kim Källström, ist von den Fähigkeiten her mit Schweinsteiger vergleichbar, Ola Toivonen kann im linken offensiven Mittelfeld genauso wie in der Angriffs-Zentrale spielen, Wilhelmsson und Seb Larsson sind rechts wie links einsetzbar.

Nachdem Anders Svensson, der letzte Sechser der alten Schule, gestern aufgehört hat, findet sich im schwedischen Mittelfeld jetzt kein einziger Akteur, der den Ansprüchen des modernen Fußballs nicht mehr genügt.

Psycho-Probleme und andere Baustellen

Hamrens psychologisch größtes Problem (wie bringe ich das Ego des Fußball-Genies Ibrahimovic einerseits zum Leuchten und stellte es andererseits in den Dienst der Mannschaft?) ist traditionell eher ein Turnier-Problem. Bei Einzel-Länderspielen (zu Tests muss der Star eh nicht antanzen) geht sich das eher aus, als in einer Struktur, die automatisch auf Lagerkoller und Ego-Shootereien hinausläuft.

Der Angriff ist mit Ibra, den anderen EM-Kaderspielern aber vor allem dem noch verletzten Jungstar John Guidetti gut besetzt.

SCHWEDEN

Tor: 1 Andreas Isaksson (PSV Eindhoven/NED), 12 Johan Wiland (FC Kopen-hagen/DEN), 23 Pär Hansson (Helsingborg).

Abwehr: 2 Mikael Lustig (Celtic/SCO), 3 Olof Mellberg(Olympiakos/ GRE), 4 Andreas Granqvist (Genoa/ITA), 15 Mikael Antonsson (Bologna/ITA), 13 Jonas Olsson (West Bromwich/ENG), 5 Martin Olsson (Blackburn/ENG), 17 Behrang Safari (Ander-lecht/BEL).

Mittelfeld: 6 Rasmus Elm (AZ Alkmaar/NED), 8 Anders Svensson (Elfsborg), 7 Sebastian Larsson (Sunderland/ ENG), 9 Kim Kallstrom (Lyon/FRA), 16 Pontus Wernbloom (ZSKA Moskau/RUS), 18 Samuel Holmén (Istanbul BB/ TUR), 19 Emir Bajrami (Twente/NED), 21 Christian Wilhelmsson (Al-Hilal/ KSA).

Angriff: 20 Ola Toivonen (PSV Eindhoven/NED), 10 Zlatan Ibrahimovic (AC Milan/ITA), 11 Johan Elmander (Galatasaray/ TUR),14 Tobias Hysén (IFK Göteborg), 22 Marcus Rosenberg (Werder Bremen/DEU).

Sportlich hat er seine Baustelle aktuell hinten: Tormann Isaksson kommt in die Jahre und findet keinen Nachfolger; ob Olof Mellberg, der Abwehrchef, der auch einen so guten Offensivriecher hat, noch lange dabei sein wird können, ist unsicher; einen guten Rechtsverteidiger sucht man seit bereits einiger Zeit.

Das frühe Ausscheiden kam erwartet - schließlich waren zwei klar über die Schweden zu stellende Teams und eine Host-Nation die Gegner. Andererseits wäre bei etwas mehr Risko-Bereitsschaft im ersten, letztlich schon entscheidenden Spiel gegen die Ukraine deutlich mehr drinnen gewesen. Da hat sich Hamren nichts getraut, Blokhin hingegen viel.

Im zweiten Spiel mauerte dann Ibrahimovic und spielte letztlich gegen sein Team - das wird in jedem Turnier in einem von drei Matches der Fall sein. Und schon wars vorbei. Erst im dritten Spiel, vergleichsweise drucklos, kam so etwas wie die Freude am kreativen Risiko auf - was auch prompt dazu führte, dass man gegen die nun ihrerseits vom Schiss geplagten Franzosen gut aussah.

In allen Schweden-Matches hat die kreativere Mannschaft gewonnen - und zu Kreativität gehört eben auch Risiko.

Meine einzige Anmerkung zur hier üblichen "Hat der Coach seine Optionen genützt?"-Frage ist, dass ich gern einmal auch Behrang Safari links hinten gesehen hätte; den ließ aber Martin Olsson einfach nicht vorbei. Sonst hat Hamren alle/s probiert, die/was er hatte.

Was bedeutet das für die WM-Quali 2014?

... denn in der ist Schweden einer der österreichischen Gegner.

Dass es schwierig wird. Zumal Hamren in seiner Aufbau-Arbeit schon deutlich weiter ist als Marcel Koller (siehe auch unter: langer Atem), kein Wunder bei dem Vorsprung.

Wenn Hamren die richtigen Lehren aus der Euro zieht, sich genau ansieht, was in den drei Matches wozu geführt hat, dann wird sein Team eine Nummer zu groß für die ÖFB-Mannschaft sein. Auch weil der jungen Truppe im Vergleich zu den etwas älteren Schweden diese Erfahrung auf höchstem internationalen Level fehlt.

Die Ukraine als Opfer politischer Entscheidungen

Letztlich sind die Gelb-Blauen eine der sportlichen Überraschungen: denn damit, dass sie bis zuletzt mitspielen können um den Aufstieg hat im Vorfeld niemand so richtig gerechnet; nach der Niederlage in Österreich hatten viele ein Weiterkommen für ausgeschlossen gehalten. Letztlich war das richtig, aber nicht aus den im Vorfeld angenommenen Gründen.

UKRAINE

Tor: 1 Maxym Koval (Dynamo Kiev), 12 Andriy Pyatov (Shakhtar Donetsk), 23 Oleksandr Goryainov (Metalist Kharkiv).

Abwehr: 21 Bohdan Butko (Illychivets Mariupil), 3 Yevgen Khacheridi, 17 Taras Mikhalik (Dynamo Kiev), 5 Olexandr Kucher, 20 Yaroslav Rakitskiy, 13 Vyacheslav Shevchuk (Shakhtar Donetsk), 2 Yevhen Selin (Vorskla Poltava).

Mittelfeld: 4 Anatoliy Tymoshchuk (Bayern München/DEU), 6 Denys Garmash, 8 Olexandr Aliyev, 9 Oleg Gusev, 11 Andriy Yarmolenko (Dynamo Kiev), 14 Ruslan Rotan, 19 Yevhen Konoplyanka (Dnipro Dnipropetrovsk), 18 Sergiy Nazarenko (Tavriya Simferopol).

Angriff: 10 Andriy Voronin (Dinamo Moskau/RUS), 7 Andriy Shevchenko, 15 Artem Milevskiy (Dynamo Kiev), 22 Marko Devic alias Devych (Metalist Kharkiv), 16 Yevgen Seleznyov (Shakhtar Donetsk).

Oleg Blokhins Mannschaft spielte die (wenigen) Stärken, die sie hatte, allesamt gekonnt aus. Die als hochattraktiv angekündigte Flügelzange Yarmolenko-Konoplyanka spielte höchstattraktiv. Die Notlösung Gusev interpretierte die ungewohnte Position als Rechtsverteidiger (nach der misslungenen Generalprobe gegen Österreich) so vogelwild, dass sogar Mehmet Scholl die Worte dafür fehlten. Und der an sich kaputtgespielte Andriy Shevchenko raffte sich ein letzes Mal in seinem Fußballerleben für einmal 90 und einmal 60 Minuten zu einer Willensleistung par excellence auf.

In Spiel 1 konnte man mit der daraus entwickelten Dynamik und Verve den schwedischen Gegner knapp in Schach halten. Gegen Frankreich und final auch gegen England ging sich das allein nicht aus.

Dazu kam, dass Blokhin beide Spiele in der Schlussphase vercoachte. Gegen Frankreich, im legendären Unwettermatch, stellte er sein 4-2-2-2 (das wegen Gusev letztlich eh ein 3-2-3-2 ist) auf ein 4-3-3 um und nahm so seiner Flügelzange die Wirkung. Gemacht hat er das um zwei bewegliche Stürmer neben dem kurzatmiger werdenden Sheva zu platzieren.
Ein Knieschuss.

Noch schlimmer dann Blokhins Coaching-Fehler in Spiel 3: in der Schlussphase zog er Gusev in die Offensive vor, aber anstatt die Viererabwehr aufzulösen, brachte er mit Butko einen echten Rechtsverteidiger und stellte von seinem bis dahin durchaus wuselig-lebendigem 3-2-3-2 auf ein unbewegliches 4-4-1-1 um. Auch wieder damit er den angeschlagenen Shevchenko einwechseln und mit einem idealen Umfeld versorgen konnte.

Das war beidemale in sich richtig gedacht - da Sheva aber seine Kraft bereits im ersten Spiel gelassen hatte, ging diese zweifache Konzentration auf seinen Star dann zweimal nach hinten los.
Blokhin hat also eine politische Entscheidung getroffen, die kein wirkliches Risiko war, sondern von aller Welt gefordert wurde (also eine populistische Wahl) und verloren.

Dass Shevchenko nur für seine tollen Tore gegen Schweden und nicht für seine Schuldhaftigkeit am Ausscheiden in Erinnerung bleiben wird, ist der Vergesslichkeit der Menschen und ihrer Gier nach Heldengeschichten geschuldet und somit nachvollziehbar.

Hat Blokhin seine Optionen genützt?

Ja, im Guten wie im Schlechten. Das heißt auch, dass auch der Einsatz der drei ausgefallenen Torleute (Rybka, Shovkovskiy, Dykan) oder der von Verteidiger Chygrynskiy keinen Unterschied gemacht hätte.

Dass es just die oligarchisch geprägte Ukraine mit ihrem noch ein wenig unterausgeprägten Demokratieverständnis ist, die an einer haus- und machtpolitischen Maßnahme scheitert ist weder Treppenwitz noch Zufall, sondern in höchstem Maße logisch.