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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

19. 6. 2012 - 15:31

ACTA im letzten Parlamentsausschuss

Für die entscheidende Abstimmung am Donnerstag in Brüssel sind wieder Geschäftsordnungstricks der verbliebenen ACTA-Befürworter zu erwarten. Man versucht, eine Verschiebung zu erreichen.

Am Donnerstag wird der Ausschuss für internationalen Handel (INTA) des EU-Parlaments über das umstrittene Anti-Piraterieabkommen abstimmen. INTA ist der beim Thema ACTA federführende Ausschuss, in den vier weiteren beteiligten hatte es davor bereits Mehrheiten für eine Ablehnung gegeben.

Begleitet wurde dieser Prozess von immer dreisteren Versuchen der ACTA-Befürworter, in den Ausschüssen an der Geschäftsordnung zu drehen, um eine Niederlage zu vermeiden. Mehrmals wurde von Abgeordneten der konservativern Mehrheitsfraktion EPP versucht, die Reihenfolge der einzelnen Abstimmungen in letzter Minute auf den Kopf zu stellen. Parallel dazu wurde zusammen mit einzelnen Abgeordneten der Liberalen und Sozialdemokraten probiert, die Abstimmung überhaupt zu verhindern und zu beschließen, den Entscheid des EUgH abzuwarten, den die Kommission angerufen hatte.

Kohärenz in Stilfragen

Diese Vorgangsweise passt vom Stil her genau in die Linie, die zur Durchsetzung von ACTA gefahren wurde. Jahrelang wurden sämtliche Anfragen der Parlamentarier nach dem Text des Abkommens abgeschmettert. Auch wenn zwischendurch immer wieder Passagen daraus, Inhaltsverzeichnisse, aktuelle Verhandlungspunkte usw. publik wurden, ACTA war und blieb bis zum Ende der Verhandlungen geheim.

Genau dasselbe ist gerade bei einem anderen Abkommen zu beobachten, das ACTA verteufelt ähnlich sieht.

Der Versuch der Konservativen im Innenausschuss, das Prozedere in letzter Minute zu ändern, wurde von den darüber erbosten Abgeordneten der anderen Fraktionen mit Ausdrücken wie "ziemlich hinterhältig" oder sogar "dreckige Tricks" bedacht, eine Wortwahl, die im EU-Parlament selten zu hören ist.

Parallelaktion TPP

Ron Wyden und mehreren anderen US-Senatoren wurde der Zugang zum Text des "Trans Pacific Partnership"-Abkommens mehrmals verweigert, während die privaten "Stakeholder", Interressensverbände wie die Motion Pictures Assiociation of America (MPAA) jederzeit Zugang zu den aktuellen Verhandlungstexten hat.

Und ebenso wie bei ACTA werden völlig haltlose Behauptungen in den Raum gesetzt, wie etwa: Russland und China hätten ebenso Interesse gezeigt und könnten deshalb ACTA bzw. TPP beitreten.

Nebelgranaten und Streitwerte

Wenn ACTA und das ähnliche gepolte TPP im globalen Zusammenhang betrachtet wird, sieht man, dass diese Vertragswerke internationale Verbindungsglieder zu den SOPA/PIPA-Gesetzesvorhaben in den USA darstellen. In Europa heißt die Andockstelle "IPRED", das ist die Richtlinie zum Schutz "geistigen Eigentums", die im Herbst novelliert wird.

Diese beiden Staaten haben an einem solchen Abkommen naturgemäß "Interesse", werden aber solchen Abkommen niemals beitreten, weil sie diametral gegen ihre Interessen gerichtet sind. Gerade im Falle des als Handelsabkommen getarnten TPP, das aber weit über ein ein solches hinausgeht, ist das noch unwahrscheinlicher als bei ACTA.

Den internationalen Konzernen wird im Vertrag explizit die Möglichkeit von Schadenersatzklagen mit hohen Streitwerten gegen die Regierungen der TPP-Unterzeichnerstaaten eingeräumt. Alles läuft hier auf ein Mitspracherecht der Konzerne bei künftigen, nationalen Gesetzesänderungen in den Unterzeichnerћtaaten bezüglich "geistiger Eigentumsrechte" hinaus.

Ominöse Komitees

Wie bei ACTA sollen nationale TPP-Komitees die Einhaltung des Abkommens überwachen und sogar dessen Text nachträglich verändern können, was dann als "Weiterentwicklung" bezeichnet wird.

Ein Blick auf die aktuelle Liste der TPP-Staaten zeigt nun folgendes Bild: Neben den USA, von denen das Abkommen ausging, sind Australien, Brunei, Chile, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam dabei. All diese Staaten treten dabei ihre Gesetzgebung zu urheberrechlichen Angelegenheiten in Teilen an diese ominösen Komitees ab, in denen jedenfalls ausländische Konzerne das Sagen haben werden.

Wenn ACTA und das ähnliche gepolte TPP im globalen Zusammenhang betrachtet wird, sieht man, dass diese Vertragswerke internationale Verbindungsglieder zu den SOPA/PIPA-Gesetzesvorhaben in den USA darstellen. In Europa heißt die Andockstelle "IPRED", das ist die Richtlinie zum Schutz "geistigen Eigentums", die im Herbst novelliert wird.

Im Streitfall können sich Anwaltskanzleien aus den USA auf das Abkommen berufen und die betreffenden Regierungen verklagen, während es umgekehrt recht unwahrscheinlich ist, dass Vietnam die US-Regierung wegen einer Änderung in den US-Urheberrechtsgesetzen klagt.

Wer warum nicht begeistert ist

Das ist der Grund, warum zum Beispiel Japan, das zusammen mit den USA ACTA vorangetrieben hatte, noch nicht dazu bewegt werden konnte, TPP beizutreten. Am Dienstag kündigte Mexiko offiziell den Eintritt in die Verhandlungen an, in Kanada wiederum läuft hinter den Kulissen heftiges Lobbying auf höchster politischer Ebene. Wie der kanadische Universitätsprofessor Michael Geist vor wenigen Tagen aufdeckte, fanden in dieser Angelegenheit an die hundert einschlägige und bis jetzt nicht öffentlich bekannte Treffen von Lobbyisten mit kanadischen Spitzenpolitikern statt.

Unter diesen Umständen ist es daher wenig verwunderlich, dass Kritiker des Abkommens für Donnerstag weitere Geschäftsordnungstricks befürchten, mit denen eine Verschiebung der Entscheidung erreicht und als "Kompromiss" verkauft werden soll. Das ist durchaus nicht unrealistisch, denn hinter den Kulissen wird mit aller Kraft daran gearbeitet, einzelne INTA-Ausschussmitglieder - vor allem britische und spanische Sozialdemokraten, von einem "Nein" abzubringen, was wenigstens in einem Fall nachweislich gelang.

Wenn schließlich Anfang Juli im Plenum des EU-Parlaments über ACTA abgestimmt wird, nämlich in der ersten Juliwoche, treten die TPP-Verhandler im kalifornischen San Diego zu ihrer dreizehnten Verhandlungsrunde zusammen.