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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

19. 6. 2012 - 18:30

Instagram-Divas, Drogen und analytische Evolution

Was macht Lana del Rey eigentlich am Sonar? Und ist Nicolas Jaar ausgebildeter Psychoanalytiker?

Am zweiten Tag des Sonar wird es ernst. Ich verlasse den geschützten Rahmen des niveauvollen Musikgenusses im Museum für zeitgenössische Kunst in der Altstadt von Barcelona, um mich den Irrsinn des Sonar bei Nacht auszusetzen. Tausende Menschen in Messehallen, die akustisch für den Musikgenuss nicht geeignet sind. Glaubt mir, meine Freunde der kontemporären Musik aus Strom, ich habe es in jedem Zustand versucht und es war immer mehr oder weniger scheiße.

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Nachdem soviel über Lana del Rey gestritten wurde, muss ich sie sehen, um mich aus der Ambivalenz gegenüber diesem die Gemüter erhitzenden Produkt zu reißen. Lana taucht ganz tief ein im ranzigen Schmalztopf der amerikanischen Popgeschichte. Sie ist eine Instagram-Diva durch und durch, will heißen, sie legt über tausendmal durchgekauten Pathetik Schlonz einen Super 8 Filter und plötzlich kann man aus unserem durch senorische Überreizung ausgebombten Endorphindrüsen doch noch was rausquetschen. Lana del Rey ist mit riesigem Streichorchester und Pettycoat auf der Bühne. Ich hab sie schwer im Verdacht Playback zu singen.

Sie ist verloren wie ein kleines Mädchen bei der ersten Schulaufführung und das ist nicht gewollt. "Born To Die" wird gleich zu Beginn abgespult, Wolken ziehen über die Leinwand hinter ihr, die glückliche Kennedy Familie am Strand, aufblühende und verwelkende Rosen im Zeitraffer. Lana will uns weiß machen, dass sie mit zwanzig vom Leben zerstört ist und unter der Zuckerfassade verkohltes Fleisch welkt. Als auf der Videoleinwand Psalme auftauchen, habe ich endgültig die Schnauze voll. Ich bin 2012 in meiner säkularisierten popkulturellen Blase nicht gewillt, bei einem Festival für elektronische Musik dieses derart banal eingesetzte Referenzwerk zu tolerieren.

sonar

In dem Moment beginnt auch meine Begleitung, irgendwas in der Art zu brüllen wie "Hau ab nach Las Vegas Alte". Vielleicht wäre für Lana del Rey Salt Lake City, die Hauptstadt des Mormonen-Staat Utah, passender, aber damit müssen wir uns, der säkularisierten Vernunft sei Dank, nicht auseinandersetzten.

Das nächste Highlight ist der Besuch der Damentoilette. Wenn Menschen, die selbst dem Substanzenkonsum nicht abgeneigt sind, sich beginnen zu wundern, warum man sich mit Drogen, die weniger kosten als ein Wasser, auf das Level einesTeletubbies runterpitcht, dann läuft was falsch.

natalie brunner

Auf der Suche nach Eindrücken, die mich aus diesem Malstroem der Dummheit reißen, tigere ich durch die Messehallen. Über Amon Tobin´s audiovisuelle ISAM Show wurde anlässlich des Springs schon geschrieben. Ich finde das Ganze so faszinierend, wie den Besuch eines Planetariums oder ein Borgschiff, das am Christkindlmarkt landet.

Nicolas Jaar ist es, der mich davor rettet, vollkommen dem Larry Davidschen Kulturpessimismus zu verfallen. Er hat zwei Musiker zu seinem Liveset auf die Bühne geholt und erschafft Welten, eigene Bezugs- und Referenzsysteme.

sonar

Er nimmt keinen Rekurs auf tausendfach Gehörtes. Das Beatraster, das er aufzieht, liegt im 100bpm-Bereich, offensichtlich ein gutes Tempo, um Synapsen zum klicken zu bringen. Es ist ein deepes Raster. Die organische Instrumentierung und Jaars oft schmerzgetränkte Vocals machen den Auftritt inmitten des Rave-Jahrmarkts zu etwas Erhabenen und Großen. Ab der zweiten Nummer singt Jaar selbst und David Lynchhafte Spookyness legt sich über den Ort.

Ich unterstelle Jaar, dass er gleich David Lynch ein mit allen psychoanalytischen Wassern gewaschener Künstler ist, der einen Shortcut zu unserem Hirn und falls es das tatsächlich geben sollte, auch unserer Seele gefunden hat. Und siehe da im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Geistesverwandschaft, die ich Jaar zu Lynch unterstelle, gar nicht so falsch ist.

Was habe ich heute gelernt: Bevor ich jemals in Versuchung kommen sollte, Heller und Schekel dem Analytiker meines Vertrauens in den Rachen zu werfen um Frieden zu finden, werde ich mich auf wöchentlicher Basis 50 Minuten in einen dunklen Raum setzen und mir Nicolas Jaars Album "Space is only Noise" anhören.