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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 6. 2012 - 15:03

EM-Journal '12-51.

Über heldenhafte Sänger und die, die angesichts des Ziels der Mut verlässt. Die Verabschiedung von Irland und Kroatien.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Gruppe C:

Spieltag 3: Kroatien - Spanien 0:1 und Italien gegen Irland 2:0.

Spieltag 2: Italien - Kroatien 1:1 sowie Spanien gegen Irland 4:0

Spieltag 1: Spanien gegen Italien 1:1 und Irland - Kroatien 1:3.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Nach jedem der letzten Gruppenrundentage folgt die gebührliche (und analytische) Verabschiedung der Ausgeschiedenen. Mit den Weiterkommern werden wir die nächsten Tage eh noch genug zu tun haben.

Heroische Sänger und schwache Cheerleader

Dass die irischen Teambegleiter den mit ihren Chorälen bei diesem Turnier den Sportsgeist neu definiert haben, das haben wir alle, mit einer anrückenden Träne im Augenwinkel, miterlebt.

Ihre Cheerleader, die Tänzer auf dem grünen Rasen, konnten da gar nicht mithalten. Team Irland war die deutlich schwächste Mannschaft des Turniers.

Das ist aber keine Schande, weil nämlich viel mehr auch gar nicht drinnen war; das Auftreten im Umfeld wurde, das war nach dem ersten Spiel schon klar, wichtiger als der Erfolg auf dem Platz.

Die Gründe dafür sind vielfältig, ich habe sie in der Preview angerissen.
Da wäre einmal die Struktur, das System des irischen Fußballs: eine Mickymaus-Liga, ein monströser englischer Nachbar, der jegliches Talent schnell fortreißt, die Verbands-Politik des Kaperns aller Briten mit irischer Großmutter, die nicht schnell genug auf den Bäumen sind etc.
Dem entgegen steht einzig der berühmte 'Niemals Aufgeben'-Kampfgeist der Grünen gegenüber - und das ist oft zuwenig.

Dazu kommt ein aktuelles Problem. Das trägt den Namen Giovanni Trapattoni, ist über 70 und nicht Rentner, sondern Coach beim FAI. Trap kann in großen Teams mit Stars ultradisziplinierte Einheiten formen, die punktuell auch offensiv spielen können und sich über 80 Minuten mit dem gepflegten Halten eines Ein-Tore-Vorsprungs begnügen. Darin ist er Weltmeister. Im Downsizen von Verve und Talent auf Sicherheit und Erfolgsorientiertheit.

Mit einem Haufen von nicht ganz so talentierten Kickern kann er jedoch nichts anfangen. Im Aufbauen von spielerischen Elementen ist er ebenso wenig gut wie im Säen von Offensiv-Gedanken. Insofern ist er für ein Team wie Irland eine höchst zwiespältige Wahl.

Einerseits wird sich ein Trap-Team im Umgang mit etwa gleich starken Gegnern gut schlagen - weil es ja den Deut zielgerichteter ist. Im Umgang mit überlegenen Spielpartnern wird sich aber blitzschnell große Überforderung einstellen.
Das bedeutet: die Qualifikation für ein Turnier ist womöglich gar nicht so schwierig, dort wird man aber (sofern das Glück nicht Dauerbegleiter ist) sofort absatteln müssen.

EIRE

Tor: 1 Shay Given (Aston Villa), 16 Keiren Westwood (Sunderland), 23 David Forde (Millwall).

Abwehr: 4 John O'Shea (Sunderland), 12 Stephen Kelly (Fulam), 5 Richard Dunne (Aston Villa), 3 Stephen Ward, 18 Darren O'Dea (Leeds), 2 Sean St. Ledger (Leicester), 13 Paul McShane (Crystal Palace).

Mittelfeld: 5 Glenn Whelan (Stoke), 8 Keith Andrews (West Bromwich), 15 Darron Gibson (Everton), 11 Damien Duff (Fulham), 7 Aiden McGeady (Spartak Moskau/RUS), 17 Stephen Hunt (Wolverhampton), 22 James McClean (Sunder-land), 21 Paul Green (Derby County).

Angreifer: 10 Robbie Keane (L.A. Galaxy/USA), 9 Kevin Doyle (Wolver-hampton), 10 Shane Long, 20 Simon Cox (West Bromwich), 14 Jonathan Walters (Stoke).

Was bedeutet das für die WM-Quali 2014?

... denn in der ist Irland einer der österreichischen Gegner.

Nichts Gutes, weil die heimischen Kicker, die Traps Team jetzt am TV_Schirm gesehen haben, es dramatisch unterschätzen werden; egal was Teamchef Koller oder der für die Iren abgestellte Co-Trainer Fritz Schmid ihnen einzubläuen versuchen werden.

Auch so etwas wie ein historisch sicheres Grundgeühl, das bei Schweden irgendwie da ist, gibt's im Fall Irland nicht: in der einzig relevant herbeizitierbaren bisherigen Auseinandersetzung, einem Duell bei der EM-Quali für 1996, trennte man sich 3:1 und 1:3. Die letzte Quali hat Irland nur knapp hinter Russland abgeschlossen, hat immerhin die Slowakei (die zuletzt in Südafrika dabei war) distanziert.

Sollte Trap 2013 bei unserem WM-Quali-Aufeinandertreffen noch irischer Coach sein, und davon ist auszugehen, wird das ÖFB-Team sich der exakt selben irischen Aufstellung wie im ersten Spiel gegenübersehen: den Nimmern 1 bis 11.
Und es wird nicht gar so wichtig sein, wer die trägt.
Damien Duff und Robbie Keane werden womöglich aufhören, vielleicht auch Shay Given und Richard Dunne. Trotzdem wird sich die Anmutung und das Spiel der Iren nicht ändern: es gibt weiter ein flaches 4-4-2, bei Keanes Abtritt wieder eines mit zwei echten Spitzen.
St.Ledger, Ward oder McGeady werden mehr internationale Erfahrung haben und vielleicht bringen die Jungen, McClean, McCarthy und Coleman neuen Schwung in eine recht einzementiert wirkende Truppe - strukturell wird sich aber nichts ändern.

Es gilt bei Kontern und Standard-Situationen aufzupassen wie die Haftlmacher, denn da liegt die irische Erfolgsquote verteufelt hoch. Und es gilt sich, vor allem daheim, gegen ein konzentriertes Bollwerk durchzusetzen, am besten am Boden, spanisch quasi.

Fürs Auswärtsspiel in Dublin im Aviva-Stadium sollte man dann nicht außer Acht lassen, dass Irland mit mehr als nur Nummer 1 - 11 und Trainer Trapattoni ins Spiel geht - da werden ihre heroischen Sänger dann eine Gala-Vorstellung geben.

Wen angesichts des Ziels der Mut verlässt...

KROATIEN

Tor: 1 Stipe Pletikosa (Rostov/RUS), 23 Danijel Subašić (Monaco/FRA), 12 Ivan Kelava (Dinamo Zagreb).

Abwehr: 5 Vedran Ćorluka (Tottenham/ENG), 21 Domagoj Vida, 3 Josip Šimunić (Dinamo Zagreb), 13 Gordon Schildenfeld (Eintracht Frankfurt/D), 4 Jurica Buljat (Maccabi Haifa/ISR), 2 Ivan Strinić (Dnipropetrovsk/UKR), 6 Danijel Pranjić (Bayern München/D).

Mittelfeld: 11 Darijo Srna (Shakhtar Donetsk/UKR), 8 Ognjen Vukojević (Dynamo Kyiv/UKR), 14 Milan Badelj (Dinamo Zagreb), 16 Tomislav Dujmović (Dinamo Moskva), 19 Niko Kranjčar (Tottenham/ENG -> Din. Kiev/UKR), 10 Luka Modrić (Tottenham/ENG), 7 Ivan Rakitić (Sevilla/SPA), 20 Ivan Perišić (Borussia Dortmund/D), 15 Šime Vrsaljko (Dinamo Zagreb).

Angriff: 22 Eduardo da Silva (Shakhtar Donetsk/ UKR), 9 Nikica Jelavić (Everton/ ENG), 17 Mario Mandžukić (VfL Wolfsburg/ D),18 Nikola Kalinić (Dnipropetrovsk/ UKR).

Abschauen kann sich der ÖFB einiges bei Slaven Bilic' kroatischer Auf- und Einstellung im ersten EM-Spiel: da ist man über die Iren hinweggerollt, mit einem 4-1-3-2 der wilden Sorte, einem 2-1-5-2 nachgerade.

Aber das, dieses Zwei-Spitzen-System mit dem ausgewiesenen Flügelspiel, ist eine kroatische Eigenheit, eine lang gepflegte, eine, die aus dem Herzen des alten jugoslawischen Fußballs kommt. Es ist ein herzhaftes, mutiges System, eines das schnelle Entscheidungen schätzt, eines das zupacken will.

Zwei Spiele lang griff das, langte das zu.
Nur um im dritten Match dann einzuknicken, in Ängsten zu verglühen und knapp vor dem Ziel aufzugeben wie ein Marathonläufer mit einem hoffnungslosen Ast. Einem eingebildeten.

Ich habe das mit einer Mischung aus Traurigkeit und leichter Fassungslosigkeit mitangesehen gestern. Und natürlich ist Kroatien die bislang deutlich beste Mannschaft die ausscheiden musste. Auch weil sie dann letztlich halt zwei bessere Gegner hatte. Aber vor allem, weil sie sich final zu wenig zugetraut hat.

Und dann lese ich noch meinen Abschluß-Satz aus der Preview: "Ich würde Bilic und den Seinen Mut zum Risiko wünschen."

Nur ein ähnlich furioser Auftritt wie gegen Irland oder Italien hätte Bilic' Mannschaft das Resultat (ein 2:2 zumindest) gebracht, das Italien noch rausgekippt hätte. Wer sich dann hinstellt und auf 0:0 spielt, und auf den lucky punch aus einem Konter hofft, ist irgendwie ein Ire und hat bei dieser Euro schon verloren. Das ist für Russland und Polen ebenso schiefgegangen wie für die Dänen. Warnschilder gab es also genug. Das ist der fassungslosmachende Teil.

Der Trauer-Teil leidet mit einer Mannschaft, die sich zwei Spiele lang nicht ins europäische Einheitsformat der Ein-Spitzen-Teams einordnen wollte. Bilic liess zwei Spiele lang mit 8 Mann, darunter zwei echten Stürmern angreifen, ist damit der deutlich offensivste Coach dieser Euro. Und das Resultat konnte sich sehen lassen: eine Gala gegen Irland, ein Top-Spiel, eines der qualitativ hochstehendsten überhaupt gegen Italien. Wer sich dann aber gegen Spanien nichts zutraut, braucht die KO-Phase nicht mehr zu betreten.

Bilic' Team ist ein weiteres Beispiel für die These, dass Systeme nur durch ihre Interpretation leben: in der spanischen Schlußphase stand sein Anfangsteam aus Spiel 1 auf dem Platz. Es interpretierte seine Grundformatioon (das 4-1-3-2) aber nicht mehr als 2-1-5-2, sondern blieb als flaches 4-4-2 ängstlich stecken.

Trotzdem ewig schade um dieses kroatische Team. Wenn der Nachfolger des nach Russland wechselnden Bilic das Wesen bewahrt und ein paar junge Leute (Stichwort: Mateo Kovacic) neu hineinbaut, dann sehe ich für die WM '14 oder die nächste Euro rosarot für diese Mannschaft.

Hat Bilic seine Optionen genützt?

Nach den Ausfällen von Lovren, Ilicevic und vor allem Ivica Olic muss man sagen, dass er das Beste aus seinen Optionen gemacht hat. Weil er über viele exzellente offensive Mittelfeldspieler (Srna, Niko Kranjčar, Modrić, Rakitić, Perišić) verfügt, stärkte er diesen Mannschaftsteil massiv; macht ihn quasi zu seinem USP. Clever.

Seine Entscheidungen für Corluka-Schildenfeld und gegen Simunic in der zentralen Abwehr war ebenso richtig wie Strinic statt Pranjic links einzusetzen. Sein Sturm stellte sich (wegen der leichten verletzung von Eduardo) auch von selber auf - alles richtig gemacht, kein Vorwurf.

Hab ich schon erwähnt, wie schade der Abgang dieser kroatischen Mannschaft ist? Und wie wichtig Mut zum Risiko im Fußball sein kann?