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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

20. 6. 2012 - 19:06

Glanz und Elend der Political Correctness

Matthias Dusini und Thomas Edlinger widmen sich in ihrem Essay "In Anführungszeichen" einem kontroversiellen Thema.

Kaum eine Diskussion wird so hysterisch geführt, wie jene um eine politsch richtige Sprachverwendung. Nicht einmal ein Sparpaket kann so viel Aufregung erzeugen, wie wenn die österreichische Bundeshymne gegendert wird. Denn nur ein Teil der Bevölkerung sieht darin einen emanzipatorischen Akt, die anderen begreifen ihn als "Tugendterror", angeleitet von sogenannten "Gutmenschen".

Political Correctness (PC) ist zu einem Kampfbegriff geworden, der den alten Systemstreit zwischen Ost und West abgelöst hat. Das stellen der Falter-Journalist Matthias Dusini und FM4-Sumpfist Thomas Edlinger fest. In ihrem Essay "In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness" versuchen sie sich der PC unaufgeregt anzunähern.

Die Erzeugung von Opfern

Cover "In Anführungszeichen"

Suhrkamp

"In Anführungszeichen" ist dieser Tage in der Edition Suhrkamp erschienen, mit unzähligen anschaulichen Beispielen aus Politik, Popkultur und Kunst.

Dazu beginnen sie mit einem Rückblick, in die Zeit, als der Begriff PC aufgekommen ist, in die US-Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre. Die afro-amerikanische Bevölkerung ringt um Anerkennung und Emanzipation und stellt sich dafür als Opfer der USA und der Demokratie dar. Damit erzeugt sie das "Opfer" als politische Kategorie: Wer Opfer ist hat ein Recht darauf gehört zu werden.

Auf diesen Umstand bauen danach etwa auch der Feminismus, die Homosexuellenbewegung, die Ökobewegung und viele mehr: Sie alle bezeichnen sich als Opfer und fordern Anerkennung, was aber nicht mehr gelingt. Die vielen Single-Issue-Politiken kommen sich in die Quere, verlieren gemeinschaftliche Anliegen aus den Augen. Dusini und Edlinger machen das etwa am Kopftuchstreit deutlich: Verletzt das Kopftuch einer muslimischen Frau jetzt die Gefühle und Rechte des damit konfrontierten Publikums oder das Kopftuchverbot die Gefühle und Rechte der Trägerin?

Statt eines "Kommunismus der Selbstachtung", wo jede Art von Differenz als gleichwertig anerkannt wird, befindet man sich in einem "Kapitalismus der Opfer", in dem darum gerungen wird, wer das größte Opfer ist.

Dabei leiden die Opfer nicht mehr unbedingt unter realen ökonomischen oder politischen Schlechterstellung, vielfach sei ihre Schlechterstellung nur mehr symolisch, so die Autoren. Die symbolischen Opfer leiden mehr an einem beschädigten Selbstwertgefühl. "Die Bereiche, in denen Beleidigungen stattfinden, haben unwahrscheinlich zugenommen", meint Matthias Dusini, sodass sich LeserInnen schon von einem Binnen-I beleidigt fühlen (oder wenn das Binnen-I fehlt), gestört in ihrer Autonomie als denkende Menschen. Dieses Muster lasse sich auf die meisten Auseinandersetzungen, die im Zusammenhang mit PC stattfinden, übertragen.

Narziss als Gott und Damön der PC

Sich selbst als Opfer herauszustellen, liege aber nicht nur daran, dass man sich davon Vorteile verspricht, sondern auch daran, dass wir uns immer narzisstischer verhalten, so Edlinger und Dusini. Dieses narzisstische Verhalten hat die Empfindlichkeit gesteigert und verwischt die Unterschiede zwischen eigener Wahrnehmung und der Realität. Der Opfernarzisst Thilo Sarrazin etwa beklagt, dass er zensiert werde, trotz Millionenauflage seiner Bücher, Einladungen in Hauptabend-Talkshows und Titelseiten der Bild-Zeitung.

Debatten über PC werden oft als "Luxusmoral" abgetan, als Verzettelung in Kämpfen um Ökogärten oder um minimale Veränderungen in der Sprache. Dusini/Edlinger wollen sich damit aber nicht die Debatten vom Tisch fegen lassen, denn PC verhandle ein großes gesellschaftliches Thema - die Frage nach einem "richtigen Leben". Darf ich noch einen SUV fahren? Darf ich Fleisch essen?

All diese Regulative entwickeln wir dabei in uns selbst. "Wir selber wollen Bio-Essen, wir selber überlegen uns, ob wir zu dem Witz, den wir als sexistisch oder rassistisch empfinden, eigentlich laut lachen darf oder nicht", konstatiert Edlinger. Und Dusini fügt hinzu: "Der Ayatollah sitzt in uns."

Obwohl also von vielen die Diskussion über eine moralisch richtige Lebensführung als Zumutung empfunden wird, gäbe es den "Nanny-State" nicht, der klare Vorschreibungen macht. Schlussendlich müsse jeder mit sich selbst aushandeln, wie er sein Leben lebt.

Um nicht dauernd mit allen anderen in Konflikt zu kommen, empfehlen die Autoren, das eigene Maß nicht als das Maß aller Dinge zu sehen. Man müsse die Absolutheit seines Anspruchs zurückschrauben, ohne die legitimen Ansprüche des eigenen Selbst aufgeben zu müssen, einen maßvollen Narzissmus pflegen.