Erstellt am: 18. 6. 2012 - 19:05 Uhr
FIFA-Mafia
In Zeiten eines Großereignisses wie der EM ist Fußball für nicht wenige Mitmenschen ein zentrales Ereignis in ihrem Leben. Unabhängig davon, dass man von Ronaldos Toren nicht die Miete zahlen kann, oder das Weiterkommen der Griechen ihre wirtschaftliche Situation nicht verbessert. Aber wenigstens bleibt eines: Eskapismus auf hohem Niveau, die Lust am Wettbewerb, ein Ersatz für ein kämpferisches und spielerisches Messen von Nationen. Und das ganze bleibt dabei immer friedlich und völkerverbindend. Am Fairplay des Fußballs, der wichtigsten Nebensache der Welt, soll die Welt also genesen und nebenbei sogar Rassismus und Ausgrenzung bekämpft werden.
Wer anmerkt, dass im Windschatten einer Sedierung durch spielerischem Wettbewerb auch die tatsächlichen Probleme weichgespült oder verdrängt werden, etwa im Favoriten-Land Spanien gerade um hundert Milliarden Banken gerettet werden während Hundertausende auf ihre Delogierung warten, gilt als Spielverderber.
Viva Espana muss reichen, for the good of the game.
Einer, der dieses Spiel-verderben richtig gut beherrscht ist eben Thomas Kistner, er arbeitet als Leiter der Sportredaktion für die Süddeutsche Zeitung. Seit vielen Jahren recherchiert Kistner die Machenschaften des Fußball-Weltverbands FIFA und wurde dafür bereits 2006 als „Sportjournalist des Jahres“ ausgezeichnet.
Thomas Kistner
Und schon auf den ersten Seiten seines nun erschienen Buches „FIFA-Mafia“ beginnt er damit unsere schöne Scheinwelt, das bunte Land aus hübschen Dressen und Freistoßtricks, zu dekonstruieren.
Viel bleibt da nicht über vom völkerverbindenden Fußball. So hat nur kurze Zeit, nachdem die neue französische „Schwarz, Weiß, Braun“ Tricolore die WM und EM gewann, etwa die Pariser Vorstadt gebrannt.
Wenige Jahre nach dem sensationellen EM-Erfolg von Griechenland wurde klar, dass der Helenenstaat von seinen konservativen und sozialistischen Eliten in betrügerischer Weise in den Ruin gewirtschaftet wurde.
Beim Finale der WM in Südafrika musste der vom Tod seiner Urenkelin gezeichnete Nelson Mandela im Stadion antanzen, er wollte bis zum Schluss absagen, doch die FIFA kannte kein Pardon, Marketing ist Marketing.
Brot und Spiele - und jede Menge Geld
Droemer
In Kistners Kritik geht es allerdings nicht um den Fußball selbst, der bleibt voller Schönheit, nein, es geht darum was seit Jahrzehnten daraus gemacht wird. Und das ist neben dem erwähnten Brot und Spiele Analgetikum halt wieder vor allem eines: Jede Menge Geld. Alle Menschen, die große Konzerne wie Nestlé oder Monsanto für böse halten haben sich wohl noch nie näher mit dem Fußball-Weltverband beschäftigt.
Denn dagegen sind die Milliardenschieber der Wallstreet Pfadfinder, so ähnlich beschreibt es jedenfalls Thomas Kistner.
Dabei sind die Auswüchse, die wir regelmäßig zu sehen bekomme,n nur eine Art Spitze des Eisberges, denn was wiegt die Order nur eine bestimmte Biersorte verkaufen zu dürfen schon gegen die Möglichkeit enge Freunde mit ganzen Stadionbauten zu begünstigen?
In einer auf Marken gebürsteten Welt, in der die meisten Menschen eher die Logos großer Multis als verschiedene Baumarten erkennen, mag es vielleicht nicht verwundern, aber hat schon mal jemand beobachtet mit welcher Werbe-Power die FIFA jetzt bei dieser EM die Produkte der offiziellen Partner in den Vordergrund rückt?
Doch selbst diese Konzerne, Giganten wie Coca Cola oder McDonalds, müssen froh sein, mit der FIFA Geschäfte machen zu dürfen. Denn hinter diesem Verein, der den Fußball organisiert und seinen Sitz in der Schweiz hat, regiert ein enger Kreis von Mächtigen, denen sich jede Tür, jeder Präsidentenpalast und jede Konzernzentrale öffnet. Und im Zentrum sitzt ein kleiner Schweizer, der für diesen Verein alleine zeichnungsberechtigt ist: Sepp Blatter.
Er duldet keine Widerrede, ist gewohnt sich durchzusetzen, sei es beim einst mächtigsten Mann Südafrikas oder sogar bei Kreditkartenriesen wie VISA und Mastercard – die er übrigens gegeneinander ausgespielt hat, schreibt Kistner:
„Doch die Sponsoren halten still, die Politiker stellen sich ahnungslos und machen mit, denn die meisten hoffen, sich mit Brot und Spielen die Gunst der Massen sichern zu können.“
Begonnen hat all das allerdings schon vor Blatter, in der Zeit als Adidas sich aufschwang im Sport, und vor allem im Fußball, die Fäden zu ziehen – ein Filz aus Macht und Abhängigkeiten zwischen Sportlern, Politikern, Geldgebern und FIFA-Funktionären, der sich bis heute potenzieren sollte.
„Also wird, wer nicht ins neue Schema passt, passend gemacht – oder durch eine passende Figur ersetzt. Gelegenheit dafür bietet sich bei den Verbandswahlen. Bei der FIFA laufen sie damals wie heute nach dem Prinzip „Ein Land eine Stimme“ ab. Ein für Korruption leider allzu anfälliges System. Denn es bedeutet, dass die suspekteste Bananenrepublik, der kleinste Inselstaat mit maximal einem Fußballfeld ebenso viel Gewicht im FIFA Parlament hat, wie der DFB mit 6,8 Millionen Mitgliedern.“
Und Blatter und Konsorten wissen diese Rädchen perfekt zu drehen und melken, springt doch für alle etwas dabei raus. 500€ EM-Taggeld für FIFA Funktionäre vor Ort, sowie Luxushotels und FirstClass Reisen, sind da nur die Schaumkrone.
Die finale Desillusionierung
Doch wird sich an diesen Strukturen etwas ändern wenn Sepp Blatter abtritt?
Nein, meint Kistner in seinem Buch. Vor Blatter war es eben der brasilianische Lobbyist Havelange, und nach Blatter wird es Platini sein, der sich mit Hilfe Osteuropas in der UEFA schon durchgesetzt hat.
„Platini und die französische Connection hinter Blatter, angeführt von Generalsekretär Jérôme Valcke, stellen die FIFA bereits für die Ära nach dem kleinen Diktator auf – mit dessen Hilfe. Denn Platini ist ein Mann der Vergangenheit. So, wie Blatter seit 1998 der Garant dafür war, dass die Akte Havelange verschlossen blieb.“
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Es ist natürlich schon ein gewagtes und auch nicht ungefährliches Unterfangen, den weltgrößten Sportverband in vollem Bewusstsein über die Tragweite als „sizilianischen Mafia-Clan“ zu bezeichnen. Doch Thomas Kistner hat in all den Jahren minutiös Tonnen an Fakten und Zeugenaussagen zusammengetragen.
Über hunderte Seiten muss sich der Leser in diesem Buch durch Gespräche, handelnde Personen, Zeitsprünge und einer Legion an Zahlen und Daten kämpfen – belohnt wird er dafür mit der finalen Desillusionierung.
Denn viel bleibt nicht über vom sakrosankten Fußball und seiner vermeintlichen Unschuld, vom wesentlichen, der Schönheit des Spiels, mal abgesehen.
Es ist wohl kein Buch für den Strand, aber es hilft zu verstehen, dass tatsächlich überall dort wo einzelne zu viel Gestaltungsspielraum und Macht erlangen, die Korruption blüht.
Ob sich die FIFA traut Thomas Kistner wegen dieses Buches zu klagen wird abzuwarten sein.