Erstellt am: 18. 6. 2012 - 18:27 Uhr
The Cribs in Wort und Bild
Das Mikro war schon ausgeschaltet, als die Jarman-Zwillinge beim letzten FM4 Frequency Festival die Sprechblase signiert haben und ich bei Gary nachgefragt habe was ein "brazen bull" sei. Es ist auch egal, dass ich die Antwort nicht aufgezeichnet hab, denn selbst nach all den Jahren, die Gary Jarman nun in Portland, Oregon lebt: sein West-Yorkshire-Akzent sticht noch immer heraus und das gibt meinen Ohren den Rest.
ondrusova
Nun ziert der Titel "In The Belly Of The Brazen Bull" das Cover des neuen, fünften Albums des Trios. Ein "brazen bull" so lese (und sehe) ich also nach, war ein Folterinstrument im antiken Griechenland. Im Prinzip ein Bronze-Ofen in der Form eines Stieres, in dem Gefangene geröstet wurden. Ein Sinnbild für ALLES Unschöne.

wichita
Entweder man liebt die Cribs oder man hasst sie, das weiß ich jedenfalls. Es gibt noch etwas das dazwischen liegt, nämlich das „egal“, aber das interessiert mich wiederum nicht. Ich bin natürlich in der ersten Kategorie zu hause. Spätestens seit ihrem Song "Our Bovine Public" vom 2004er Album "Men´s Need´s Women´s Needs Whatever". Der dazugehörige Titelsong ist auch super, aber „Our Bovine Public“ ist eine Abrechnung mit der generischen, oberflächlichen, dummen Öffentlichkeit. Ein Song über das Wir&die Anderen. Hier im Video sind diese "Wir":
Die Cribs das ist Punk, DIY und Riotgrrls. Die Cribs verkörpern das Gegenteil der austauschbaren Indiewuckl-Gitarren-Bands, die es Anfang der 00er Jahre aus britischen Käffern ins Blattinnere des NME geschafft haben. Mit großen Wörtern, großen Gesten und der üblichen Halbwertszeit. Vielleicht ist das ewige Wettern der Cribs gegen die mediale Vereinnahmung und das Einbetten in eine lokale Szene auch ein Punkt in ihrer Biographie, der mich beeindruckt hat. Da sind also drei, denen öffentliche Buddy-Systeme wurscht sind.
In Interviews sprechen sie jedenfalls immer reflektiert und klug über dieses "vogue". Noch ein Pluspunkt. Und dann gibt es auch noch das hier:
Die Cribs das ist das Dreier-Gespann, über das Gitarrenheld und Ex-Smiths-Musiker Johnny Marr gesagt hat, es ist die einzige Band, der er in seinem Leben noch beitreten wird.

cribs
Was er auch getan hat: 2009 hat er mit dem Trio das Album "Ignore The Ignorant" aufgenommen. Was Ryan Jarman dem lead guitar-Crib in seinem Gibson-Rickenbacker-Fender-nerdism ganz gut gefallen hat, ihn zu einem Piercing verholfen hat und zwei weitere Über-Songs im Repertoire der Band: "City Of Bugs" und "Stick To Yr Guns".
Und wenn wir schon bei den Helden sind. Lee Ranaldo haben sie 2004 für eine Einsprechung im Song "Be Safe" engagiert. Sein Part wird auf den Cribs-Konzerten mittlerweile über Videowall zugespielt, während die Jarmans ins Mikro schreien "I know a place where we can go where you´ll fall in love so hard that you´ll wish you were dead!"
Johnny Marr ist mittlerweile ausgestiegen, um sich seinen Soloprojekten zu widmen. Die Trennung ist freundschaftlich verlaufen. Die Arbeit am fünften Album "In The Belly Of The Brazen Bull" war von anderen Dämonen überschattet.
Seelentroubles vom Sänger und Rückenoperation des Drummers Ross Jarman. Geographisch war die Arbeit am neuen Album aufgeteilt zwischen Portland, Oregon, wo Gary Jarman mit seiner Frau Joanna Bolme (Bassistin bei Quasi und Stephen Malkmus&The Jicks) und Wakefield, der Heimatstadt der Jungs. Erste Aufnahmesessions haben die Cribs in der Schweiz absolviert, bei David Richards, der 1991 an dem Lieblingsalbum der Cribs mitproduziert hat: INNUENDO. Queen.
Diese Studioaufnahmen haben sie verworfen, das Queen-Naherlebnis dürfte die Cribs aber zu den letzten vier Songs auf dem Album inspiriert haben. Sie selber nennen diese Songs ihre "chinese opera". Empfehlen kann ich schon mal den Song "Arena Rock Encore With Full Cast".
"In The Belly Of The Brazen Bull" trägt auch die Handschrift vom Chicago-Über-Produzenten Steve Albini. Der passt zu den Cribs wie die Faust aufs Auge, schliesslich ist er bekannt dafür die live-energie seiner Bands einzufangen. Nur nichts überproduzieren. Eine Soundästhetik, die die Cribs seit ihrem Debüt verfolgen. Mit Albini haben sie in Chicago den Track "Chi Town" aufgenommen.

Steve Gullick
Der Rest vom Album wurde in den Tarbox Road Studios in New York mit Dave Fridman aufgezeichnet. Dem "Phil Spector des alternative rock" (for what its worth) Berühmt berüchtigt für seine Arbeit mit Mercury Rev oder den Flaming Lips.
Es ist genau diese geographische Zerstreutheit der Aufnahmen die das neue Cribs-Album auszeichnet. Okay, zugegeben, in dem Song "Jaded Youth" hätten sie sich den billigen Reim von "cool" auf "school" sparen können, dafür ist aber unter den 14 Tracks auch so ein feedback-grower wie BACK TO THE BOLTHOLE mit dabei. Ja, ja, ja, man liebt sie oder man hasst sie: die Cribs. Mit ihren akribisch-geometrischen Frisuren und dem Geschrei aus dem Bauchinneren. Aus diesem "brazen bull".
Wem das alles egal ist, der kann sich hier (ab 3Min50) einen Auszug aus der besten Quizsendung seit dem das Fernsehen erfunden wurde: Never mind the Buzzcocks. Bitte schön: