Erstellt am: 18. 6. 2012 - 16:18 Uhr
EM-Journal '12-48.
Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.
Die Spiele der Gruppe B:
Runde 1: Dänemark - Niederlande 1:0 und Deutschland gegen Portugal 1:0.
Runde 2: Dänemark - Portugal 2:3, danach Deutschland - Niederlande 2:1.
Runde 3: Portugal - NiederlandeDänemark gegen Deutschland(fm4.orf.at 1:2
Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine
Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.
FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.
Nach jedem der letzten Gruppenrundentage folgt die gebührliche (und analytische) Verabschiedung der Ausgeschiedenen. Mit den Weiterkommern werden wir die nächsten Tage eh noch genug zu tun haben.
Der gefallene Engel: totgeplumpst
Es ist nicht schicklich auf am Boden Liegende noch einzutreten, auf nach wüstem Absturz Zerschellte auch noch einzuprügeln. Im Fall der Niederlande ist es aber dringend nötig: zum einen haben wir es mit einem Fall grotesker Lernresistenz zu tun, zum zweiten ist das Beispiel einer Nation, die sich in nur wenigen Jahren vom besten Fußball der Welt zum schlechtesten Stil Europa herunterentwickelt, eine überdeutliche Betrachtung wert.
Dazu ist es wichtig auf etwas hinzuweisen, was sich seit Anbeginn dieses EM-Journals wie ein roter Faden durchzieht: nicht das System ist entscheidend, sondern seine Interpretation.
Im postmodernen Fußball, in dem das Anything Goes regiert (spätestens seit Italien wieder die 3er/5er-Abwehr ausgepackt hat, haben das alle gesehen) ist die Wahl des Systems, das ein Team spielt, weiterhin enorm wichtig - entscheidend ist aber das, was man daraus macht.
Ein 4-3-3 etwa lässt sich offensiv interpretieren (wie das Russland die meiste Zeit über tat) aber auch sehr defensiv (Beispiel Griechenland) - auf dem (geduldigen) Papier wird es identisch ausschauen.
In genau diese Falle ist Bert Van Marwijk getappt, wohl schon vor 2010. Der Mann, der durch seine Bundesliga-Erfahrung einen europäischeren Blick bekam als die meisten anderen holländischen Fußball-Lehrer, hat das 4-2-3-1, ein recht unholländisches System installiert, und zwar als es im restlichen Europa auch schon sehr stark verbreitet war.
Im Gegensatz zu früheren niederländischen Systemen wie dem 3-4-3 oder dem hochoffensiven 4-3-3 kann sich darauf mittlerweile praktisch jeder Gegner problemlos einstellen.
Nun ist ein 4-2-3-1, wenn man es hinstellt wie Deutschland das tut, eine hochattraktive, hochoffensive Sache. Van Marwijk sieht das aber anders: seine beiden Sechser sind nicht Khedira und Schweinsteiger, zwei hybride Spielmacher neuerster Bauart, sondern Van Bommel und Nigel De Jong, zwei Sechser der ältesten Schule, viel mehr Zerstörer als Aufbauer.
Immerhin kam Van Marwijk mit dieser Formation ins WM-Finale 2010. Allerdings waren die Vorraussetzungen andere: die offensiv-Spieler, vor allem Sneijder und Robben waren in Gala-Form; und gab es auf dem Weg dorthin nur zwei wirklich schwere Gegner: Brasilien wurde von Wesley Sneijder allein zerlegt und gegen Uruguay hatte man das nötige Quentchen Glück.
Wie derb das hollädnische Spiel im direkten Vergleich mit echter Klasse wirklich aussieht, merkte man erst im Finale, in dem die Elftal ihr hässlichstes Gesicht zeigte und der verdienteste Finalverlierer seit Deutschland 2002 war.
Van Marwijks Gesichtsbewahrung führt zum Untergang
Bei dieser Euro nun waren einerseits die Gruppengegner andere Kaliber (vor allem gegen Deutschland und Portugal sah die Elftal aus wie ein Häufchen zusammengekehrtes Elend), andererseits war die Offensive nicht einmal ansatzweise in dem Zustand von 2010.
Zudem wurde auch die Defensive nicht besser, sondern nur zwei Jahre älter - vor allem Van Bommel und De Jong konnten die modernen Sechser-Anforderungen gar nicht mehr erfüllen. Und auch ein Gegner wie Dänemark, der 2010 für die Oranje noch kein Problem war, hatte den Gegner intensiv studiert (was angesichsts dessen träger Nicht-Entwicklung gar kein Problem war) und gute Ansätze und Gegenmittel gefunden.
NIEDERLANDE
Tor: 1 Maarten Stekelen-burg (Roma/ITA), 22 Tim Krul (Newcastle/ENG), 12 Michel Vorm (Swansea/ ENG).
Abwehr: 2 Gregory van der Wiel (Ajax), 21 Khalid Boulahrouz (Stuttgart/D), 3 John Heitinga (Everton/ ENG), 4 Joris Mathijsen (Malaga/SPA), 13 Ron Vlaar (Feyenoord), 5 Wilfred Bouma, 15 Jetro Willems (PSV).
Mittelfeld: 6 Mark van Bommel (Milan/ITA), 8 Nigel de Jong (Manchester City/ENG), 17 Kevin Strootman (PSV), 14 Stijn Schaars (Sporting/POR), 10 Wesley Sneijder (Internazionale/ITA), 23 Rafael van der Vaart (Tottenham/ENG), 19 Luciano Narsingh (Heerenveen), 20 Ibrahim Afellay (Barcelona/SPA).
Angriff: 7 Dirk Kuyt (Liverpool/ENG -> Fenerbahce/TUR), 11 Arjen Robben (Bayern München/ D), 9 Klaas-Jan Huntelaar (Schalke/D), 18 Luuk de Jong (Twente), 16 Robin van Persie (Arsenal/ENG).
Das niederländische Team befand sich also bereits in freiem Fall und war erstaunlicherweise auch nicht imstande die recht deutlich zutagetretenden Fehler während des Turniers zu beheben.
Daran wiederum waren einerseits die klassisch-holländischen Reibereien und eine gewisse Bunkermentalität des Stabs schuld.
Die internen Wickel haben damit zu tun, dass in Holland der mündige Spieler nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall ist. Ein Schinkels ist dort kein plappermäuliger Sonderfall, sondern Alltag. Dementsprechend schnell geigt man sich die Meinung; und weil auch Götter wie Johan Cruyff nichts Besseres vorleben, stinken sich dann Van Persie und Huntelaar eben an und versauen das ohnehin schon rauhe Klima total. Dazu kommt die Unform von Sneijder/Robben und schon bröselt die Offensive auseinander.
Die Bunkermentalität hat auch mit den Cruyffs und den anderen Experten an der Heimatfront zu tun: van Marwijk konnte von seinem 4-2-3-1-Credo nicht runter, ohne sein Gesicht zu verlieren; es fiel ihm schon schwer genug Van Der Vaart in die Zentrale zu stellen, ohne als Umfaller dazustehen. Weil in so einer Lagerkoller-Situation bei einem großen Turnier die Gesichtsbewahrung aber gern und oft über die Sinnhaftigkeit und die Aussicht auf Erfolg gestellt wird, geriet die Elftal in die Abwärtsspirale.
Jetzt liegt der Engel des modernen Fußballs am Boden - Smashed Into Pieces. Wer da was und wie aufklauben wird, ob Van Marwijk überlebt und dann auch die WM 2014 in den Sand setzen darf, wird sich in den nächsten Wochen weisen.
Hat Van Marwijk seine Optionen genützt?
Nein, wie bereits erwähnt.
Ein zentrales Mittelfeld mit Strootman und Van Der Vaart hätte dem Aufbauspiel selbstverständlich einen gänzlich anderen Charakter gegeben und auch dem gesichtswahrenden 4-2-3-1 genügt. Wirklich ungenutzte personelle Alternativen sehe ich sonst keine - auch weil Dirk Kuyt an ebenso schlechter Form litt wie seine Kollegas.
Dänemark hingegen wird mit Applaus verabschiedet
Morten Olsen und seine Truppe hatten keine Chance in dieser Gruppe - aber die haben sie genützt.
Wie schon im Vorbericht angemerkt: diese Mannschaft kann aus ihrer zu dürren Personaldecke, aus der zu geringen Substanz nur dank ihrer strategischen Weitsicht, dank der strengen Orientierung am Gegner etwas machen. Denn ein eigenes Spiel aufzuziehen geht sich bei diesen Kontrahenten nicht aus.
Das gelang einmal wirklich und zweimal fast.
Immerhin.
DANMARK
Tor: 1 Stephan Andersen (Evian/FRA), 16 Anders Lindegaard (Manchester United/ENG), 22 Kasper Schmeichel (Leicester).
Abwehr: 6 Lars Jacobsen (FC Kopenhagen), 18 Daniel Wass (Evian/FRA), 3 Simon Kjær (Roma/ITA), 4 Daniel Agger (Liverpool/ ENG), 5 Simon Busk Poulsen (AZ Alkmaar/ NED), 12 Andreas Bjelland, 13 Jores Okore (Nordsjaelland).
Mittelfeld: 7 William Kvist (Stuttgart/DEU), 15 Michael Silberbauer (Young Boys/SUI), 2 Christian Poulsen (Evian/FRA), 21 Niki Zimling (Brugge/BEL), 19 Jakob Poulsen (Midtjylland), 14 Lasse Schøne (Nijmegen/NED), 8 Christian Eriksen (Ajax/NED), 20 Thomas Kahlenberg (Evian/FRA).
Offensivkräfte: 9 Michael Krohn-Dehli, 10 Dennis Rommedahl (Brondby), 11 Nicklas Bendtner (Sunderland/ ENG), 23 Tobias Mikkelsen (Nordsjaelland), 17 Nicklas Pedersen (Groningen/NED).
Im ersten Spiel stellte man die plump auftretenden Holländer defensiv recht gut zu und nutzte die Flanken für nadelstichartige Konter. Da man mit Niclas Bendtner über ein gefürchtetes Mittelstürmer-Monster verfügt, ist der Grad der Beschäftigung des Gegners bei Gegenstößen auch ganz schön hoch. Dadurch erhält das flexible 4-2-3-1, bei dem man nie weiß woher die Gefahr drohen wird, eine elegante Unausrechenbarkeit.
Im Gegensatz zu den Zuständen bei Team Oranje sind die zentralen Mittelfeldspieler der Dänen (vor allem Zimling und Jakob Poulsen taten sich da hervor) ganz wunderbare Nachvorne-Treiber.
Im zweiten Spiel probierte man dasselbe, konnte aber gegen die spielerisch und kombinatorisch deutlich besseren Portugiesen nicht soviel ausrichten wie in Match 1.
Im dritten Spiel stellte Olsen auf ein von Griechenland abgeschautes 4-3-3 um und hielt eine wackelige Partie lange und glücklich offen - allerdings war der Druck des Gegners letztlich zu groß und man hatte die Möglichkeit abseits von Standards etwas zu riskieren von Vornherein aufgegeben.
Mehr war bei dieser Euro, in dieser Gruppe nicht drinnen. Ich hätte die Dänen gern gegen gleich starke Mannschaften, etwa in der Gruppe A gesehen.
Hat Morten Olsen seine Optionen genützt?
Durchaus. Die nicht eingesetzten Ersatzspieler hätten keinen Deut mehr zustande gebracht.
Ich denke dass Tormann Andersen seinen Vorgänger Sörensen mit oder ohne dessen Verletzung ausgestochen hätte.
Ich denke weiters dass die Abwehr, die in der Vorbereitung so hinich ausgesehen hat, eine der besseren des Turniers war. Ich bin angenehm überrascht von der Performance der gesamte Mittelfeldzentrale und die eingesetzten Offensiven haben allesamt die Erwartungen erreicht/übertroffen: Rommedahl gab in seinem wohl letzten Turnier sein letztes, Krohn-Dehli machte sich zum dänischen Spieler dieser Euro. Einzig Eriksen, das ewige Supertalent, blieb wieder blass wie Papier.
Im Gegensatz zu Van Marwijk wird Morten Olsen (der bis mindestens 2014 bleibt) keinen Schaden anrichten, im Gegenteil: er wird weiter junge Kräfte heranziehen und so ausbilden, dass sie gegen gleichwertige Mannschaften attraktiv spielen und gegen überlegende Teams eine interessante Strategie umsetzen können. Optimales Coaching eben.