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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

18. 6. 2012 - 15:30

Das Wiedererwachen des Faschismus

Fast vier Jahrzehnte nach dem Sturz der Militärjunta nimmt die Lage in Griechenland gefährliche Dimensionen an. Die gefährliche Zunahme von Gewalt und Selbstjustiz geht einher mit zunehmendem Desinteresse der staatlichen Organe.

"Chrysi Avgi ist das kommende Griechenland" - mit diesen Sätzen begrüßte am Sonntagabend der Führer der faschistischen Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) Nikolaos Michaloliakos das Wahlergebnis.

Michaloliakos, der bereits im vorigen Jahr als Mitglied des Athener Stadtrats bei einer Sitzung mit einem Hitlergruß provoziert hatte, sagte vorige Woche bei einem Wahlkampfaufritt, dass Griechenland nur während der Diktatur gute Zeiten erlebt habe. Es könnte ein Warnsignal für diejenigen seien, die die neofaschistische Partei aus Protest gegen die etablierten Parteien gewählt haben. Dieses Warnsignal wurde jedoch nicht wahrgenommen. Die Faschisten konnten ihren Erfolg bei den Wahlen am 6. Mai mit fast 7 Prozent zum ersten Mal ins Parlament einziehen. Bei diesen Wahlen haben sie dieses Ergebnis wiederholt und sich in der politischen Landschaft Griechenlands etabliert.

Chrysi Avgi Parteilogo

Chrysi Avgi

Das Parteilogo von Chrysi Avgi

“Wir sind gekommen, um zu bleiben. Meine Damen und Herren, ihr habt verloren“ - mit diesen Worten wandte sich Michaloliakos nach den Wahlen an seine politischen Gegner. Die rechtsradikalen Parolen von Chrysi Avgi finden im krisengebeutelten Griechenland zunehmend Gehör. “Wählt Chrysi Avgi, damit Griechenland gesäubert wird!“, steht auf den kleinen, weißen Aufklebern, die an Eingangstüren, Bushaltestellen und an Wänden in der griechischen Hauptstadt prangen.

In einer aktuellen Studie der Universität Mazedoniens über das Wahlverhalten der Einwohner Athens sagt die Mehrheit, sie habe Angst vor den "illegalen Fremden". Ebenso geben die Befragten an, dass die Einwanderer der Wirtschaft sowie dem kulturellen Leben Griechenlands schaden. Zu solchen Ansichten hat die Zunahme der Kriminalität in vielen Stadtteilen Athens beigetragen, in die nach Angaben der Polizei häufig Ausländer verwickelt seien.

Die Zahl der rassistischen Übergriffe ist in den letzten Wochen stark angestiegen. Schlägertruppen greifen fast täglich in griechischen Städten Flüchtlinge und Einwanderer auf offener Straße an: In Bussen oder in der Metro, mit Messern oder gar speziell ausgebildeten Hunden; teilweise dringen sie sogar in die Wohnungen von Migranten ein. Ein Kandidat von Chrysi Avgi versprach sogar, nach den Wahlen ausländische Kinder aus Griechenlands Kindergärten zu vertreiben.

Auch aus Krankenhäusern sollen die Einwanderer ausgeschlossen werden. Mittlerweile sind auch Personen aus dem linken Spektrum ins Visier der Neonazis gerückt. Am 7. Juni attackierte der Pressesprecher von Chrysi Avgi, Ilias Kassidiaris, in einer TV-Sendung eine Abgeordnete der Kommunistischen Partei vor laufender Kamera mit Faustschlägen. "Er solle auch andere Politiker zusammenschlagen", hieß es danach in Internetforen. Am selben Tag verjagte ein 24-jähriger Einwohner des Athener Vororts Paiania einen Albaner nach einem Einbruchsversuch - und erschoss ihn. Als der junge Mann vor Gericht gebracht wurde, applaudierten dutzende Einwohner des Vorortes für seine Tat.

Das Wiedererwachen des Faschismus, fast vier Jahrzehnte nach dem Sturz der Militärjunta im Jahre 1974, nimmt gefährliche Dimensionen an. Die gefährliche Zunahme von Gewalt und Selbstjustiz geht einher mit zunehmendem Desinteresse der staatlichen Organe. Mehrere Opfer von rassistischen Übergriffen beklagen, dass die Polizei nicht interveniert habe.

Der Unwillen und die Ignoranz der Polizei rassistische Übergriffe zu registrieren, ist für die meisten Opfer ein großes Problem. Viele können schon allein wegen ihres mangelnden Aufenthaltsstatus keine Anzeige erstatten. So haben im Jahr 2010 in ganz Griechenland nur drei Fälle ein Gericht erreicht.

In einem am Freitag veröffentlichen Bericht kommen die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL und der Griechischen Flüchtlingsrat zum Schluss, dass Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten durch staatliche Behörden in der Hafenstadt Patras systematischen Charakter hat. Täglich versuchen in Patras Flüchtlinge und Migranten, in eine Fähre zu schlüpfen, um in einem anderen EU-Land anzukommen. “Die Gewalt gegen Schutzsuchende, die durch Polizeikräfte und Spezialeinheiten der griechischen Küstenwache in Patras verübt wird, besteht in verbalen Beschimpfungen, massiven Einschüchterungen und exzessiver physischer Gewalt bis hin zur Folter. Diese Menschenrechtsverletzungen finden in einem politischen Klima statt, in dem die Täter in der Regel unbehelligt bleiben“ steht in einer Presserklärung von PRO ASYL.

In griechischen Medien wird immer wieder über die guten Beziehungen zwischen Neonazis und Polizei spekuliert. Der Tageszeitung To Vima zufolge hat jeder zweite Polizist bei den Wahlen am 6. Mai seine Stimme Chrysi Avgi gegeben. Beobachter befürchten, dass die Polizisten ihr Wahlverhalten auch bei den gestrigen Wahlen wiederholt haben. In manchen Problembezirken Athens rufen die Einwohner statt der Polizei immer häufiger Mitglieder der Partei zur Hilfe, wenn sie Probleme mit Migranten haben.

„Die geistigen Kinder Hitlers und Goebbels haben ihre Rolle perfekt gespielt. Sie haben die Bürger zu sich kommen lassen, um eine Lösung für ihre Alltagsprobleme zu finden. Sie sind zu Sheriffs der schutzlosen Städte und Nachbarschaften Griechenlands geworden“, kommentiert das Athener Politmagazin Unfollow.

Die Verbreitung der neofaschistischen Ideologie in Griechenland haben auch die Sozialisten der Pasok und der konservativen Nea Demokratia begünstigt, die wahrscheinlich auch die nächste Regierung bilden werden. Kurz vor der Wahl sprach sich Antonis Samaras, Vorsitzender von Nea Demokratia, gegen die "Invasion" der illegalen Einwanderer aus. Der ehemalige sozialistische Gesundheitsminister Andreas Loverdos veröffentlichte vor kurzem Bilder HIV-infizierter Prostituierter. Und der ebenfalls bis vor kurzem amtierende Bürgerschutzminister, der Sozialist Michalis Chrysochoidis, versprach die Errichtung von 30 Sammellagern für papierlose Migranten und Flüchtlinge. Dort sollen diese bis zu ihrer Ausweisung eingesperrt werden. Das dürfte auch den Anhängern von Chrysi Avgi gefallen.