Erstellt am: 28. 6. 2012 - 06:00 Uhr
Vollkontakt
Trainiert wird in der Sporthalle einer Schule im 14. Wiener Gemeindebezirk. Auf dem Holzboden ist eine ovale Bahn markiert. Nachdem ich mit Helm, Knie- und Ellbogenschützern ausgestattet wurde, darf ich mich auf die schicken Retro-Rollschuhe stellen und Roller Derby, naja eigentlich erst einmal Rollschuhfahren ausprobieren. Die erste Lektion ist jene im Geradeaus-Fahren. Rollergirl CaRolla CaRachow weist mich an: „Am besten behältst du deine Füße am Boden und versuchst, leichte Achten zu fahren, entweder mit beiden oder nur mit einem Fuß!“ Sticky Wheels heißt diese Fahrtechnik. Haltung spielt dabei eine große Rolle: Denn nicht möglichst aufrecht, wie beim Inline-Skaten, ist hier angesagt, sondern tief in die Hocke gehen und dabei den Hintern möglichst weit nach hinten strecken: „So, als ob du auf ein ekliges Klo müsstest und dich nicht hinsetzen wolltest!“
Das geht ganz schön in die Oberschenkel. Die Idee dahinter: durch den tieferen Schwerpunkt kann man nicht so leicht umfallen bzw. umgeworfen werden, was beim Roller Derby sehr wichtig ist. Ich lerne noch eine Brems- und eine Falltechnik, dann ist mein Training vorerst beendet. Beim sogenannten "Bout"-Spiel könnte ich so noch lange nicht mitmachen, erklärt CaRolla CaRachow „Dafür müsstest du um einiges mehr können: du müsstest verschiedene Stopps und verschiedene Falls können, einen Regeltest abgelegt haben und eine Ausdauerübung in einer gewissen Zeit schaffen. Also man braucht schon Skills dafür!“
Roller Derby
Roller Derby ist eine Sportart, bei der zwei Teams zu je fünf Rollschuhfahrerinnen auf einem ovalen Track im Kreis fahren. Die meisten Teams fahren auf einer flachen Bahn, das heißt dann "flat track Roller Derby". Es gibt eine Punktemacherin, die Jammerin, und vier Blockerinnen. Die Jammerin bekommt einen Punkt für jede Blockerin, die sie überholt. Die Blockerinnen dürfen sie mit allen legalen Mitteln aufhalten, was teilweise auch brutales Abdrängen oder sogar Ellbogentechnik bedeutet.
Wikicommons/Earl McGehee
Oder bedeutet hat. Denn die spektakulären Actionszenen, die man in Youtube-Videos oder in Drew Barrymores Regiedebüt Whip It sieht, entsprechen eigentlich kaum mehr der Realität. Roller Derby ist mittlerweile mehr als nur im Kreis fahren und ganz auf brutal Gegnerinnen aus dem Weg räumen. Der Sport hat sich professionalisiert, es gibt ein strenges Reglement und mittlerweile Europa- und Weltmeisterschaften. Schlagen, mit dem Ellbogen abdrängen, an der Kleidung oder am Helm ziehen sind verboten. Was nicht heißt, dass es keine sehr physische Sportart ist, erlaubt sind aber eben nur Full-Body-Hits.
Roller Derby ist in den 1930er Jahren in den USA entstanden und hat seit Anfang der 2000er als Frauensportart ein Revival erlebt. Vor ein paar Jahren ist der Trend nach Europa übergeschwappt. Auch der bereits erwähnte Film „Whip It“ hat dazu beigetragen: vor allem in Deutschland haben sich einige Teams nach Erscheinen des Films gegründet. All diese heutigen Teams wurden von Frauen in Do-It-Yourself-Manier gegründet, Männer gibt es nur als Fans oder Schiedsrichter. In den USA formieren sich seit einigen Jahren langsam auch Männervereine.
Retro-Look und All Girls
Für die Beliebtheit von Roller Derby ist sicher auch der Retro-Look mitverantwortlich, den Rollergirls auf der ganzen Welt pflegen: Eine Punk- und Rockabilly-Ästhetik, viele Tattoos und Haartollen kombiniert mit Kniestrümpfen, Hotpants oder kurzen Röcken und eben altmodischen Rollschuhen. „Das sind aber nicht die Rollschuhe, die wir aus den Siebzigern und Achtzigern kennen“, erklärt Calamity Ka „Sondern das sind wirkliche Sportschuhe, mit Achsen aus Metall. Mit denen ist man flexibler und wendiger und kann zum Beispiel leichter übersteigen. Mit Inline-Skates könnte man Roller Derby nicht spielen, weil man viel zu instabil ist!“
Vienna Rollergirls/Grünwald
Auch sonst pflegt das Roller Derby seinen Style. Zum Beispiel haben alle Spielerinnen angriffslustige Derbynamen: Bei diesem Training sind z.B. CaRolla CaRachow und Calamity Ka und ihre zwei Kolleginnen Principezza und Tribble Trouble dabei. Diese Namen sollen zeigen, dass es sich hier um keine liebe Mädchensportart handelt sondern dass es darum geht, als Frauen auch einmal „Bad-Ass“ zu sein, wie Calamity Ka meint.
Populäre Medienberichte setzen sich gerne auf die Sensation „Rollschuh-Mädchen, die brutal sind“ drauf. Es geht aber um mehr als das: „Man muss selbstbewusst sein, man muss jemanden blocken oder angreifen auf dem Track!“ sagt Calamity Ka. „Oft schreien wir uns auch einmal an. Aber es geht auch darum zusammen zu sein, das Training zu besprechen oder auch einmal zu feiern, wie nach unserem ersten öffentlichen Spiel!“
Einige der US-amerikanischen Teams haben sich dezidiert aus einem feministischen Gedanken heraus gegründet. In der Youtube-Minidoku „This is derby“ erklären die interviewten Spielerinnen der Denver Rollerdolls: „Leute sehen sich diesen Sport so gerne an, weil sie starke, athletische Frauen zu sehen bekommen, die einen Vollkontakt-Sport betreiben. Etwas, das eigentlich sehr selten ist“. Immerhin kommen zu den großen Roller Derby-Ereignissen tausende ZuschauerInnen. Ein Zuspruch, den sonst nicht sehr viele Frauensportarten erfahren.
Rollerderby
Dass es kaum professionelle Vollkontakt-Sportarten für Frauen gibt, könnte auch an dem Stereotyp liegen, dass Frauen „friedliche“ Sportarten bevorzugen oder überhaupt lieber Gymnastik für die Figur machen. Dieses Vorurteil bringen die wilden Rollergirls gehörig ins Wanken.
Rollern in Wien - They’re recruiting!
Die Vienna Rollergirls haben sich vor einem Jahr gegründet, rund um Zandy Zunder, die zuvor schon in Deutschland bei den Berlin Bombshells gespielt hat. Derzeit sind sie das einzige Team in Österreich, was heißt, dass sie bis nach München, Prag oder Zürich fahren müssen, um auf andere Teams zu treffen. Den Frauen in Wien ist es vor allem wichtig, gemeinsam etwas weiter zu bringen, auf internationalen Bouts mitzuspielen.
Falls du vom Roller Derby-Fieber erfasst worden bist und gerne mitmachen willst: Die Vienna Rollergirls suchen Frauen ab 18. Kommenden Samstag, am 30.6., veranstalten sie einen Recruiting Day im Sport&Fun Dusika (Standort Engerthstraße/U2 Station Stadion). Alle Infos gibt es auf der Website der Rollergirls. Wenn du hinkommen möchtest, bitte vorher ein Email an recruiting@viennarollergirls.com schreiben. Und wenn du nicht aus Wien bist: Gründe doch dein eigenes Team, damit die Frauen aus Wien jemanden haben, gegen den sie antreten können!