Erstellt am: 18. 6. 2012 - 11:37 Uhr
Military Republic of Egypt
Mohamed Mursi, der Präsidentschaftskandidat der Muslimbruderschaft lässt sich bereits in den frühen Morgenstunden als Sieger der Wahl feiern. Er hat 52% der Stimmen auf sich vereinen können. Seine Anhänger strömen auf den Tahrir Platz, um seinen Sieg zu feiern. Und doch fragen sich viele Ägypter: Welcher Sieg?
Sieg? Welcher Sieg?
Das hat damit zu tun, dass die Wahl, die zu Mohamed Mursi als neuen Präsident geführt hat, in ihrem Ablauf ein Schlag ins Gesicht vieler Ägypter war. Entweder Mohamed Mursi, oder Ahmed Shafiq, der letzte Premierminister unter Mubarak und glühender Anhänger des ehemals starken Mann am Nil. Das ist keine Wahl, die Euphorie nach sich zieht.
Die Kandidaten Ahmed Shafiq und Mohamed Mursi sind aus der ersten Runde der Wahl als „Sieger“ hervorgegangen. Aber die beiden Kandidaten haben zusammen aber keine 50% der Stimmen erlangt. Die Mehrheit der Ägypter hatte sich in diesem Wahlgang gegen den Muslimbruder und gegen den Mubarak-Mann entschieden. Umstritten ist allgemein die Entscheidung Shafiqs zu kandidieren. Ein Gesetz untersagt es ehemaligen Ministern unter Mubarak ein politisches Amt zu unterhalten. Aus diesem Grund wurde im April der ehemalige Vizepräsident Mubaraks Omar Suleiman von den Wahlen ausgeschlossen.
Park15
Die alte Garde bittet zur Urne
Die Entscheidung, dass Shafiq antreten durfte, fiel dann mit einer weiteren, fragwürdigen Ankündigung zusammen: Am vergangenen Donnerstag beschloss das oberste Verfassungsgericht, dass Ahmed Shafiq antreten darf UND dass die Direktwahl von einem Drittel der Abgeordneten nicht verfassungskonform war. Daraufhin hat der Militärrat mit dem Parlament die einzig demokratisch legitimierte Institution des Landes aufgelöst. Zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl zeigt das Militär über wie viel Macht es verfügt.
Militär heißt Macht
Das Parlament wurde in der Geschichte Ägyptens immer wieder aufgelöst, auch zweimal unter Mubarak. Die Entscheidungen der obersten Richter wurden aber nie direkt und zeitnah umgesetzt, sondern teils drei Jahre nach dem Richterspruch und mit Zustimmung der Bevölkerung mittels Referendum. Weshalb der oberste Militärrat (SCAF) am Tag nach der Urteilsverkündung das Parlament aufgelöst hat, zeigt wie tief verwurzelt der Machtanspruch des Militärs ist.
Die Generäle um Hussein Tantawi sollten ihre exekutive Regierungsmacht am 1. Juli an eine zivile Regierung abgeben. Das geschieht zwar nach den Wahlen vom Wochenende scheinbar, aber dass das Militär seinen Einfluss und seine Vorrechte abtreten wird ist nach der Veröffentlichung der neuen Übergangsverfassung gestern Abend höchst unwahrscheinlich.
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Neue, alte Verfassung
Die Überarbeitung der Verfassung wurde wenigen Stunden nach Schließung der Wahllokale verlesen. Die erste Entscheidung ist, dass sich der Militärrat in der ägyptischen Politlandschaft festsetzt.
Park15/ Sammy Khamis
Die Institution hat über ein Jahr die Geschicke des Landes geleitet, war in der Geschichte des Landes aber bis zum Sturz Mubaraks faktisch nicht existent. Heute ist diese Runde altgedienter Generäle in der Lage gegen die Ergebnisse der verfassungsgebenden Versammlung ein Veto einzulegen, die Aufgaben der Streitkräfte zu definieren und über die eigene Immunität zu entscheiden.
Das macht Verfahren gegen Verbrechen, die vom Militär begangen wurden (zum Beispiel die Durchführung von Jungfräulichkeitstest) unwahrscheinlich. Es macht die Rechtsprechung allgemein abhängig vom Militär. Wenn die Armee über die Legitimität ihres eigenen Handelns entscheiden darf, dann kann so auch ein möglicher Putsch gerechtfertigt werden.
Genau davon sprechen die ersten Analysten bereits. Wie stark die Führungsriege des Militärs in die Alltagspolitik eingreifen wird lässt sich heute nicht endgültig beantworten. Das Tagesgeschäft wird weitgehend der Regierung überlassen werden, aber gerade wenn es um wegweisende strukturelle Fragen wie den Militärhaushalt geht, wird SCAF die Entscheidungshoheit nicht an eine zivile Institution abgeben.
Ägypten ist das perfekte Beispiel einer „Enklaven-Demokratie“, also einer Demokratie mit (zumindest auf dem Papier) gewählten Institutionen, die sich gegenseitig kontrollieren. Das Militär entzieht sich dieser Kontrolle in eine Enklave der vermeintlichen Eigenständigkeit.
Ein zuversichtlich stimmendes Beispiel eines Übergangs einer Enklaven-Demokratie in eine gefestigte Demokratie ist: Chile. Dort sicherte sich das Militär unter Pinochet weitreichende Vorrechte, die im Lauf von 20 Jahren abgebaut wurden. In Chile ist dieser Prozess eng mit der standhaften Arbeit der politischen und der zivilgesellschaftlichen Opposition zusammen. Ähnliches lässt sich für Ägypten erhoffen.
Aussichten mit der Muslimbruderschaft
Die Muslimbruderschaft (MB) stellt aller Voraussicht nach den nächsten Präsidenten und somit die nächste Regierung in Ägypten. Sie hat somit eine historische Chance. Diese besteht darin, das Land zu verändern, aber nicht darin das Land zu prägen. Die MB hat über 30 Jahre unter Mubarak erlebt, was Verfolgung bedeutet, zu wissen wie sich Folter anfühlt und was es heißt unterdrückt zu werden. Sie können dies beenden. Die Muslimbrüder sind eine neoliberal orientierte, gläubige Gruppierung, die Wirtschaften mit Spenden und Umverteilen zusammendenken.
Sie könnten ein gerechteres Wirtschaftssystem in Ägypten etablieren. Die Muslimbrüder sind in einer demokratischen Ordnung auf Wählerstimmen angewiesen, also können sie Gruppen wie Frauen (50% der Wählerschaft) und Kopten (10% der Wählerschaft) nicht ausschließen, wollen sie wiedergewählt werden. Dass sie in ihrem Kabinett Politiker aller Orientierungen einschließen möchten zeugt zum einen von ihrer relativen Offenheit und auch davon, dass sie verstehen, wie historisch dieser Moment ist.